Berlin. Sollen Asylanträge künftig außerhalb Deutschlands bearbeitet werden? Der Bund signalisiert dafür Bereitschaft. Doch der Weg wird lang.

Die Bundesregierung will Modelle erarbeiten, um Asylverfahren künftig in Dritt- und Transitstaaten außerhalb der Europäischen Union abwickeln zu können. Das kündigte Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Donnerstagabend nach Beratungen mit den Regierungschefs der 16 Bundesländer an. Die Vorschläge sollen beim nächsten Treffen der Runde im Dezember präsentiert werden.

Scholz machte aber deutlich, dass noch viele offene Fragen zu lösen sind. Er wolle nicht darüber spekulieren, was überhaupt möglich sein könnte. „Dafür ist es früh“, sagte er.

Mit der Bereitschaft, Asylverfahren auch außerhalb der EU-Grenzen abzuwickeln, kommt die Regierung dem Drängen der Bundesländer und der oppositionellen Union nach. Die Ministerpräsidenten hatten sich am Donnerstagnachmittag in einer vorbereitenden Sitzung darauf verständigt, mit genau dieser Forderung in die Gespräche mit dem Kanzler zu gehen.

Viele offene Fragen

Hessens Regierungschef Boris Rhein (CDU), der derzeit den Vorsitz in der Ministerpräsidentenkonferenz führt, sprach von einem „Meilenstein auf dem Weg zu einem praktikablen Modell.“ Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der die Arbeit der sozialdemokratisch geführten Länder koordiniert, äußerte sich deutlich zurückhaltender. Nach einer umfangreichen Experten-Anhörung durch das Bundesinnenministerium gebe es bei diesem Thema „einen ganzen Sack voller Fragen“.

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Länder wie Großbritannien und Italien versuchen, mit Drittstaaten-Lösungen die Zahl der Asylbewerber zu drücken. Großbritannien will Antragssteller ins ostafrikanische Ruanda ausfliegen lassen und im Falle eines positiven Bescheids auch dort ansiedeln. Die praktische Umsetzung scheiterte bislang allerdings kläglich. Im Falle eines Machtwechsels bei den bevorstehenden Unterhauswahlen könnte der Plan auch vollständig verworfen werden. Italien wiederum will Bootsflüchtlinge, die auf hoher See aufgegriffen werden, ins benachbarte Albanien bringen, wo die Asylverfahren nach italienischem Recht ablaufen sollen.

Auch Hessens CDU-Regierungschef Rhein räumte ein, dass noch sehr viele offene Fragen zu lösen sind und neben deutschem auch europäisches Recht angepasst werden müsse. Es gehe jetzt darum, „sich anzusehen, was geht und was geht nicht“, sagte er.

Einigung bei Bezahlkarte

Bei einem Thema gab es am Donnerstag hingegen sehr greifbare Ergebnisse: Die Bundesländer fassten am Nachmittag einen wichtigen Beschluss zur Bezahlkarte für Asylbewerber. Nach deren Einführung sollen Erwachsene pro Monat 50 Euro bar abheben können. „Wir glauben, dass es ein ganz wichtiges Zeichen ist, dass die Länder hier einig sind“, sagte Rhein.

Bund und Länder hatten sich bereits im vergangenen Herbst grundsätzlich darauf verständigt, dass eine Bezahlkarte eingeführt werden soll. Die Idee dahinter: Wenn Asylbewerber kein oder nur wenig Bargeld von den Behörden bekommen und Waren des täglichen Bedarfs vorrangig mit einer Guthabenkarten bezahlen, dann können sie auch kein Geld an Familien in den Herkunftsländern schicken oder Schlepper bezahlen. Möglicherweise werde dadurch sogar der Anreiz gesenkt, überhaupt nach Deutschland zu kommen. Die Karte soll auch den Verwaltungsaufwand der Kommunen vermindern.

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    Der Bund schaffte im Frühjahr die rechtlichen Voraussetzungen für die Einführung der Bezahlkarte. Die Abwicklung ist aber Ländersache. 14 Bundesländer verständigten sich im Januar auf gemeinsame Standards. „Die Bezahlkarte geht ab dem Sommer an den Start, wenn die Ausschreibung beendet wird für den Dienstleister“, sagte Rhein am Donnerstag. Die Länder Bayern und Mecklenburg-Vorpommern führen eigene Systeme ein.

    Debatten um Höhe des Bargeld-Betrages

    Über die Frage, wie viel Bargeld Asylbewerber monatlich abheben können sollen, hatte es nicht nur zwischen den Ländern, sondern auch innerhalb diverser Landesregierungen heftige Debatten gegeben. Die Lebenshaltungskosten sind nicht überall in Deutschland gleich, längst nicht alle Waren oder Dienstleistungen können auch elektronisch bezahlt werden.

    Bewegung gibt es auch an einer anderen Stelle: Wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mitteilte, rechnet sie damit, dass sie bereits in Kürze Ergebnisse in Bezug auf Abschiebungen von Schwerstkriminellen und islamistischen Gefährdern nach Afghanistan und Syrien vermelden kann.

    „Dazu sind wir ganz konkret in Verhandlungen und sind zuversichtlich, dass wir das für diese Gruppe hinbekommen“, sagte Faeser nach einem Treffen mit ihren Länder-Kollegen in Potsdam. Im Falle Afghanistans ist älteren Informationen zufolge geplant, Abschiebungen über benachbarte Drittstaaten wie Usbekistan abzuwickeln.

    Söder fordert direkte Gespräche mit Afghanistan

    Bisher finden keine Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien statt. In Afghanistan herrschen die Taliban, deren Regierung Deutschland nicht anerkennt. In Syrien herrscht seit vielen Jahren Bürgerkrieg, die Kontakte mit dem Regime in Damaskus sind auf ein Minimum reduziert. Direkte Abkommen mit diesen Staaten würden die dortigen Regierungen diplomatisch aufwerten.

    Gleichwohl kommt aus den Ländern, dem Regierungslager und der Opposition die Forderung, das direkte Gespräch zu suchen. In diesem Sinne äußerte sich am Donnerstag etwa auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Hintergrund der Debatte ist die Messer-Attacke von Mannheim Ende Mai, bei der ein Polizist ums Leben gekommen und mehrere Menschen verletzt worden waren. Täter ist ein mutmaßlich radikaler Islamist afghanischer Herkunft.