Paris. Entfernt Paris bewusst Obdachlose, Migranten und Prostituierte von den Straßen, um das Image der Stadt zu schönen? Der Verdacht empört.
Ihre Zelte sind verschwunden. Beim prunkvollen Pariser Rathaus, aber auch entlang des malerischen Schleusenkanals Saint-Martin campieren inzwischen keine Migranten mehr. Polizisten haben die langen Reihen buntfarbener Notunterkünfte auf den Gehsteigen seit Mitte April in mehreren Wellen geräumt. Die Flüchtlinge ließen sich meist ohne größeren Widerstand in Busse verfrachten – und wurden rund 400 Kilometer weit in den Jura oder die Bretagne, einige sogar 600 Kilometer weit nach Bordeaux „evakuiert“. Das ist der offizielle Wortlaut.
All dies geschehe wegen der Olympischen Spiele, behaupten nun 80 Hilfswerke. Vor dem Großevent in Frankreich haben sie sich zu einem Kollektiv mit dem vielsagenden Namen „Die Kehrseite der Medaille“ zusammengeschlossen. Ihr Pressesprecher Antoine de Clerck erzählt auf Anfrage, seit Jahren bestehende Zeltlager wie etwa in den Pariser Vororten Saint-Denis oder Vitry seien verschwunden. Das sei „nichts anderes als eine soziale Säuberung“.
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Der Vorwurf ist hart – so hart wie einst gegen die Organisatoren der Spiele von Vancouver (2010) oder Atlanta (1996), die Obdachlose ebenfalls aus der Stadt verbannten. Die Pariser Zeitung Libération unterstellt den Behörden, sie unternähmen alles, damit die Lichterstadt „clean“ werde, wenn die Spiele am 26. Juli begännen. Oder schon eine Woche zuvor, am 18. Juli: Dann gilt entlang der Seine, wo die Eröffnungszeremonie stattfindet, gut eine Woche lang ein „Anti-Terror-Perimeter“.
Pariser Behörden: „Wir wollen das Elend nicht verstecken“
Obdachlose, aber auch Zeltbewohner sind dort unerwünscht. Der Kabinettschef der Polizeipräfektur, Christophe Noël du Payrat, rechtfertigt dies mit dem Argument, dass die „Sans Domicile Fixe“ – die Wohnsitzlosen – auf den Gehsteigen von den Besuchermassen „überrannt“ werden würden. Das klingt für viele Hilfsverbände nach einer Ausrede. Die Präfektur beteuert: „Wir haben uns nie zum Ziel gesetzt, während der Spiele null Obdachlose zu haben. Wir wollen das Elend nicht verstecken.“
Das wäre auch gar nicht möglich: Laut der Präfektur und den Sozialwerken leben im Großraum Paris 100.000 Menschen – die Hälfte von ganz Frankreich – ohne richtiges Dach über dem Kopf. Doch scheinen die Behörden derzeit mehr Eifer an den Tag zu legen als früher, die Zeltlager zu räumen: Das Kollektiv „Kehrseite der Medaille“ hat errechnet, dass die Zahl der Evakuierungen vor den Olympischen Spielen im Vergleich zu den Vorjahren um 38 Prozent zugenommen hat.
Drei Tagesstationen und ein Nacht-Auffanglager seien geschlossen worden, dazu mehrere Ausgabestellen für Essen. Utopia 56, die wichtigste Pariser Organisation für Notübernachtungen, wirft den Behörden zudem vor, dass die 45.000 Polizisten des Olympiaaufgebotes auch die Personenkontrollen verschärft hätten. Und betroffen seien nicht nur Migranten. Auch viele Drogensüchtige halte die Polizeipräsenz davon ab, Auffangstellen wie Les Halles im Pariser Stadtzentrum aufzusuchen.
Olympia: Prostituierte beklagen sich über Personenkontrollen
Beim Eiffelturm beklagen sich wiederum viele der wilden Souvenirverkäufer, sie könnten ihr – ungenehmigtes – Gewerbe nicht mehr ausüben. Ausgerechnet während der Olympiawochen, die einen Rekordumsatz versprächen, verlören sie alle Einkünfte. Ähnlich tönt es aus dem weniger noblen Belleville im volksnahen Ostteil von Paris. Dort regt sich das Prostituierten-Kollektiv „Roter Regenschirm“ darüber auf, dass es „viel mehr Identitätskontrollen“ gebe.
Das gelte nicht nur für die „Marcheuses de Belleville“, die heute vorwiegend chinesischen Trottoir-Marschiererinnen, sondern auch für das Transmilieu in den Stadtwäldern Bois de Boulogne und Bois de Vincennes. „Es stellt sich die Frage, ob die Sexarbeiterinnen während der Olympischen Spiele überhaupt noch arbeiten können“, sagte Berthe de Laon vom „Roten Regenschirm“. „Oder ob sie für die nächsten Wochen Paris verlassen müssen.“
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