Hamburg. Angriffe auf Merkel, Gerechtigkeit, Löhne, Renten, Kitas – SPD-Kandidat Martin Schulz dreht in Hamburg auf und geht auch Trump an.
Man kann Martin Schulz ja vielleicht dies und das vorwerfen. Das in diesem Sommer eher mittelmäßige Wetter aber nicht. Im Gegenteil: Am Donnerstagabend brachte der SPD-Kanzlerkandidat die Sonne nach Hamburg zurück. Als Schulz pünktlich um 19 Uhr die Michelwiese betrat und zunächst Dutzenden Genossen die Hände schüttelte, da wölbte sich der Himmel nach zwei grauen Tagen endlich wieder tiefblau über der Stadt — und über dem in der Partei einst als Erlöser gefeierten „Sankt Martin“.
Nach einem etwas müde wirkenden Start, bei dem er Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz und die sechs SPD-Direktkandidaten lobte, redete sich Schulz dann aber schnell warm. Zunächst stellte er mal klar, wer aus seiner Sicht für Mindestlohn, Rekordbeschäftigung und die kürzlich beschlossenen „Ehe für alle“ verantwortlich sei: die SPD natürlich.
"Konservativer Block verhindert Fortschritte"
„Deutschland geht es gut, wenn die SPD regiert“, sagte Schulz vor den etwa 2000 Zuschauern. „Aber Deutschland kann mehr, wenn ein Sozialdemokrat Bundeskanzler ist. In unserem Lande geht es nicht gerecht zu. Wir wollen Deutschland verbessern. Aber der konservative Block um Frau Merkel und Herrn Seehofer in der Koalition verhindert Fortschritte.“
Bundeskanzlerin Merkel persönlich habe zum Beispiel die nötige Verschärfung der Mietpreisbremse gestoppt. Sie persönlich habe verhindert, dass die Auswüchse der Leiharbeit beseitigt würden. Deswegen sei sie auch persönlich dafür verantwortlich, dass heute zwei Männer, die nebeneinander am Fließband stünden, völlig unterschiedlich verdienten: einer nach Tarif und einer deutlich schlechter.
Merkel habe auch ein Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit unmöglich gemacht. „Deutschland geht es gut, aber nicht allen Menschen in diesem Land. Wir finden uns nicht mit den Ungerechtigkeiten ab“, sagte Schulz — und betonte: „Es gibt klare Alternativen bei der Bundestagswahl.“ Es dürfe zum Beispiel auch nicht mehr sein, dass mancher, der beim Arzt viel später ins Wartezimmer komme, viel schneller drangenommen werde — bloß weil er eine bessere Versicherung habe. „Wir wollen die solidarische Bürgerversicherung, in der alle gleich behandelt werden.“
"Immer mehr prekäre Beschäftigung"
Im Arbeitsleben müsse das „unbefristete tarifliche Arbeitsverhältnis wieder der Normalfall in Deutschland werden“, so Schulz. Der Satz der CDU, sozial sei alles, was Arbeit schaffe, stimme eben nicht, wenn es immer mehr prekäre, schlecht bezahlte und unsichere Arbeitsplätze gebe. Auch die sozialen Berufe müssten aufgewertet und die Ausbildung in den Pflegeberufen gebührenfrei werden.
„Wir wollen Familien in den Mittelpunkt unserer Politik rücken“, so der Kanzlerkandidat, der in seiner Rede routiniert das Wahlprogramm der SPD abspulte. „Überall in Deutschland wollen wir die Kitagebühren abschaffen und einen Rechtsanspruch auf Betreuung festschreiben.“ Es müsse außerdem mehr Ganztagsschulplätze geben.
Renten: Schulz fordert neuen Generationenvertrag
Nächster Programmpunkt: die Renten. Deutschland brauche einen „neuen Generationenvertrag mit stabilen Renten und stabilen Beiträgen“, sagte Schulz und rief unter dem Jubel der Genossen im Publikum: „Ein Land wie Deutschland muss doch verdammt noch mal die Würde im Alter absichern können.“
Für Gelächter sorgte der Kandidat, als ein vorbeifahrender Einsatzwagen der Polizei mit seinen Sirenen mehrfach seine Rede störte. „Der hat wohl was gegen mich“, so Martin Schulz. „Ich sage den Beamten die mit mir fahren, ja immer, dass das Martinshorn nach mir benannt wurde. Aber die glauben mir das nie.“
Im aktuellen Streit über den Umgang mit den Mauscheleien der Autokonzerne plädierte Schulz für einen stärkeren Verbraucherschutz — und für die Möglichkeit von Sammelklagen gegen die Konzerne. „Wir dürfen die Verbraucher nicht alleine lassen, wenn sie sich gegen die Konzerne wehren wollen“, so Schulz.
