Hamburg. Er ist 35 – und am künftigen CDU-Chef mit konservativem Profil führt kein Weg vorbei. Ploß könnte sogar die Quote austricksen.

Was Macht in der Politik bedeuten kann, hat Christoph Ploß in dieser Woche eindrucksvoll bewiesen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete hat in den vergangenen Wochen und Monaten nicht ein einziges Mal öffentlich oder parteiintern erklärt oder erklären müssen, dass er Landesvorsitzender seiner darniederliegenden Partei werden möchte. Dennoch war jedem und jeder Interessierten nicht nur in der CDU klar, dass er antreten will.

Am Dienstag nun meldete der Landesvorsitzende Roland Heintze gewissermaßen Vollzug, erklärte seinen Amtsverzicht und schlug Ploß vor Journalisten in der CDU-Parteizentrale am Leinpfad in Winterhude als seinen Nachfolger vor. Der stand neben Heintze, lächelte etwas versonnen und bedankte sich artig. Seine Wahl auf dem Landesparteitag Ende September gilt als sicher. An dem promovierten Historiker, der vor wenigen Tagen erst 35 Jahre alt geworden ist, führt in der CDU schon jetzt kein Weg mehr vorbei.

Wollte Ploß den florentinischen Staatsphilosophen Niccolo Machiavelli zitieren, dann müsste er dessen Begriff der „occasione“ bemühen, der günstigen Gelegenheit oder des richtigen Augenblicks in der Politik. Denn Ploß’ absehbares Aufrücken an die Spitze der Landespartei war alles andere als Folge von Machiavellis Gegenbegriff der „fortuna“, des Glücks oder Zufalls. In den wenigen Jahren, in denen Ploß auf der politischen Bühne sichtbar agiert, hat er einen ziemlich steilen Aufstieg hingelegt. Man kann es auch so sagen: Er hat einen Karriere- und Machtfahrplan, den er präzise verfolgt und der bislang aufgegangen ist.

Ploß’ politischer Ziehvater und Vorbild ist der langjährige CDU-Landesvorsitzende Dirk Fischer

Ploß führt als seine Hausmacht den zweitgrößten CDU-Kreisverband Nord, sein enger politischer Weggeführte Dennis Thering, seit Kurzem Fraktionschef in der Bürgerschaft, steht an der Spitze des größten Kreisverbands, Wandsbek. Gegen Nord und Wandsbek sind auf Landesparteitagen schon keine Mehrheiten zu organisieren. Zu dem Netzwerk gehören zudem noch der Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries, der die CDU Mitte führt, und der Bergedorfer CDU-Kreischef und Bürgerschaftsabgeordnete Dennis Gladiator. Die Vier eint eine insgesamt eher konservative politische Ausrichtung innerhalb des CDU-Spektrums. Das ist die Machtbasis, auf die sich der 35-Jährige stützt.

Ploß’ politischer Ziehvater und Vorbild ist der langjährige CDU-Landesvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Dirk Fischer. Und verblüffend genug: Der Weg des Jüngeren folgt exakt den Spuren des Älteren: Vorsitzender des CDU-Ortsverbandes Winterhude, Kreisvorsitzender in Hamburg-Nord, stellvertretender Landesvorsitzender, Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Hamburg-Nord/Alstertal und nun CDU-Landesvorsitzender. Ploß hat von Fischer, dessen Mitarbeiter er drei Jahre lang war, die intensive Wahlkreisarbeit und auch den politischen Schwerpunkt Verkehr und Infrastruktur übernommen.

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Die Parallelen zwischen beiden sind so stark, dass Ploß zur Abgrenzung gelegentlich scherzhaft betont, er werde sich aber keinen Oberlippenbart wachsen lassen – das Kennzeichen des Älteren. Zwischen den beiden gibt es einen entscheidenden Unterschied, der 36 Prozentpunkte ausmacht. Als Fischer 2007 als Landesvorsitzender zurücktrat, war die CDU mit 47,2 Prozent stärkste politische Kraft in Hamburg. Ploß übernimmt eine demoralisierte Partei mit 11,2 Prozent, die gerade eben noch stärkste Oppositionskraft geworden ist.

Mit Ploß hat die CDU einen Generationswechsel eingeleitet

Dabei denkt der 35-Jährige strategisch und keinesfalls uneigennützig: Der Posten des Landesvorsitzenden sichert ihm den Anspruch auf Platz eins der CDU-Landesliste bei der Bundestagswahl – nicht unwichtig zur Absicherung, auch wenn Ploß sein Mandat 2017 direkt im Wahlkreis gewonnen hat.

