Hamburg. Oft wird Großes verkündet, wie einst der Bau der HafenCity. Ob Tschentschers Hafen-Strategie da heranreicht, wird die Zukunft zeigen.
Wenn man als Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg eine Rede vor dem Überseeclub halten darf, liegt es nahe, über den Hafen zu reden. So war es auch dieses Mal. Profund und pointiert zeichnete der Präses des Senats die Entwicklung des Hafens im 19. Jahrhundert nach, bis hin zur Umsiedlung von 20.000 Menschen für den Bau der Speicherstadt. Sein Fazit: Ein Jahrhundert später stehe Hamburg erneut vor einer historischen Herausforderung, die „wiederum eine große Tat“ erfordere.
Es gehe um „die Rückkehr zentrumsnahen Wohnens in einer der reizvollsten Lagen Europas am Elbufer“, sagte der Bürgermeister, der an jenem 7. Mai 1997 noch Henning Voscherau hieß und anlässlich des 75. Geburtstages des Überseeclubs nicht weniger als den Bau der HafenCity ankündigte.
Hafen: Tschentscher-Rede im Überseeclub
Weil das Kind noch keinen Namen hatte, sprach Voscherau damals zwar noch etwas technisch vom „innenstädtischen Hafenrand“. Doch weil er der Stadt bereits äußerst diskret alle nötigen Flächen gesichert und damit ein Mega-Projekt auf die Startrampe geschoben hatte, das dann auch realisiert wurde (und noch immer wird), setzte diese Rede Maßstäbe: Wann immer seitdem ein Bürgermeister vor dem Überseeclub sprach, wurde Großes erwartet, nicht mehr und nicht weniger.
Mit dieser Bürde im Gepäck trat Peter Tschentscher am Mittwochabend zum zweiten Mal in seiner Amtszeit vor dem noblen Club auf – dieser hatte aus Anlass seines 100. Geburtstags den Bürgermeister in den Hörsaal der Bucerius Law School eingeladen. Und wie bei seiner ersten Rede im Jahr 2019, als er über Klimaschutz gesprochen und ankündigt hatte, diesen in einem Bündnis mit der Industrie angehen zu wollen, konnte der Sozialdemokrat diese überhöhten Erwartungen auf den ersten Blick nicht ganz erfüllen. Ein großes neues Projekt oder eine aufsehenerregende Weichenstellung hat man halt selbst als Bürgermeister nicht immer zur Hand.
Tschentscher bekannte sich klar zum Hafen
Dennoch ist nicht auszuschließen, dass Tschentschers Rede über die „Leitlinien einer neuen Hamburger Hafenpolitik“ in einigen Jahren doch als bedeutend eingeordnet wird. Denn bei genauer Betrachtung hat er einige bemerkenswerte Pflöcke eingeschlagen.
Über allem stand das Bekenntnis, dass die Stadt „fest zu ihrem Hafen“ stehe, wie der Bürgermeister sagte. Dabei gehe es nicht nur um das maritime Erbe, sondern darum, „dass der Hamburger Hafen als einziger deutscher Seehafen dieser Größenordnung von nationaler Bedeutung ist für den Klimaschutz, die Wirtschaft und die Versorgungssicherheit in Deutschland“, so Tschentscher.
Grünen weisen auf ökologische Folgen hin
Das wird zwar von niemandem ernsthaft infrage gestellt. Doch immerhin haben die Sozialdemokraten mit den Grünen einen Koalitionspartner, der sich hin und wieder die Freiheit nimmt, darauf hinzuweisen, dass auch die ach so umweltfreundlichen Schiffe immer noch mit extrem dreckigem Schweröl fahren, dass die Elbvertiefung auch ökologische Folgen hat und dass die permanent nötige Ausbaggerung des Flusses und Verklappung der Sedimente auf hoher See zumindest alles andere als nachhaltig ist.
Opposition und Wirtschaft, unterschwellig auch mal die SPD, nutzen solche Gelegenheiten gern aus, den Grünen eine gewisse Hafenfeindlichkeit zu unterstellen. Das wird in der Ökopartei zwar als „Folklore“ abgetan. Man stehe fest zum Hafen, sagt ein führendes Mitglied. Dennoch habe man Verständnis dafür, dass der Bürgermeister die Gelegenheit genutzt habe, auf großer Bühne ein maritimes Bekenntnis abzulegen.
Tschentscher will Landstromversorgung voranbringen
Geradezu erfreut wurde bei den Grünen registriert, dass Tschentscher nicht nur die Bedeutung des Hafens zementiert hat, sondern auch seine Funktion für den Kampf gegen den Klimawandel. Dass er die Landstromversorgung der Schiffe gemeinsam mit Rotterdam und Antwerpen forcieren will, dass er auf die Produktion von grünem Wasserstoff in Moorburg setzt, sich weitere Windräder im Hafengebiet vorstellen kann und die im europäischen Vergleich jetzt schon erstklassige Schienenanbindung des Hafens weiter ausbauen will – all das wird von den Grünen geteilt.
Daher haben sie diesen Satz des Bürgermeisters auch generös überhört: „Wer den Umwelt- und Klimaschutz ernst nimmt, darf den Hafen nicht bekämpfen, sondern muss ihn unterstützen.“
"Grund und Boden im Hafen bleibt Eigentum der Stadt"
Und wer weiß? Sollte Hamburg eines Tages das von Tschentscher ausgegebene Ziel erreichen, „der modernste, der digitalste und nachhaltigste Hafen der Welt zu werden“ – vielleicht werden die Historiker dann jene Rede vom 6. April 2022 als Keimzelle einer erfolgreichen Strategie identifizieren.