Trump distanziere sich nicht von Nazis
Eine klare Absage erteilte er dem US-Präsidenten Donald Trump und dessen Forderung nach einer deutlichen Erhöhung der Rüstungsausgaben. Das, was ein Mann fordere, der nicht bereit sei, sich von Nazis zu distanzieren, werde „niemals Politik der Bundesrepublik Deutschland sein“.
Hart ins Gericht ging Schulz auch mit der AfD, etwa der Bemerkung von deren Vorsitzenden Alexander Gauland, man solle die SPD-Integrationsministerin Aydan Özoguz in der Türkei „entsorgen“. Die AfD sei eine „Schande für unsere Nation“, so Schulz. „Sie hat im Bundestag nichts zu suchen.“ Er betonte unter Bezug auf den früheren Kanzler Willy Brandt, dass Deutschland ein „Volk der guten Nachbarn“ sein wolle.
Zentraler Punkt des SPD-Programm seien der Respekt und die Menschenwürde. „Der Busfahrer, der unsere Kinder sicher zur Schule bringt, hat den gleichen Respekt verdient wie eine Akademikerin, die anderes leistet“, zitierte Schulz sich selbst mit einem in fast jede Rede eingebauten Satz. „Ich möchte eine Gesellschaft des Respekts.“
Aufforderung an türkischen Präsidenten Erdogan
Klare Worte sagte der SPD-Kandidat in Richtung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, dem er indirekt vorwarf, die Demokratie in der Türkei abschaffen zu wollen. „Lassen Sie die unschuldig Inhaftierten in ihrem Land frei und mischen Sie sich nicht in den deutschen Wahlkampf ein“, forderte Schulz den türkischen Präsidenten auf.
Auch die Bildungspolitik streifte der Kandidat immer wieder -- und plädierte dafür, dass es in der Bildung „pragmatische Lösungen und kein Kompetenzgerangel zwischen Bund und Ländern“ geben müsse – mithin: Das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern solle weg.
Ironisch setzte sich Schulz mit der aus seiner Sicht bisweilen oberflächlichen Betrachtung der Politik in manchen Medien auseinander. So sei gerade wieder gefragt worden, „ob so ein Typ ohne Abi Bundeskanzler werden“ könne. Außerdem habe jemand in einem Artikel betont, dass es niemals einen Kanzler mit Bart gegeben habe – und dass der Schulz ja außerdem noch eine Glatze habe.
Schulz' Antwort: „Eine berufliche Ausbildung ist genauso viel wert wie eine akademische Bildung. Am 24. September wird ein Mann ohne Abi mit Bart und Glatze Bundeskanzler der Bundesrepublik.“
Vor der Schulz-Rede hatten sich zunächst die sechs Hamburger SPD-Direktkandidaten vorgestellt. Danach hatte SPD-Bürgermeister Olaf Scholz in seiner Rede darauf hingewiesen, dass in Deutschland zwar vieles, aber längst nicht alles gut laufe. Ja, es gebe viele Arbeitsplätze, und das sei gut, so Scholz. Es gebe aber auch viele Menschen, für die es nicht gut laufe. Väter, deren Söhne keine Lehrstellen bekämen.
Olaf Scholz lobt Frankreichs Präsident Macron
Familien, die die steigenden Mieten oder die hohen Kitagebühren kaum noch zahlen könnten. Oder Arbeitnehmer, deren Löhne sänken. „Es ist ein großer Fehler, so zu reden, als würde es für alle gut laufen“, so Scholz. „Alle müssen eine gute Perspektive haben. Darum geht es bei der Bundestagswahl. Deutschland kann mehr.“
Als positives Beispiel verwies Scholz auf den neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der die Probleme energisch angehe. Und Hamburg sei in vielem längst zu einem Vorbild in Deutschland geworden — etwa mit der frühzeitigen Abschaffung der Kitagebühren, die nun überall diskutiert werde. Oder mit dem Bau von Wohnungen und vor allem dem sozialen Wohnungsbau. Hier sei die von ihm regierte Stadt mittlerweile mit Abstand führend in ganz Deutschland.
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