Berlin. Einige Länder wollen erreichen, dass jeder, der nicht aktiv widerspricht, automatisch Spender wird. Doch Patientenschützer sind empört.
Tausende Menschen warten hierzulande auf ein Spenderorgan – sehr oft vergebens. Denn die Zahl der Spenden ist viel zu gering. Eine Reihe von Bundesländern unternimmt jetzt einen neuen Anlauf, um die Rechtslage zu ändern: Jeder soll grundsätzlich als Organspender gelten, sofern er nicht ausdrücklich zu Lebzeiten widerspricht. Patientenschützer laufen Sturm. Ein Überblick.
Wie groß ist das Problem bei der Organspende?
Ende des vergangenen Jahres warteten nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation rund 8.400 Menschen auf ein Spenderorgan. Etwa 6.500 benötigten eine neue Niere. Es gab im vergangenen Jahr aber nur 2.900 Organspenden. Sehr viele Menschen versterben, während sie auf ein neues Organ warten.
Organspende: Wie ist die aktuelle Rechtslage?
In Deutschland gilt bisher die so genannte Zustimmungsregelung, auch Entscheidungslösung genannt. Das bedeutet: Nur wer sich zu Lebzeiten bereiterklärt, nach seinem Tod ein Organ zu spenden, kommt dafür auch infrage. In der vergangenen Legislaturperiode gab es schon einmal einen Versuch, die Zustimmungsregelung durch die Widerspruchsregelung zu ersetzen: Wer auf keinen Fall ein Organ spenden will, soll das zu Lebzeiten aktiv erklären. Die fraktionsübergreifende Initiative scheiterte aber 2020 im Bundestag.
Was passiert jetzt?
Acht Bundesländer starten einen neuen Anlauf, um die Widerspruchsregelung doch noch im Gesetz zu verankern. Am Freitag diskutierte die Länderkammer erstmals einen entsprechenden Antrag. Nach den Vorstellungen der beteiligten Länder sollen alle Menschen als Organspender gelten, wenn sie nicht ausdrücklich widersprechen. „Ich bin der Meinung, dass es einem erwachsenen Menschen zuzumuten ist, diese Entscheidung zu treffen“, sagte der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU).
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Die Initiative wird überdies von Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und dem Saarland und Schleswig-Holstein mitgetragen. Jetzt befassen sich zunächst die Fachausschüsse des Bundesrats mit dem Vorstoß. Sollte es später eine Mehrheit in der Länderkammer geben, wird der Antrag dem Bundestag zugeleitet. Die eigentliche Entscheidung muss dort fallen, denn der Bund hat für dieses Thema die Gesetzgebungskompetenz. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) befürwortet die Einführung der Widerspruchsregelung.
Was sagen Patientenschützer?
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz stellte sich am Freitag klar gegen den Vorstoß der acht Länder. Vorstand Eugen Brysch sagte dieser Redaktion, der Bundestag habe 2020 die Widerspruchslösung eindeutig abgelehnt. „Denn die körperliche Unversehrtheit darf nicht ohne Zustimmung des Betroffenen verletzt werden.“ Brysch erinnerte daran, dass vor vier Jahren auch beschlossen wurde, dass die Abgabe einer Erklärung zur Organ- und Gewebespende auch in Ausweisstellen möglich sein soll. Hausärzte sollen Patienten regelmäßig ermutigen, sich in ein neues Online-Register für Spender einzutragen.
Die Entscheidung soll einfach zu dokumentieren sein. „Doch anstatt das Gesetz umzusetzen und für eine alle Bereiche durchdringende Informations- und Organisationsreform zu sorgen, torpediert ein Großteil der Bundesländer die Gewissensentscheidung der Bundestagsabgeordneten“, sagte Brysch. Er ergänzte: „Als ersten Schritt haben die Länder unverzüglich dafür zu sorgen, dass die gesetzlich geforderte Anbindung der Pass- und Ausweisstellen an das Organspende-Zentralregister steht. Dafür sind in jeder Kommune noch in diesem Jahr datenschutzsichere Terminals aufzustellen.“
Solange dies nicht geschehe, dürfe die geringe Zahl der registrierten Willenserklärungen niemand verwundern. „Wer jetzt ein ethisch gefundenes Gesetz über Bord werfen will, muss sich zunächst den Fakten stellen. Denn auch in den Vorzeigeländern Europas ist mit der Einführung der Widerspruchregelung nichts besser geworden. Es gilt vielmehr organisatorische und strukturelle Maßnahmen anzugehen.“
Was hat es mit dem Online-Register zur Organspende auf sich?
Dieses Register war im März an den Start gegangen. Es soll schrittweise den bisherigen Organspende-Ausweis aus Papier ersetzen, in dem Menschen ab 16 Jahren dokumentieren können, ob sie zur Organspende bereit sind oder nicht. Ein Nachteil diese Papier-Ausweises besteht darin, dass viele Inhaber ihn nicht ständig mit sich führen oder er von Ärzten nach einem Unfall nicht gefunden wird. Drei Monate nach dem Start haben sich erst rund 130.000 Personen ins Online-Register eingetragen, berechtigt dazu wären 71 Millionen Menschen. Auch die Kliniken sind noch längst nicht vollständig registriert.
Wie halten es andere Länder in Sachen Organspende?
Vorbild für die Widerspruchsregelung ist Spanien. Dort war die Spenderquote mit rund 50 Spendern pro einer Million Einwohnern zuletzt fast vier Mal so hoch wie in Deutschland. Die Widerspruchsregelung gilt auch in weiteren europäischen Ländern, darunter Frankreich, Österreich und Polen. In der Schweiz gilt bis mindestens 2026 eine erweiterte Zustimmungslösung. Das bedeutet, dass eine fehlende Erklärung des Verstorbenen weder als Zustimmung, noch als Ablehnung einer Organentnahme gilt und die nächsten Angehörigen gefragt werden.
Frühestens in zwei Jahren soll eine erweiterte Widerspruchslösung gelten: Wenn sich ein Verstorbener zu Lebzeiten nicht gegen eine Entnahme entschieden hat, können die Angehörigen immer noch Widerspruch einlegen. Sie müssen dabei den mutmaßlichen Willen der Person berücksichtigen. Grundsätzlich gilt: Die Zahl der Organspenden hängt nicht nur an der jeweiligen Regelung, sondern auch an anderen Faktoren. Dazu zählen etwa die Einstellung der Bevölkerung zum Thema und die Effizienz der Abläufe in der Transplantationsmedizin.
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