In zwei anderen Punkten hat Tschentscher sogar ein klares Machtwort gesprochen. Punkt eins: „Der Grund und Boden im Hafen bleibt immer Eigentum der Stadt.“ Selbst wenn sich irgendwann eine Reederei an einem Terminal beteiligen sollte – Interesse gibt es durchaus – kaufe sie nicht Teile des Hamburger Hafens, „sondern sie beteiligt sich an einem Unternehmen, das Mieter im Hafen ist“, so der Bürgermeister. Damit bleibt er seiner bisherigen Flächen- und Immobilienpolitik treu: Den Verkauf städtischen Eigentums durch die früheren CDU-Senate hatte Tschentscher stets scharf kritisiert.
Hapag-Lloyd-Aktien werden nicht verkauft
Zweitens: „Die Stadt wird Ankeraktionär der Hapag-Lloyd AG bleiben.“ Mit diesem Satz beendete Tschentscher alle Spekulationen um einen möglichen Verkauf des 13,9-Prozent-Anteils an der Reederei. Diese waren aufgekommen, weil die Aktien derzeit mit mehr als sieben Milliarden Euro ein Vielfaches dessen wert sind, was die Stadt einst bezahlt hatte.
Doch dem jetzigen Bürgermeister war es, ebenso wie Vorgänger Olaf Scholz, beim Kauf der Anteile vorrangig um Standortpolitik gegangen, wie er jetzt erneut betonte: Die Beteiligung sichere ab, dass sich „der Hauptsitz und der wesentliche Geschäftsbetrieb des Unternehmens in Hamburg befinden“, so Tschentscher. Geld verdiene man damit im Übrigen ja auch – allein in diesem Jahr überweist die Reederei 850 Millionen Euro an Dividende. Zumindest in puncto Flächen- und Beteiligungspolitik war diese Rede also durchaus eine bedeutende Standortbestimmung.
Ole von Beust wollte Wahrzeichen schaffen
Inwiefern das darüber hinaus gilt, bleibt abzuwarten. Mitunter ändert sich die Bewertung auch im Laufe der Jahre. So war es etwa nach der Rede von Ole von Beust im September 2003 vor dem Überseeclub.
„Wir brauchen ein Wahrzeichen der Stadt für das 21. Jahrhundert, das internationale Ausstrahlung hat“, hatte der CDU-Bürgermeister mit Blick auf die geplante HafenCity betont und vielsagend hinzugefügt: „Dies kann eine Philharmonie auf dem Kaispeicher A sein. Dies kann das neue Herzstück des Überseequartiers sein. Auf jeden Fall muss es etwas sein, das höchsten internationalen Ansprüchen genügt, über das man spricht und das mit dem Gesicht Hamburgs mindestens so verbunden wird wie das Opernhaus mit Sydney.“
Gérard entwickelte Idee für Konzerthaus
Noch heute wird diese Rede gelegentlich als eine Art Geburtsstunde für die Elbphilharmonie eingeordnet – die dann ja auch tatsächlich gebaut wurde. Zur Wahrheit dazu gehört allerdings, dass die Idee für ein Konzerthaus im oder auf dem Kaispeicher A zu dem Zeitpunkt schon zwei Jahre alt war, nicht vom Bürgermeister stammte, sondern von dem Projektentwickler Alexander Gérard und seiner Frau Jana Marko und dass von Beust sie lange abgelehnt hatte – weil sein Senat dort einen Neubau für den „MediaCityPort“ vorgesehen hatte.
Immerhin: Mit jener Rede gab der Bürgermeister dem beträchtlichen öffentlichen Druck nach, den faszinierenden Entwurf der Architekten Herzog & de Meuron genauso zu realisieren. Hätte er diesen Mut nicht gezeigt, hätte er Hamburg zwar den größten Bauskandal seiner Geschichte erspart, aber es gäbe heute halt auch keine Elbphilharmonie.
Hafen: Reden im Überseeclub sind von Bedeutung
Apropos: Auch Henning Voscherau hatte den Kaispeicher A bereits im Blick, aber er hätte ihn am liebsten „zur Staatskanzlei des norddeutschen Ministerpräsidenten“ umbauen lassen, wie er 1997 vor dem Überseeclub bekannte. Dabei zeigte er sich in einem Detail als geradezu visionär: Würde man in die Westfassade des wuchtigen Backsteinklotzes eine Panoramascheibe einbauen, hätte man „einen Blick bis hin zur Kugelbaake“, soll Voscherau laut Redemanuskript gesagt haben. Das darf zwar als bewusste Übertreibung des auch schauspielerisch talentierten Bürgermeisters gewertet werden – dieses Seezeichen steht in der Elbmündung bei Cuxhaven!
Fakt ist gleichwohl: 20 Jahre nach Voscheraus Rede wurde die Elbphilharmonie eröffnet – sie ruht auf dem Kaispeicher A, und an eben jener Stelle, am Ende der Tube, hat dieser nun ein großes Panoramafenster. Der Blick ist tatsächlich sensationell. Insofern lohnt es sich immer, Bürgermeister-Reden vor dem Überseeclub genau zu verfolgen.