Hamburg. Finanzpolitik war für den Bürgermeister schon immer wichtig. Das zeigt auch die Politik des SPD-Manns in seiner Heimatstadt.


Olaf Scholz soll Bundesfinanzmister werden. Als dieser Plan vor gut zwei Wochen publik wurde, schlug die Nachricht wie eine Bombe ein – zumal Scholz kurz zuvor noch beteuert hatte, auf jeden Fall in Hamburg bleiben zu wollen. Bundesminister? War er doch schon mal, das reize ihn nicht mehr, hatte er mehrfach durchblicken lassen. Doch wer Scholz’ sieben Jahre als Bürgermeister Revue passieren lässt, kommt zu dem Schluss: Das passt nicht nur, das ist ein beinahe logischer Schritt.

Als er Anfang 2011 als Spitzenkandidat das Regierungsprogramm seiner SPD für die Bürgerschaftswahl vorstellte, lautete der erste Punkt: „Solide Finanzen“. Und das war kein Zufall, sondern ein bewusstes Statement.

Er setzte der Krise „solide Finanzen“ entgegen

Scholz hatte als SPD-Landesvorsitzender beobachten können, wie die schwarz-grüne Koalition auch und vor allem am Geld zerbrochen war: Die Finanzkrise hatte das Missmanagement bei der HSH Nordbank schonungslos offengelegt, dazu der dramatische Einbruch der Steuereinnahmen und der hilflose Versuch, mit einem großen Sparpaket dagegen anzukommen. Schließlich die massiven Proteste gegen einzelne Maßnahmen, wie die Schließung des Altonaer Museums.

Für den gewieften Strategen Scholz war seinerzeit klar, dass er dem etwas entgegensetzen musste, was Vertrauen schafft, was dem Vorwurf entgegenwirkt, Politiker könnten nicht mit Geld umgehen: „Solide Finanzen“.

drei klare Ansagen an die Senatoren

Das war aber keine leere Worthülle, sondern dahinter steckte ein ebenso einfaches wie kluges Konzept, das Scholz und sein Finanzexperte Peter Tschentscher (SPD) – er wurde kurz darauf Finanzsenator – ausgetüftelt hatten. Um die von der SPD geplanten Mehrausgaben für weitgehend gebührenfreie Kitas und Unis, mehr Lehrer und bessere Straßen finanzieren zu können, wurden drei klare Ansagen gemacht: In der Verwaltung sollten pro Jahr 250 Vollzeitstellen abgebaut werden. Jeder Senator sollte das von US-Präsident Bill Clinton geprägte Prinzip „Pay as you go“ beachten: Was mehr ausgegeben wird, muss an anderer Stelle eingespart werden.

Dritter und wichtigster Punkt: Die Ausgaben der Stadt sollten nie um mehr als ein Prozent pro Jahr steigen. Dahinter steckte die Erkenntnis, dass Einnahmen der Stadt im Mittel um gut zwei Prozent pro Jahr steigen. Also rechneten Scholz und Tschentscher zurück, um wie viel die Ausgaben maximal steigen dürfen, damit die Linien sich spätestens zum Einsetzen der Schuldenbremse 2020 kreuzen. Antwort: ein Prozent, später korrigiert auf 0,88 Prozent. Eine ganz einfache Rechnung, die politische Herausforderung bestand vielmehr darin, diese Vorgabe auch durchzusetzen.

Zwischen erfolgreichem Sanierer und Sparkommissar

Nimmt man nur die Haushaltsabschlüsse der vergangenen Jahre, war die Disziplin bemerkenswert: In jedem einzelnen Jahr seit 2011 schnitt die Stadt am Jahresende besser ab als geplant, schon seit 2014 werden Überschüsse erzielt, 2017 gar die unvorstellbare Summe von fast einer Milliarde Euro. Mit anderen Worten: Sollte Scholz, ein Ja der SPD zur Großen Koalition vorausgesetzt, als Finanzminister ins Bundeskabinett wechseln, kommt er als erfolgreicher Haushaltssanierer.

Doch diese Geschichte hat auch andere Seiten. Eine geht so: Die Ein-Prozent-Regel war für soziale Einrichtungen, Theater, aber auch Bezirke und viele andere Zuwendungsempfänger ein knallhartes Sparprogramm. Ihre Personalkosten stiegen um viel mehr als ein Prozent, sodass sie zum Sparen gezwungen waren. Gewerkschaften und die Linkspartei kritisierten Scholz daher als „Sparkommissar“, der die soziale Spaltung der Stadt vorantreibe.

