Berlin. Die SPD wird nervös, der Kanzler ist unbeirrt. Olaf Scholz glaubt fest an seine Wiederwahl, doch eine glaubhafte Erzählung fehlt ihm.
Für Olaf Scholz ist die kritischste Phase seiner Amtszeit angebrochen. Die kommenden Wochen und Monate sind entscheidend dafür, ob er nach nur einer Legislaturperiode das Kanzleramt wieder verlassen muss. Um es passend zu anderen Ereignissen dieser Tage zu sagen: Die 75. Minute ist angebrochen, der Kanzler liegt deutlich zurück. Von einem Scholzschen Sommermärchen keine Spur.
Seit dem verheerenden Ergebnis bei der Europawahl ist seine SPD in Aufruhr. Das Ergebnis der Partei war nach einem auf Scholz zugeschnittenen Wahlkampf so schlecht wie noch nie zuvor bei einer deutschlandweiten Wahl. Das mag etwas heißen in der langen Geschichte der Sozialdemokraten.
Bei der Bundestagswahl droht der SPD im Bundestag ein Kahlschlag
In der Bundestagsfraktion wächst die Unruhe: Setzt sich das Tief der SPD bis zur Bundestagswahl fort, droht unter den SPD-Abgeordneten ein Kahlschlag. Vorher stehen noch die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im Kalender, bei denen der SPD verschiedene Katastrophen drohen. Bis hin zur Abwahl von Ministerpräsident Dietmar Woidke in Brandenburg, wo seit der Wiedervereinigung bislang keine andere Partei den Regierungschef gestellt hat.
Ampel-Krise: Was wünscht sich Scholz vom Papst zum Geburtstag?
Die Kritik in den eigenen Reihen richtet sich nicht allein gegen Scholz, auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert steht als Verantwortlicher für die Europawahlkampagne unter Druck. Doch zuallererst vom Kanzler erwarten die Genossen ein Umsteuern. Als Chef der Ampelkoalition solle Scholz SPD-Forderungen durchsetzen, anstatt immer nur gelb-grüne Kompromisse herbeizumoderieren.
Lindner warnt SPD und Grüne: Nicht vom Beckenrand springen!
Ob Scholz damit Erfolg hat, wird sich bereits Anfang Juli zeigen. Dann soll der Haushalt für 2025 stehen. Kaum zurück vom G7-Gipfel in Italien und der Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz muss Scholz mit Finanzminister Christian Lindner und Vizekanzler Robert Habeck weiter über den Etat verhandeln.
Scholz angezählt: So stehen die Chancen auf Neuwahlen
Koalitionen geht es gut, wenn sie im Geld schwimmen wie Dagobert Duck in seinem Geldspeicher. Die Lage der Ampel ist anders: Wie ein Bademeister mahnt Lindner unermüdlich SPD und Grüne: Nicht vom Beckenrand springen, das Wasser ist zu flach! Lindner hat weniger Geld, als die Koalitionspartner ausgeben wollen. Was deswegen gestrichen wird, ist in dem Bündnis vollkommen strittig.
Unter den Sozialdemokraten herrscht die Angst, dass Scholz zur Rettung seiner Koalition einem Haushalt zustimmt, in dem ihre Herzensangelegenheiten im Sozialen zu kurz kommen – was wiederum schlecht für das Image der SPD und ihre Wahlergebnisse wäre. Der Frust der Genossen rührt jedoch auch vom Auftreten des Kanzlers: Kühl und zu technokratisch komme Scholz rüber, das müsse sich ändern, wird gefordert.
Der Kanzler hat keine Erzählung für seine Wiederwahl
Dem Vernehmen nach hat Scholz Besserung gelobt. Allerdings: Auch frühere Appelle dieser Art fruchteten bei ihm allenfalls kurzzeitig. Scholz selbst ist überzeugt, als Kanzlerkandidat bei der Bundestagswahl noch einmal Erfolg haben zu können. Er verweist auf das Erreichte und setzt darauf, dass sich bis zum Wahltag die Früchte seiner Arbeit zeigen, etwa als Aufschwung der Wirtschaft oder anhand einer besseren Steuerung illegaler Migration.
Möglicherweise hilft es Scholz, wenn die Wähler eine Entscheidung zwischen ihm und Friedrich Merz treffen sollen. Dem Kanzler wird es aber schwerfallen, den Bürgerinnen und Bürgern eine Erzählung darüber zu präsentieren, warum sie die rot-grün-gelbe Koalition und damit ihn noch einmal wählen sollten. Aber es läuft ja erst die 75. Minute. Etwas Zeit bleibt Olaf Scholz noch.
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