Hamburg. Opposition wirft dem Hamburger Schulsenator fehlende Transparenz bei Untersuchung zu Corona-Ausbruch an Winterhuder Schule vor.

CDU und Linke haben anderthalb Wochen vor einer mit Spannung erwarteten Sitzung des Schulausschusses am 21. Januar ihre Kritik an Schulsenator Ties Rabe (SPD) verschärft. Anlass sind Antworten des Senats auf Kleine Anfragen der CDU-Schulpolitikerin Birgit Stöver und der Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus, die dem Abendblatt exklusiv vorliegen. Die beiden Politikerinnen wollten in ihren Anfragen vom Senat wissen, wann Rabe von den Ergebnissen der Untersuchung zum Corona-Ausbruch an der Heinrich-Hertz-Schule (HHS) durch UKE und Heinrich-Pette-Institut gewusst habe und warum diese nicht „sofort und umfänglich“ auch der Öffentlichkeit mitgeteilt worden seien.

Wie berichtet, war erst kurz vor Weihnachten auf die Anfrage einer Bürgerin im Rahmen des Transparenzgesetzes von der Sozialbehörde offiziell und unmissverständlich mitgeteilt worden, dass sich die allermeisten der mehr als 30 Infektionen bei Schülern und Lehrern im September wohl auf eine einzige Person in der Schule zurückführen ließen – das Virus sich hier also fast ausschließlich in der Schule verbreitet hatte.

Hamburg: Wo haben sich die Schüler mit Corona infiziert?

Noch am 19. November hatte Rabe in einer Pressekonferenz eine von seiner Behörde durchgeführte Erhebung präsentiert, nach der sich in Hamburg rund 80 Prozent der bisher nachweislich infizierten Schüler oder Lehrer außerhalb der Schulen angesteckt hätten. Die ersten Untersuchungsergebnisse zum HHS-Ausbruch, die dieser Grundthese widersprechen, wurden von Rabe dabei nicht gesondert hervorgehoben – obwohl sie dem Senator bereits bekannt waren, wie sich nun auch aus den Senatsantworten ergibt. 

Darin teilt der Senat jetzt mit, dass die Schulbehörde bereits „in einem ersten Zwischenergebnis am 29. September 2020“ vom Gesundheitsamt über die HHS-Untersuchung informiert worden sei. Demnach hätten sich bei dem Ausbruch acht Proben aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr sequenzieren lassen. „Von 28 Proben hätten 25 einen Rückschluss auf eine gemeinsame Ursprungsquelle und mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Übertragung im Schulzusammenhang ergeben“, so die Senatsantwort. „Vor diesem Hintergrund und des sich hinziehenden Verfahrens ist die für Bildung zuständige Behörde bei ihren Veröffentlichungen weiterhin von der höheren Zahl von 34 schulintern infizierten Personen ausgegangen und hat die niedrigere Zahl von 25 nicht verwendet.“ Welche Veröffentlichungen damit gemeint sein sollen, blieb zunächst unklar.

Schulsenator Rabe ist eine Erklärung schuldig geblieben

Auch auf Nachfrage hat die Schulbehörde keine Pressemitteilungen vorgelegt, in der sie bereits im Herbst unmissverständlich mitteilte, dass der HHS-Ausbruch fast ausschließlich durch Infektionen in der Schule zustande gekommen war. Vielmehr hieß es stets lediglich, dass es auch Infektionen in der Schule gegeben habe – ohne den Umfang klar herauszustellen.

„Anders als öffentlich dargestellt“, habe „weder die für Bildung zuständige Behörde noch der zuständige Senator öffentlich erklärt, dass es keine Infektionen in den Schulen gibt“, heißt es in der Senatsantwort auf die CDU-Anfrage. „Beide haben vielmehr öffentlich erklärt, dass sich im Durchschnitt über alle Schulen die infizierten Schülerinnen und Schüler mehrheitlich nicht in der Schule selbst, sondern außerhalb der Schule infiziert haben. Von solchen Durchschnittswerten kann die Infektionslage einer einzelnen Schule durchaus abweichen.“ Nicht erwähnt wird hier, dass es mittlerweile auch weitere große Coronaausbrüche an Hamburger Schulen gegeben hat, etwa an der Schule auf der Veddel mit 94 Infizierten und an der Ida Ehre Schule mit 55.

Coronavirus: Die interaktive Karte

CDU und Linke quittierten die Antworten der Schulbehörde auf ihre Anfragen mit deutlicher Kritik. „Senator Rabe irrlichtert weiter durch die Hamburger Schullandschaft und hält bis heute unbeirrt an seiner Behauptung fest, Schulen seien sichere Orte“, sagte CDU-Fraktionschef Dennis Thering. „Dabei hat die Studie zur Heinrich-Hertz-Schule eben genau das Gegenteil bewiesen. Schulen können unsichere Orte sein. Rabe hatte viele Gelegenheiten seinen Irrtum öffentlich einzuräumen und daraus für die Digitalisierung des Unterrichts und den Fern- und Wechselunterricht wichtige Konsequenzen abzuleiten. Das hat er nicht getan.“

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Die Schulbehörde habe die Schulen „daher leider nach wie vor nicht ausreichend auf den weiteren Lockdown vorbereitet“, so Thering. „Das ist grob fahrlässig und gefährdet die Bildungschancen unserer Kinder.“

