Paris. Das Netz der französischen TGV-Hochgeschwindigkeitszüge wurde sabotiert. Was wir wissen und was jetzt noch auf Frankreich zukommt.
Zufall ausgeschlossen: Vor der groß angelegten Eröffnungszeremonie zum Auftakt der 33. Olympischen Spiele in Paris hat eine konzertierte Aktion weite Teil des französischen TGV-Netzes lahmgelegt. Vertreter der französischen Bahn SNCF sprachen von einer „massiven Attacke“ auf die Hochgeschwindigkeitszüge. An fünf Orten, die Hunderte von Kilometern voneinander entfernt sind, kam es zwischen ein Uhr und 5.30 Uhr zu Bränden an elektrischen Schaltstationen. 800 000 Reisende blieben vorerst stecken.
Welche Folgen haben die Anschläge für die französische Bahn?
Die Auswirkungen waren im Inland und im Ausland zu spüren: Am stärksten betroffen war der Atlantik-TGV, der Paris mit westfranzösischen Städten wie La Rochelle oder Bordeaux verbindet. Unterbrochen wurde auch die Linie von Paris in die nordfranzösische Stadt Lille, von wo aus der TGV auch internationale Ziele wie Brüssel oder London anfährt. In der britischen Hauptstadt fielen ein Viertel der Züge nach Paris aus. Viele Besucher der abendlichen Olympia-Feier kamen am Freitag zu spät oder gar nicht an. Ein Brand kappte ferner die TGV-Verbindung in Richtung Straßburg an der Grenze zu Deutschland. Laut SNCF-Angaben wurde ein vierter Anschlag auf den Süd-TGV mit den Zielen Marseille und Nizza im letzten Moment vereitelt.
Die SNCF mobilisierte umgehend Reparatur- und Planungstrupps. Sie verlagern die TGV-Züge teils auf das normale Schienennetz. Dadurch werden allerdings auch andere Bahnfahrer in Mitleidenschaft gezogen. Die Verspätungen betrugen mehrere Stunden; zahllose Züge wurden ganz gestrichen.
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Zehntausende französische und ausländische Gäste blieben vorerst in den Bahnhöfen stecken. Für den Olympia-Beginn hatte die SNCF zu den üblichen Verbindungen auch Spezialzüge organisiert. Die Staatsbahn informierte die Kunden per SMS und bat sie, die Abreise, wenn möglich, zu verschieben und sich nicht in die Bahnhöfe zu begeben. Die Reparaturarbeiten laut SNCF-Chef Jean-Pierre Farandou mindestens bis Sonntagabend.
Wer steckt hinter den Attacken?
Das ist bisher unklar. Verhaftungen oder Bekennerschreiben gab es vorerst nicht. Da die Brandanschläge auf die TGV-Infrastruktur gleichzeitig erfolgten, sprach der französischen Transportminister Patrice Vergriete von einer „kriminellen Urheberschaft“. Der Vorsatz stehe außer Frage. Über die genauen Motive wollten die verantwortlichen Stellen aber vorerst nicht spekulieren. Die für die Olympischen Spiele zuständige Sportministerin Amélie Oudéa-Castéra erklärte in einer ersten Stellungnahme: „Im Visier ist Frankreich.“ Das Erfolgsmodell der TGV-Züge ist auch ein Symbol der französischen Spitzentechnologie.
Die Ermittler verfolgen laut Polizeikreisen zwei Spuren: die Ultralinke und russische Saboteure. Für die erste Spur spricht einiges. Das Vorgehen erinnert an zwei Sabotageaktionen der letzten Monate beim Gare de l’Est in Paris sowie in Marseille. An beiden Orten fiel der Verdacht bereits auf ultralinke Splittergruppen. Sie verfügten womöglich über Komplizen innerhalb der SNCF. Denn auch jetzt wurden die vier neuen Anschlagsorte sehr genau gewählt. In Courtalain südwestlich von Paris lagen sie zum Beispiel an der neuralgischen TGV-Verzweigung zwischen der Bretagne und Bordeaux.