Mit Ploß hat die CDU einen Generationswechsel eingeleitet und die etwa gleichaltrigen Thering, de Vries und Gladiator eint die Absicht, die Partei über einen längeren Zeitraum zu prägen. Ploß weiß, dass die CDU wahrscheinlich nicht innerhalb von fünf Jahren zu alter Stärke zurückfinden kann und will deswegen eine langfristige Perspektive entwickeln.

Ploß’ Handicap ist dabei sein konservatives Profil. Als Landesvorsitzender wird er die eher liberalen Kräfte integrieren und ihnen Angebote machen müssen. Durch die Hamburger Union geht seit dem Machtverlust 2011 ein Riss, der leicht übersehen wird: Es gibt die Anhänger des alten Kurses von Ole von Beust mit einer auch programmatischen Öffnung in Richtung der Grünen. Und es gibt die Konservativen wie Ploß, die die damalige schwarz-grüne Schulpolitik mit der später gescheiterten Primarschule als Verrat an christdemokratischen Werteüberzeugungen und als inhaltliche Entkernung der Partei betrachten. Der Bürgerschaftswahlkampf mit dem Spitzenkandidaten und Bundestagsabgeordneten Marcus Weinberg, einem Vertreter der liberalen Strömung, hat diesen Konflikt noch einmal zugespitzt.

Als Nord-Kreischef hat sich Ploß durchaus als flexibel erwiesen

„Eine Anbiederung an die Grünen wird es mit mir als Landesvorsitzendem nicht geben: Solch ein Kurs hat der CDU noch nie geholfen“, sagt Ploß markig. Doch als Nord-Kreischef hat er sich andererseits durchaus als flexibel erwiesen, wenn es darum ging, innerparteiliche Kompromisse zu schließen, etwa in der Flüchtlingspolitik 2016. Aber Ploß hat wiederum erst vor wenigen Wochen die liberalen Vertreter vor den Kopf gestoßen, als er die von CDU-Bundeschefin Annegret Kramp-Karrenbauer vorgeschlagene 50-prozentige Frauenquote als „leistungsfeindlich“ bezeichnete.

Dabei hatte er an dem Kompromiss der Elb-Union maßgeblich mitgewirkt, der vorsieht, auf der Liste für die Bundestagswahl 2021 auf den ersten zwei Plätzen eine Frau und bis Platz fünf eine weitere Frau zu wählen. Das kommt der Geschlechter-Parität ja schon sehr nahe. Bei der Aufstellung der Bundestags-Landesliste 2016 war es zum Aufstand der Frauen gekommen, weil auf den ersten vier, als aussichtsreich geltenden Plätzen ausschließlich Männer gewählt wurden.

Die für das erste Quartal 2021 vorgesehene Aufstellung der Landesliste wird für Ploß zur ersten Bewährungsprobe im neuen Amt. Dass er selbst Anspruch auf Platz eins erhebt, gilt als sicher. Auf Platz zwei wird voraussichtlich Franziska Hoppermann kandidieren, Vorsitzende der Frauen-Union. Hoppermann, die sich noch bedeckt hält, kommt nicht zufällig aus dem CDU-Kreisverband Wandsbek, dessen Vorsitzender Ploß-Freund Thering ist. Für Rang drei und vier gibt es aber mit Weinberg, de Vries und dem Eimsbütteler Rüdiger Kruse gleich drei Bundestagsabgeordnete, die erneut antreten wollen. Und dann ist ja noch der zweite Platz für eine Frau.

Wenn eine Frau auf Platz vier antreten würde, wäre die Mann-Frau-Quotierung erfüllt

In der CDU wird derzeit eine Variante diskutiert, die für sehr viel Wirbel sorgt und Ploß, sollte er den Vorschlag übernehmen, mit einem Schlag zum Frauenförderer machen würde: Wenn eine Frau auf dem aussichtsreichen Platz vier antreten würde, wäre die Mann-Frau-Quotierung sogar erfüllt. Interessanter Nebeneffekt: Die Liberalen Kruse und Weinberg könnten aus prinzipiellen Gründen nicht einmal dagegen sein, allerdings würden ihre Chancen weiter verringert. Denkbar ist, dass die CDU-Schulpolitikerin Birgit Stöver im Wahlkreis Harburg/Bergedorf kandidiert, aber auch Stöver legt sich noch nicht fest. Sollte sie zudem auf Platz vier antreten, könnte es turbulent werden.

Ploß weiß natürlich, dass er es vermutlich nicht allen bei der Nominierung recht machen kann. Die Frage wird also eher sein, wen er vor den Kopf stößt – die Frauen oder seine Mit-Abgeordneten.