In ihrer Anfrage verwies CDU-Schulpolitikerin Stöver auch auf eine neuere Studie aus Leipzig und eine umfassende Untersuchung aus Wien, nach der sich das Virus in Schulen genauso stark verbreite wie außerhalb und es bei der Virenbelastung keine Unterschiede zwischen älteren und jüngeren Schülern oder Lehrern gebe. Mit Blick auf den Umgang Rabes mit der HHS-Untersuchung sagte Stöver: „Es bleibt ein Rätsel, warum der Schulsenator diese Ergebnisse gegenüber der Öffentlichkeit und der Bürgerschaft nicht transparent kommuniziert hat. Zumal er in seiner Pressekonferenz am 19. November 2020 die Gelegenheit hatte.“ 

Corona-Neuinfektionen: Kann ein Schul-Gipfel helfen?

Linken-Fraktionschefin Boeddinghaus nannte die Argumentation des Senators „wenig glaubwürdig“. Rabe habe „von Anfang an mit seiner zu keinem Zeitpunkt mit wissenschaftlich fundierten Zahlen belegten These ‚die Schulen sind sichere Ort‘ ins Abseits katapultiert und findet nicht zurück zu einem vernünftigen Vorgehen“, so Boeddinghaus. „Während er am 19. November mit großer Geste und großem Hofstaat unbewiesene Hamburger Zahlen präsentiert, die belegen sollen, dass es in der Schule nur zu ganz wenigen Ansteckungen kommt, scheint er valide Studienergebnisse über das Infektionsgeschehen an der Heinrich-Hertz-Schule der Öffentlichkeit vorenthalten zu wollen, obwohl er sie zum Zeitpunkt seiner Pressekonferenz bereits kannte“.

Die Linken-Politikerin forderte erneut einen Schulgipfel mit allen Beteiligten, also Schulen, Verbänden, Initiativen, Gewerkschaften, Kammern und Politik. Dazu, dass die Behörde im Januar 2021 bedauere, „dass es allerorten technische Problem gibt und sie sich nun um Verbesserung bemüht“, falle ihre „wirklich nichts mehr ein“, so die Fraktionschefin. „Nahezu ein ganzes Jahr hatte sie Zeit, die Schulen technisch vorzubereiten und auszustatten. Ich nenne das Arbeitsverweigerung.“

Virologe Christian Drosten zum Infektionsgeschehen an den Schulen

Die Schulbehörde wies die Kritik auch auf Abendblatt-Anfrage zurück, sie sei nicht offen genug mit den Ergebnissen der Untersuchung des Ausbruchs an der Heinrich-Hertz-Schule umgegangen. Man habe in unterschiedlichen Pressemitteilungen darüber informiert, dass es im Fall der HHS auch Infektionen in der Schule gegeben habe, so Behördensprecher Peter Albrecht.

So habe man am 29. September eine Mitteilung herausgegeben, in der es geheißen habe: „Zum jetzigen Zeitpunkt ist davon auszugehen, dass sich die Betroffenen von 146 der 149 Schulen außerhalb der Schule infiziert haben. Eine Ausnahme bilden bislang die beiden Winterhuder Stadtteilschulen Heinrich-Hertz-Schule und Stadtteilschule Winterhude, möglicherweise aber auch die Julius-Leber-Schule (Stadtteilschule in Schnelsen). Dort haben sich vermutlich Schüler und Schulbeschäftigte sowohl außerhalb als auch innerhalb der Schule selbst infiziert. Die Infektionswege werden zurzeit noch erforscht.“ Zudem seien einzelne Journalisten auf Nachfrage über die Zahlen der Infektionen in den Schulen informiert worden. 

Mittlerweile teilte der Senat auch mit, wann die von der Kultusministerkonferenz in Auftrag gegebene Studie vorliegen soll, die das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig erstellt und in die Hamburgs Daten eingehen sollen. Mit dem Abschlussbericht sei im Herbst diesen Jahres zu rechnen, so der Senat – also in einer Zeit, zu der die Pandemie hoffentlich bereits unter Kontrolle ist. Immerhin würden „erste Ergebnisse“ im Frühjahr erwartet und ein „Zwischenbericht im Sommer“.

Der Berliner Virologe Christian Drosten machte derweil am Wochenende auf Twitter erneut deutlich, dass Schulen nach seiner Einschätzung sehr wohl eine wichtige Rolle auch in dieser Pandemie spielen. Dabei verwies der Wissenschaftler auf neuere Daten aus England und verlinkte die entsprechende Quelle. „So waren die altersspezifischen Prävalenzen vor Weihnachten in England (office for national statistics, ONS): Erwachsene gut 1%, Realschulalter ca. 3% , Kita/Grundschule ca. 2%. Dies sind jeweils die wochenbezogenen PCR-Positiven in repräsentativen Haushalten. Schulen offen“, schrieb er in einem ersten Tweet.

Und dann im zweiten: „So ist es nach den Feiertagen. Bei Schülern sinkt die Prävalenz, bei Erwachsenen steigt sie (beachte: 35-49=Eltern). Bestehen immer noch Zweifel an der Rolle des Schulbetriebs bei der Verbreitung von SARS-CoV-2?“