Washington. Die demokratische Präsidentschaftskandidatin punktet zwar in Umfragen. Doch viele Wähler wünschen sich mehr als vage Konzepte.
Bret Stephens ist beileibe nicht der klassische Demokraten-Wähler. Der wortmächtige Kolumnist tickt konservativ, kann es aber nicht über Herz und Verstand bringen, den verurteilten Straftäter Donald Trump zu wählen – „auf keinen Fall”. Warum es bei ihm aber auch bis zum einem Kreuz auf dem Stimmzettel für Kamala Harris noch ein weiter Weg ist, beschreibt ein Dilemma, in das sich die Demokratin nach Ansicht von Wahlkampfstrategen selbst manövriert hat.
Sie macht sich, und das gilt auch für ihren Vizekandidaten Tim Walz, ausgesprochen rar. Nur sieben Interviews des Duos in knapp 60 Tagen stehen über 70 der Konkurrenz gegenüber. Wobei J. D. Vance, das Beiboot Trumps für den Vizeposten, mit rund 60 Terminen den Löwenanteil beisteuert.
Kamala Harris: Ihre Antworten sind „leichter als Luft“
Mit dem Ergebnis, dass viele Wählerinnen und Wähler immer noch mit Harris fremdeln. Obwohl sie „entschieden empathischer, optimistischer, geerdeter und klarer im Kopf wirkt als Trump”, wie eine parteiunabhängige Wählerin in Pittsburgh kürzlich dieser Zeitung sagte. Ihr Kritikpunkt: Harris ging in den wenigen öffentlichen Auftritten, darunter war auch die große TV-Debatte mit Trump, ausgesprochen sparsam mit konkreten Konzepten um.
So war es auch am vergangenen Donnerstag, als die Talkshow-Ikone Oprah Winfrey eine halb live, halb digital konzipierte Show ausstrahlte, in der sich Harris, ohne kritische Nachfragen befürchten zu müssen, mit großem Erfolg vor weit über 500.000 Nutzern von ihrer weiblichen Kümmererseite zeigen konnte.
Bis auf den Moment, als sie bekundete, ein Einbrecher in ihrem Haus müsse mit Pistolenkugeln rechnen, versteckte sie sich wieder oft hinter dem, was Stephens mit „leichter als Luft” daherkommende „Allzweckantworten” beschreibt. Wie jener, dass Donald Trump eine „Bedrohung“ für die amerikanische Demokratie darstelle.
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Die Zeit drängt
Das ist, ausweislich etlicher Umfragen, die Harris unbestreitbar im Aufwind sehen, möglicherweise nicht genug, um genügend Unentschlossene auf ihre Seite zu ziehen.
Knapp 30 Prozent der Wähler wollen mehr wissen. Vor allem, wie die 59-Jährige durchaus beliebte Vorschläge wie höhere Steuergutschriften für Familien mit Kindern im Kongress durchsetzen will – und wie sich das Ganze rechnet.
Stephens spricht für viele Wähler, wenn er sagt, dass Harris sich knapp 45 Tage vor der US-Wahl beeilen muss, mit substanzreicheren Antworten zu relevanten Themen zu kommen, „schon allein um den weit verbreiteten Eindruck der Unseriösität zu zerstreuen”.
Harris will Biden nicht in den Rücken fallen
Beispiel: Naher Osten und Ukraine. „Wenn sie als Präsidentin Informationen hätte, dass der Iran kurz vor dem Bau einer Atomwaffe steht, würde sie dann Gewalt anwenden, um dies zu verhindern? Gibt es Grenzen für die amerikanische Unterstützung der Ukraine, und wo liegen diese?“
Harris hat sich dazu bisher nie eindeutig verhalten. Was auch der Tatsache geschuldet ist, dass sie Joe Biden fünf Monate vor Ablauf seiner Amtszeit nicht desavouieren kann durch Alleingänge oder etwaige Kurswechsel.
Diese Knebelsituation führt zu peinlichen Situationen. Als Harris in Philadelphia, der demokratischen Hochburg im umkämpften Bundesstaat Pennsylvania, ihr latent gewogenen afroamerikanischen Journalisten 45 Minuten lang Rede und Antwort stand, war der Unmut im Publikum nicht zu übersehen.
Was Harris konkret tun will, bleibt im Nebel
Nicht nur, dass Harris oft bei ihren einschlägigen Versatzstücken („Wirtschaft der Möglichkeiten”– „Wir gehen nicht zurück” etc.) blieb, die man kennt, seit die 59-Jährige im Eilverfahren die Kandidatur von Joe Biden übernommen hat.
Vor allem im Themenkomplex Israel/Gaza, der für die jüdische wie arabischstämmige Wählerschaft in den USA einen immens hohen Stellenwert hat, blieb sie bei der mehrfachen Wiederholung, es müsse umgehend einen Waffenstillstand und einen Deal über die Freilassung der seit bald einem Jahr festgehaltenen Geiseln geben. Danach sei das Ziel das altbekannte: Israel wie Palästinenser hätten das Recht auf einen souveränen Staat. Das klang pauschal und wohlfeil.
Denn welche Instrumente und Initiativen Amerika hier einsetzen würde unter ihrer Führung, ob Militärhilfen an Israel eingestellt oder empfindlich eingeschränkt würden, dazu schwieg sie eisern.
Harris‘ Ausflüchte beim Thema Inflation
Nur nicht festlegen. Nur dem Mitbewerber keine Angriffsfläche bieten. Mit dieser Strategie allein, die potenziell profilbildende Begegnungen mit nachbohrenden Journalisten auf ein Minimum reduziert und die weichen Fragen von Tiktok-Influencern bevorzugt, könnte der Wahlsieg am Ende ausbleiben, kommentieren inzwischen auch Harris wohlgesonnene Medien.
Gesondert wird beklagt, dass Harris auf eine der wichtigsten Fragen – Wie wollen Sie die größte Sorge der Amerikaner, die hohen Lebensmittelpreise, lindern? – immer noch mit dieser Antwort reagiert: „Nun, ich fange mal so an. Ich bin als Kind der Mittelschicht aufgewachsen.“
Vor allem in sozialen Medien gibt es für die Ausflüchte viel Kritik. Und konservative TV-Moderatoren von Fox News bis Newsmax stricken weiter an der Legende, Harris sei rhetorisch-inhaltlich nicht präsidiabel genug. Aus Kreisen der demokratischen Kampagne wird auf gegenteilige Effekte verwiesen.
Ohne viel Dazutun hat die Demokratin es in jüngsten Umfragen geschafft, den Abstand zu Trump in einer Schlüsselfrage auszugleichen. Lag Joe Biden im Juli noch sechs Prozentpunkte hinter dem Republikaner, was die ihm unterstellte Wirtschaftskompetenz anbelangt, so liegt Harris nach einer neuen Umfragen von Morning Consult nun mit Trump gleichauf: beide 46 Prozent.