Hamburg. Senatsdaten zeigen: Während Kleinerben zur Kasse gebeten werden, vermeiden Großerben das mit Tricks. Was nun geplant ist.

Je größer die Erbschaft, desto öfter werden die Erben in Hamburg von der Erbschaftssteuer ganz oder teilweise befreit. Das ist laut Linksfraktion das Ergebnis einer Auswertung der Daten, die der Senat jetzt in seiner Antwort auf eine Große Anfrage vorgelegt hat. Demnach wurde im Jahr 2021 mehr als jede vierte große Erbschaft oder Schenkung über mehr als 20 Millionen Euro steuerlich begünstigt. Satte 1,2 Milliarden Euro sind im vorvergangenen Jahr laut Linksfraktion vererbt worden, ohne dass von den Erben auch nur ein Cent an Steuern entrichtet worden sei.

„Die Besteuerung von Erbschaften und Schenkungen ist extrem ungerecht“, sagte Linken-Haushaltspolitiker David Stoop dem Abendblatt. „Je höher das Erbe, desto häufiger sind die Beschenkten von der Steuer befreit, weil sie beispielsweise Betriebsvermögen erben, das Vermögen in eine Familienstiftung übergeht oder zu anderen Tricks gegriffen wird.“ Dabei habe das Bundesverfassungsgericht bereits 2014 in einem Urteil darauf hingewiesen, dass die steuerlichen Begünstigungen von Unternehmen in Schenkungen oder Erbschaften unverhältnismäßig seien.

Erbschaftssteuer: „Wer drei Wohnungen vererbt, muss zahlen – wer 300 vererbt nicht“

Die Linke ist mit ihrer Kritik dabei nicht allein. „Ich bin ausdrücklich offen, die Erbschaftssteuer noch gerechter zu machen sowie Gestaltungs- und Umgehungsmöglichkeiten einzuschränken“, sagte SPD-Finanzsenator Andreas Dressel dem Abendblatt. „Angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von 2014 und der harten Haltung von CDU, CSU und FDP dürfte wie zuletzt 2016 der Spielraum für Veränderungen aber leider nicht sehr groß sein.“

Auch die Grünen fordern „seit langer Zeit eine konsequente Reform der Erbschaftssteuer“, wie ihr Hamburger Haushaltspolitiker Dennis Paustian-Döscher betont. „Steuerprivilegien gerade für besonders Vermögende sind unsozial. Wer drei Wohnungen vererbt, muss Erbschaftssteuer bezahlen, wer 300 vererbt, im schlimmsten Fall keinen Cent. Das kennen wir seit Langem und wollen damit Schluss machen.“

Erbschaftssteuer: „40 Kinder unter 14 Jahren bekamen 33 Milliarden Euro – zu 99 Prozent steuerfrei“

Das Netzwerk Steuergerechtigkeit hat kürzlich in einer von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) finanzierten Studie herausgearbeitet, dass Deutschland längst von einer „Leistungsgesellschaft zu einer Erbengesellschaft“ geworden ist. Mehr als die Hälfte des Gesamtvermögens würden in Deutschland mittlerweile ererbt und nicht selbst erwirtschaftet, sagte Studienautorin Julia Jirmann dem Abendblatt mit Blick auf Erhebungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). 300 bis 400 Milliarden Euro pro Jahr würden so den Besitzer wechseln – oft ohne dass dabei (die vollen) Steuern gezahlt würden, weil es so umfassende Ausnahmen für Unternehmen gebe.

Bisweilen treibt diese Entwicklung fast schon bizarr unanständige Blüten. Ein Beispiel: Zwischen 2011 und 2020 haben laut der Jirmann 40 Kinder unter 14 Jahren zusammen rund 33 Milliarden Euro bekommen – „und das zu 99 Prozent steuerbefreit“. Im Durchschnitt sei also 825 Millionen Euro an jedes der Kinder gegangen, fast ohne dass der Staat dafür Steuern bekommen habe.