Der Anschlag auf die Linie des Süd-TGV wurde von Bahnarbeitern im letzten Moment verhindert. Ihnen fielen um vier Uhr in der Früh suspekte Gestalten bei einem Bahnschaltwerk in Vergigny (Burgund) auf. Bevor die herbeigerufene Gendarmerie eintraf, «flohen mehrere Personen in einem Lieferwagen», wie ein Ermittler anonym erklärte. Am Tatort fanden sich mit Benzin gefüllte und mit einem Docht versehene Flaschen.
Die Spur der Ultralinken löste am Freitag eine politische Polemik aus. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen warf den Behörden und der SNCF vor, sie hätten seit langem die Augen vor den Umtrieben von Linksextremen und Anarchisten verschlossen. Der frühere Transportminister Dominique Bussereau erklärte vor Journalisten, sicher sei nur, dass «eine Handvoll Anarchos oder Ökos» nicht vier simultane, strategisch gewählte Brandanschläge organisieren könne. Da sei zweifellos ein eingespieltes, wohl vorbereitetes Team am Werk gewesen.
Das sei auch der Fall, falls eine «ausländische Macht» dahintersteckte, fügte Bussereau an. Die Ermittler prüfen insbesondere die Möglichkeit russischer Urheber. Die französische Polizei hatte letzthin unabhängig voneinander zwei Russen festgenommen. Bei einem wurden Sprengstoffutensilien gefunden, beim anderen nicht näher bezeichnete Mittel für eine Aktion «von großem Ausmaß» und mit «gravierenden» Folgen. Erbost über seine Olympia-Ausschluss, fährt das russische Regime seit langem eine breit angelegte Destabilisierungskampagne gegen französische Ziele. Bekannt wurden von Moskau ausgegangene Fake-News über eine angebliche Bettwanzenplage in Paris.
Aber auch die Anti-Terror-Staatsanwaltschaft ist am Freitag aktiv geworden. Die französische Polizei hat vor den Pariser Spielen mindestens zwei Islamisten festgenommen, die in Verhören offenbar zugaben, sie gewaltsame Aktionen während der zweiwöchigen Olympia-Zeit geplant zu haben. Brandanschläge auf Bahnmaterial ist aber nicht ihre Spezialität.
Wie groß ist aktuell die Terrorgefahr in Frankreich?
Die französischen Sicherheitsbehörden hatten seit Langem Vorkehrungen gegen Anschläge getroffen – vor allem mit Blick auf die Eröffnungsfeier. „Was Frankreich befürchtete, ist eingetroffen“, sagte der Kommentator Daïk Audouit im Fernsehsender France-Info. „Es war bekannt, dass es Gruppen, Personen oder Einheiten auf Frankreich abgesehen haben.“ Der Pariser Polizeipräfekt Laurent Nuñez erklärte nach den Sabotageakten gegen die TGV-Linien, er verstärke die Polizeipräsenz in den Bahnhöfen. Die Eröffnungszeremonie am Freitagabend werde beibehalten.
Das israelische Außenministerium hatte Frankreich in dieser Woche auch vor einer „potenziellen Bedrohung durch iranische Terrorgruppen“ gewarnt. Im Visier seien vor allem israelische Athleten und Touristen. Die französische Polizei hatte vor den Pariser Spielen mindestens zwei Islamisten festgenommen, die in der Einvernahme offenbar zugaben, sie hätten gewaltsame Aktionen während der zweiwöchigen Olympia-Zeit geplant.
Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOK), Thomas Bach, sagte in Paris, er habe „volles Vertrauen“ in die französischen Behörden. Die Festfreude rund um die Eröffnungszeremonie hat sich in Frankreich allerdings stark abgekühlt.
Und wie groß ist die Gefahr in Deutschland?
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte im vergangnene Monat, die Sicherheitslage in Deutschland bleibe „angespannt“. Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang wiederum betonte: „Wir sehen uns aktuell einem sehr hohen Niveau von Bedrohungen gegenüber.“ Die Sicherheitsbehörden sehen umfangreiche Bedrohungen für Staat und Gelsellschaft – durch Terrorismus und Extremismus, aber auch durch Spionage, Sabotage, Desinformation und Cyberangriffe. Hier spiegeln sich die zahlreichen Krisen im In- und Ausland wider.
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