Nicht Spar- sondern Einnahmeweltmeister

In krassem Gegensatz dazu stand die Kritik von CDU und FDP: Sie warfen dem SPD-Senat stets vor, lediglich von den immer neuen Rekord-Steuereinnahmen zu profitieren, kaum Sparanstrengungen zu zeigen und die Ausgaben immer weiter zu steigern. „Olaf Scholz ist zuletzt insbesondere als ein Politiker aufgefallen, der viel Geld ausgegeben hat“, sagt CDU-Finanzexperte Thilo Kleibauer. Sein Fazit: „Rot-Grün gibt in dieser Wahlperiode in Hamburg mindestens drei Milliarden Euro mehr aus als beim Abschluss der Koalition noch vorgesehen.“

Auch das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Denn der Scholz-Senat hat zwar einerseits immer auf die Einhaltung der Ein-Prozent-Regel gepocht und sogar ein Finanzrahmengesetz verabschiedet, das der Stadt exakt vorgibt, wie viel Geld sie maximal ausgeben darf. Doch dieser Rahmen wurde mehrfach um etliche 100 Millionen Euro pro Jahr erweitert und so den Rekord-Steuereinnahmen angepasst.

Schuldenlast unter Scholz deutlich gewachsen

Und diesen neuen Spielraum nutzte der Senat auch aus – sei es, um die enormen Kosten für Flüchtlinge stemmen zu können, sei es, um singuläre Probleme aus dem Weg zu räumen. Den völlig verfahrenen Konflikt um die Elbphilharmonie löste Scholz durch eine Neuordnung der Verträge – und einen Nachschlag von 250 Millionen Euro für Architekten und Baufirma. Mehreren Initiativen im Kita- und Schulbereich nahmen seine Verhandler den Wind aus den Segeln, indem sie sehr teuren Kompromissen zustimmten. Und die Sauberkeitsoffensive, die eigentlich durch eine neue Gebühr finanziert werden sollte, konnte nach heftigen Protesten plötzlich doch aus dem Haushalt bezahlt werden.

Dazu passt, dass trotz erfolgreicher Haushaltspolitik die Schulden der Stadt unter Scholz stark angestiegen sind – was aber vor allem daran lag, dass Hamburg und Schleswig-Holstein nach und nach für die Probleme der HSH Nordbank zur Kasse gebeten wurden. Vielleicht kann man es so zusammenfassen: Der Finanzpolitiker Olaf Scholz legt durchaus Wert auf Haushaltsdisziplin und verlangt das auch von allen Regierungsmitgliedern. Aber er scheut sich nicht, zusätzliches Geld auszugeben, wenn er es inhaltlich und politisch für geboten hält.

Die Finanzen sind bald fest in Hamburger Hand

So ein Fall dürfte zum Beispiel die EU werden. Scholz’ Interesse am Bundesfinanzministerium hängt auch stark mit dem internationalen Einfluss des Hauses zusammen – etwa auf die Finanzbeziehungen in der Europäischen Union. Dass der Sozialdemokrat nicht davor zurückschrecken dürfte, den deutschen Anteil am EU-Haushalt zu erhöhen, um die schwächelnde Gemeinschaft zu stärken, ist im Koalitionsvertrag schon abzulesen: „Wir wollen die EU finanziell stärken, damit sie ihre Aufgaben besser wahrnehmen kann“, heißt es dort. „Dafür werden wir bei der Erstellung des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens Sorge tragen.“

Bezeichnenderweise hat sich Scholz vor allem auf Bundesebene einen Namen als Finanzpolitiker gemacht. Die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen war maßgeblich sein Werk. Die Bundesländer hatten den Hamburger Bürgermeister zu ihrem Verhandlungsführer ernannt, und der hatte in unzähligen Treffen mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) einiges herausgeholt. Um rund 9,5 Milliarden Euro pro Jahr werden die Länder besser gestellt. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass nun ausgerechnet Scholz mit den Folgen für den Bundeshaushalt leben muss, wie nicht nur Thilo Kleibauer bemerkt: „Nun muss er die Zeche selbst zahlen, das wird ein interessanter Rollenwechsel.“

Das System Scholz nach Berlin transferrieren

Auf welche Rolle Scholz Wert legt, war auch in den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, CDU und CSU zu beobachten. Viele Hamburger Senatoren waren daran beteiligt – nicht jedoch Finanzsenator Tschentscher. Denn über Geld verhandelte der Chef persönlich. Man ahnt, welche Überschrift die Passage im Koalitionsvertrag trägt: „Solide Finanzen“.

Dennoch arbeiten Scholz und Tschentscher seit Jahren eng zusammen. Und das dürfte sich in der neuen Rollenverteilung durchaus fortsetzen. Wenn der Bundesfinanzminister Scholz den Vorsitzenden der Länder-Finanzministerkonferenz anruft, meldet sich – Peter Tschentscher. Das Thema Finanzen ist in Deutschland bald fest in Hamburger Hand.