Kiew. Als gebürtigem Russen flogen Oleksandr Syrskyj die Herzen der Ukrainer nicht unbedingt zu. Nun überrascht er selbst den Präsidenten.
Wenn der ukrainische Befehlshaber Oleksandr Syrskyj – Spitzname Bars („Schneeleopard“) – eines kann, dann ist es, den Feind zu schockieren. Schon als die Ukrainer im September 2022 die nördliche Region Charkiw befreiten, trug die Operation die Handschrift des damaligen Kommandeurs der Landstreitkräfte. Der 59-jährige unterstand zu diesem Zeitpunkt noch Walerij Saluschnyj, der sich eigentlich allein auf den Süden konzentrieren wollte. Doch Syrskyj konnte den Präsidenten davon überzeugen, dass die Ukrainer auch dort angreifen sollten, wo die Russen am schwächsten sind – und daraus wurde ein fulminanter Erfolg.
Die Parallele zur am 6. August gestarteten Kursk-Offensive sind kaum zu übersehen. Monatelang wurde darüber spekuliert, in welche Richtung sich der ukrainische Angriff entwickeln würde, die Ukrainer aber konnten ihre Vorbereitungen für den Überraschungsangriff auf russisches Territorium vollkommen geheim halten. Dass Kiew einige Truppen im ukrainischen Grenzbezirk Sumy stationiert hatte, erschien den Russen offenbar als unverdächtig.
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Schließlich wurde Sumy tagtäglich von Kursk aus beschossen – und auch die Gefahr eines russischen Bodenangriffs konnte in Kiew nie ausgeschlossen werden. Die Verlegung von weiteren Reserven fand dann kurz vor der Offensive statt. Darauf konnte Russland nicht mehr reagieren. Zwei Wochen nach Beginn der Operation steht fest: Auch wenn das strategische Hauptziel der Ukrainer weiterhin unklar bleibt, konnten die Russen den ukrainischen Vorstoß nicht stoppen und kämpfen mit großen Problemen.
In der Ukraine hat sich das öffentliche Image von Syrskyj gewandelt
Entsprechend dreht sich in der Ukraine das öffentliche Bild von Syrskyj, der zum einen als eine Art General der alten Garde galt, für den Menschenverluste keine allzu große Bedeutung haben. Er war zum Beispiel auch für die lange Verteidigung von Bachmut verantwortlich, deren Sinn in und außerhalb der Ukraine inzwischen oft in Frage gestellt wird. Zum anderen hing ihm an, dass er als gebürtiger Russe seine Militärausbildung in Moskau absolviert hat und Ukrainisch mit klarem Akzent spricht.
Weil die Russen bisher das ganze Jahr die Initiative hatten, entstand zudem der Eindruck, dass Wolodymyr Selenskyj mit den Ergebnissen des Umbaus an der Armeespitze nicht ganz zufrieden ist. Quellen der renommierten Zeitschrift NV berichteten, der Präsident sei von den Entwicklungen unter Syrskyj nicht begeistert – auch wenn ein erneuter Wechsel als unwahrscheinlich galt. Doch nun ist alles anders. Täglich veröffentlicht Selenskyj Videos, in denen ihm Syrskyj von der Frontlage und insbesondere vom Stand der Kursker Operation berichtet.
Zweifel bleiben, ob die Truppen nicht anderswo hilfreicher wären
Und Selenskyj, der ebenfalls für überraschende Schachzüge bestens bekannt ist, wirkt in den Videos äußerst zufrieden. Klar ist: Einen erfahreneren General als Syrskyj, der sich schon im Donbass-Krieg große Verdienste erwarb, hat die Ukraine kaum. Ob die Operation in Kursk letztendlich aber zum strategischen Erfolg für Kiew wird, wird die Zeit zeigen.
Denn einerseits ist es eine legitime Frage, ob die eingesetzten Kräfte angesichts der angespannten Lage in der Region Donezk nicht anderswo besser eingesetzt worden wären. Andererseits ist die Ukraine gegen einen derart mächtigen Feind wie Russland per se auf assymetrische Kriegsführung und auf plötzliche Überraschungsmomente angewiesen. Dafür ist Syrskyj der beste Mann – und gar kein General der alten Garde.
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