Erbschaftssteuer: Linke kritisiert, dass Hamburg zu wenig Daten erhebt

Die Linke kritisiert in diesem Zusammenhang auch, dass Hamburg nicht genügend Daten zu Erbschaften und Schenkungen erhebe. So würden etwa Erwerbe durch Stiftungen nicht separat erfasst. Das ist laut Linksfraktion besonders brisant, da diese häufig von Angehörigen als Mittel zur Steuervermeidung eingesetzt würden. „Der rot-grüne Senat, dem der soziale Frieden in der Stadt so wichtig zu sein scheint, verschließt die Augen vor den Steuertricks der Reichen bei Schenkungen oder Erbschaften“, sagte Linken-Haushaltspolitiker Stoop. „Damit muss Schluss sein! Wir brauchen endlich eine gesicherte Datenlage zu Erbschaften in Hamburg, so wie es auf Bundesebene der Fall ist. Wir müssen steuerliche Ungerechtigkeiten verhindern“.

Diese Kritik weist der Finanzsenator zurück. „Wir haben bei der Erbschaftssteuer insgesamt kein Analysedefizit“, sagte Andreas Dressel. „Angesichts der herausfordernden Personalsituation bei der Steuer würde ich meine Mitarbeiter gerne vor allem beim gerechten Steuervollzug und weniger beim Sammeln von Unmengen von Daten einsetzen.“ Insgesamt sieht Dressel derzeit neben den aktuellen Ungerechtigkeiten ein noch viel größeres Problem bei der Erbschaftssteuer: die Klage Bayerns vor dem Bundesverfassungsgericht. CSU-Ministerpräsident Markus Söder will damit erreichen, dass die Freibeträge für Erben erhöht und die Steuersätze regional angepasst werden – schließlich sei ja auch der Wert von Immobilien je nach Standort sehr unterschiedlich. Bisher sind die Vorgaben bundesweit identisch.

Erbschaftssteuer: CSU-Ministerpräsident will Freibeträge weiter erhöhen – Dressel warnt

Hamburgs Finanzsenator Dressel hält gar nichts von Söders Vorstoß. „Die Erbschaftssteuer steht den Ländern zu und ist mit rund 416 Millionen Euro im Jahr 2022 ein unverzichtbarer Einnahmebestandteil für Hamburg“, sagte Dressel dem Abendblatt. „Ehe man sie gerechter ausgestaltet, muss man den aktuellen Angriff der Bayern auf die Erbschaftsteuer abwehren: Weder darf die wahlkampfgeprägte Klage vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg haben noch der CSU-Vorstoß für eine Regionalisierung der Erbschaftssteuer. Auch bei den Freibeträgen für die Erbschaftssteuer sehe ich keinen Spielraum, diese – wie von CSU und FDP gewollt – wegen der Inflation zu vergrößern. Ein voller Inflationsausgleich für Erben ist weder bezahlbar noch verteilungspolitisch prioritär.“

Bei der Frage, wie die Erbschafts- und Schenkungssteuer gerechter gestaltet werden könne, hält Dressel „am ehesten eine Reform der sogenannten Verschonungsbedarfsprüfung für aussichtsreich“. Beim Vererben oder Verschenken von Großunternehmen mit einem Wert des begünstigten Vermögens von mehr als 26 Millionen Euro „wäre eine Mindeststeuer von 10 Prozent und mehr denkbar – oder eine Anhebung des einzusetzenden Anteils des eigenen verfügbaren Vermögens, etwa von derzeit 50 auf 60 Prozent und mehr“, so Dressel. Übersetzt bedeute dies laut Finanzsenator: „Ein bisschen weniger Verschonung würde ein bisschen mehr Gerechtigkeit bringen. Das ist auch Gegenstand von Bund-Länder-Erörterungen.“

Erbschaftssteuer: Jetzt debattiert die Bürgerschaft. Eigener Vorstoß von SPD und Grünen

Am 21. Juni wird das Thema auch in der Hamburger Bürgerschaft debattiert, auf Antrag der Linken. Aus der rot-grünen Koalition heißt es, man arbeite bereits sehr intensiv daran, zu dem Thema auch einen eigenen Antrag einzubringen. Mithin: Das Thema Erbschaftssteuer treibt derzeit fast alle Parteien um – auch und gerade im reichen Hamburg.