Hamburg. Zahl der Hassdelikte steigt: Justizsenator Till Steffen will Koordinierungsstelle einrichten und mit Medienhäusern kooperieren.
Die Zahl der Delikte, die seit dem 1. Juli 2018 bundesweit unter dem Begriff Hasskriminalität zusammengefasst werden, ist in Hamburg deutlich gestiegen. Registrierte die Staatsanwaltschaft im zweiten Halbjahr des vergangenen Jahres 77 Fälle, so stieg die Zahl im ersten Halbjahr 2019 auf 102 Taten an – ein Plus von gut 30 Prozent. Im Vordergrund stehen Ermittlungsverfahren mit einem fremdenfeindlichen (96 Fälle seit Mitte 2018), antisemitischen (46 Fälle) sowie islamfeindlichen Hintergrund (23 Fälle). Rund 40 Prozent der Taten wurden im Internet durch Hassmails und Hasspostings verübt.
Besonders deutlich ist der Zuwachs im Vergleich der beiden Halbjahre im Bereich der Ermittlungsverfahren wegen fremdenfeindlicher Delikte (von 44 auf 52 Fälle), islamfeindlicher Delikte (von vier auf 19 Fälle) sowie Taten, die sich gegen die sexuelle Orientierung oder Identität richten (von drei auf 13 Fälle). Es geht vor allem um die Straftatbestände der Volksverhetzung und Gewaltdarstellung (78 Fälle), Beleidigung (48 Fälle), Körperverletzung (24 Fälle) sowie die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen wie etwa Hakenkreuze (13 Fälle). Die Zahlen aus der Justizbehörde liegen dem Abendblatt exklusiv vor.
Zusammenhang zwischen Hassmails und Gewalttaten
„Es gibt offenkundig einen Zusammenhang zwischen Hassmails und -postings und Gewalttaten, wie der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke gezeigt hat“, sagte Justizsenator Till Steffen (Grüne) im Gespräch mit dem Abendblatt. Der mutmaßliche Täter Stephan E. hatte früher Hasskommentare verfasst und sich in einschlägigen rechtsextremistischen Foren bewegt.
Steffen führt den in Hamburg registrierten Anstieg in diesem Deliktfeld auf ein verändertes Anzeigeverhalten der Betroffenen, aber auch eine bessere Erfassung der Straftaten durch die Staatsanwaltschaft zurück. Viele Beleidigungen und Drohungen im Netz würden dennoch nicht zur Anzeige gebracht. „Wir haben augenscheinlich ein Dunkelfeld. Die entscheidende Frage ist, wie wir die Hasskriminalität besser zu fassen bekommen. Da müssen wir besser werden“, sagte Steffen.
Internetnutzer zeigen Hasskommentare meist nicht an
Aus Sicht des Senators muss es darum gehen, das Hellfeld zu verbreitern sowie strafbare Beleidigungen und Körperverletzungen nicht zu ignorieren. „Je mehr Augenzeugen, desto größer ist die Chance, Straftäter im Bereich rechter Gewalt zu belangen. Zudem werden Wiederholungstäter eher entdeckt“, sagte Steffen. Gerade bei Internetnutzern herrsche häufig die Einstellung vor, Hasskommentare nicht anzuzeigen. Medienunternehmen und soziale Netzwerke würden infolge der Vorgaben des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) strafrechtlich relevante Hassreden im Netz überwiegend löschen statt sie anzuzeigen und so die Strafverfolgung verhindern.
Steffen will zur effektiveren Bekämpfung der Hasskriminalität vor allem im Internet ein neues Projekt starten, das sich an einem Vorbild aus Nordrhein-Westfalen orientiert. „Verfolgen statt nur Löschen – Rechtsdurchsetzung im Internet“ läuft seit dem vergangenen Jahr. Das Sonderdezernat ist bei der 2016 gegründeten „Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen“ der Staatsanwaltschaft angesiedelt. Die Staatsanwälte verfolgen gravierende Fälle politisch motivierter Hassrede im Internet und kooperieren mit Medienhäusern wie WDR, RTL und Zeitungen.
Kooperation mit den Unternehmen gibt es bislang nicht
„Dieses Konzept wollen wir übernehmen und ausbauen“, sagte Steffen. Dazu soll die Koordinierungsstelle „OHNe Hass – Offensiv gegen Hass im Netz“ eingerichtet werden. Erstes Ziel werde es sein, Anzahl und Qualität der von Medienunternehmen erstatteten Anzeigen zu erhöhen. Eine entsprechende Kooperation mit den Unternehmen gibt es bislang nicht.
In Nordrhein-Westfalen sind Redakteure weitergebildet worden, um erkennen zu können, was noch von der Meinungsfreiheit gedeckt und was strafrechtlich relevant ist. Für Anzeigen gibt es ein digitales Standardverfahren. Steffen sieht als mögliche Kooperationspartner die in Hamburg ansässigen Medienhäuser einschließlich Google und Facebook, die ihre Deutschlandzentralen in Hamburg haben, sowie die Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein.
Strukturen und Hintermänner besser erkennen
Das zweite Ziel geht über die NRW-Initiative hinaus: Auch Anzahl und Qualität der Anzeigen der Betroffenen sollen erhöht werden. Steffen will Beratungs- und Präventionsprojekte sowie Nichtregierungsorganisationen einbinden, damit die Koordinierungsstelle „OHNe Hass – Offensiv gegen Hass im Netz“ das Anzeigeverhalten und die Anzeigemotivation besser analysieren und konkrete Maßnahmen zur Erhöhung der Anzeigebereitschaft entwickeln kann.
Letztlich geht es darum, die Kommunikation der Beteiligten durch die Koordinierungsstelle zu verbessern. „Wir wollen eine direkte Ansprache der Betroffenen. Die Justiz übernimmt eine aktive Rolle. Wir wollen nicht warten“, sagte Steffen. Der Verfolgungsdruck auf die Urheber von Hasspostings soll so erhöht und die Staatsanwaltschaft in die Lage versetzt werden, Strukturen und Hintermänner besser zu erkennen. „Auch auf diesem Weg soll das Vertrauen in den Rechtsstaat gestärkt werden“, sagte der Grüne.