Berlin. Gemeindebund-Chef André Berghegger sagt, was am Superwahltag auf dem Spiel steht – und wie lange Fans bei der Fußball-EM feiern können.

André Berghegger schaltet sich per Video zu. Sein Hintergrundbild zeigt das angestrahlte Brandenburger Tor bei Nacht. Es ist eine Woche, die mit Gewalt gegen Politiker begann und die mit einem Superwahltag endet. Berghegger, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, sagt im Interview, was ihm jetzt Freude macht.

Politiker werden im Wahlkampf beleidigt, bedroht, verletzt. Sind Sie selbst schon Opfer geworden?

André Berghegger: Ja, als junger Bürgermeister in Melle bin ich von Rechtsextremisten bedroht worden – sogar in meiner privaten Umgebung.

Was genau ist passiert?

Ich trage diese Dinge nicht an die Öffentlichkeit, um niemanden zur Nachahmung zu motivieren. Aber glauben Sie mir: So ein Erlebnis prägt.

Warum nimmt die Aggression gegen Politiker zu?

Eine Reihe von Krisen und schwierigen Situationen haben viele Bürger hart getroffen: Corona, Inflation, Klima, Krieg. Die Zukunftssorgen werden größer – und die Diskussionen aggressiver, gerade in den sozialen Medien. Die Hemmschwelle sinkt. Dazu kommt ein hohes Anspruchsdenken: Die Politik soll alles regeln. Diese Gemengelage führt dazu, dass vermeintlich Verantwortliche attackiert werden.

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Ist der Gesetzgeber gefordert?

Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker und andere Fanatiker scheren sich nicht um den Rechtsrahmen. Wichtig ist, dass Angriffe auf Politiker schnellstmöglich aufgeklärt und geahndet werden. Das bestehende Rechtssystem sieht beschleunigte Verfahren vor, die es ermöglichen, Täter innerhalb eines Tages zu verurteilen. Davon sollte die Justiz stärker Gebrauch machen.

Gemeindebund-Chef André Berghegger fordert im Interview, dass Gewalt gegen Politiker in kürzester Teit geahndet wird.
Gemeindebund-Chef André Berghegger fordert im Interview, dass Gewalt gegen Politiker in kürzester Teit geahndet wird. © picture alliance / NurPhoto | Marten Ronneburg

Neben der Europawahl finden Kommunalwahlen in acht Bundesländern statt. Wie viele Bürgermeister und Landräte der AfD verkraftet unser Land?

In 6000 Kommunen werden 110.000 Mandate vergeben. Das zeigt, wie wichtig diese Kommunalwahlen sind. In Thüringen hat vor zwei Wochen kein einziger Bewerber einer populistischen oder extremistischen Partei im ersten Wahlgang eine Mehrheit erreicht. In der Stichwahl müssen alle Demokraten zusammenstehen – von der CDU bis zur Linken. Dann wird es gelingen, den demokratischen Kandidatinnen und Kandidaten zu Mehrheiten zu verhelfen.

Die AfD ist so weit nach rechts gerückt, dass Marine Le Pen und andere Extremisten in Europa sie meiden. Wird es Zeit für ein Verbotsverfahren?

Ein Parteiverbot ist das schärfste Schwert. Und es hat aus unserer Geschichte heraus zu Recht hohe Hürden. Wenn man einen Verbotsantrag stellt, sollte es keinen Zweifel geben, ob das belastende Material reicht. Das NPD-Verbot ist seinerzeit gescheitert. Deswegen wäre ich auch mit einem AfD-Verbotsverfahren vorsichtig. Populisten und Extremisten bekämpft man am besten, indem man sie inhaltlich stellt.

Das gelingt in der EU nur mäßig. Parteien am rechten Rand können – glaubt man den Umfragen – in mehreren Ländern die Europawahl gewinnen.

Allen muss klar sein: Europa hat nur eine Chance, wenn wir zusammenhalten. Die Europawahl bietet eine hervorragende Gelegenheit, Extremisten in die Schranken zu weisen und demokratische Kräfte zu stärken.

Apropos Zusammenhalt: Hat Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin genug für die Städte und Gemeinden getan?

In Europa haben wir rund 90.000 Kommunen. Entscheidungen werden zentral getroffen, aber lokal umgesetzt. Daher sollte die europäische Ebene in einem intensiven Austausch mit den Kommunen stehen. Ein guter Draht ist wichtig. Hier sehe ich einigen Verbesserungsbedarf.

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    Worauf wollen Sie hinaus?

    Die Städte und Gemeinden brauchen einen Ansprechpartner in der EU, der als Anwalt der kommunalen Interessen wirkt und sich für die finanzielle Ausstattung einsetzt. Daher sollte in der nächsten EU-Kommission ein Kommissar für die Belange der Kommunen installiert werden. Wir müssen unseren Einfluss in Europa stärken.

    Mehr zur Europawahl: „Sei kein Arschloch“ – Ein Adliger gegen Europas Egomanen

    Geht es vor allem um mehr Geld?

    Viele Vorschriften, die auf der europäischen Ebene beschlossen werden, entfalten Wirkung in den Kommunen. Die Umsetzung erfordert personellen und finanziellen Aufwand. Wir brauchen einen Vertreter in der Kommission, der immer vom Ende her denkt und die Folgen europäischer Entscheidungen abschätzt.

    Welchen Schaden hätte ein solcher Kommissar in den letzten Jahren abwenden können?

    Ein Beispiel: Die Datenschutz-Grundverordnung hat direkte Auswirkungen auf jeden noch so kleinen Verein und bringt viel Bürokratie mit sich. Da wäre ein Wächter gut gewesen, der die Folgen für die kommunale Ebene thematisiert. Aber völlig klar: Uns fehlen vor allem Finanzmittel – Stand heute haben wir ein Defizit von sieben Milliarden Euro pro Jahr. Teil- und Anschubfinanzierungen durch die EU reichen da nicht.

    Mit einem neuen Kommissar wird nicht automatisch mehr Geld in die Kommunen fließen.

    Ich wäre da nicht so skeptisch. Zwischen Bundesländern und Kommunen gibt es das sogenannte Konnexitätsprinzip: Wer bestellt, der bezahlt. Ich rufe dazu auf, eine Konnexitätsregel auch zwischen Europa und den Kommunen zu etablieren – in Form einer Selbstbindung der EU-Kommission. Dann müsste ein Kommunalkommissar darüber wachen, dass die Kommunen genügend Geld aus dem EU-Haushalt bekommen, um europäische Vorschriften umzusetzen. Zusätzlicher Aufwand erfordert zusätzliche Finanzmittel – und zwar nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft.

    Wenige Tage nach der Europawahl ist Anpfiff zur Fußball-Europameisterschaft in Deutschland. Kommen die Kommunen mit dem Fan-Ansturm klar?

    Ich war aktiver Fußballer und bin großer Fan. Ich freue mich auf ein neues Sommermärchen, das Aufbruchstimmung im ganzen Land erzeugt. Je mehr Gäste, desto besser. Die Kommunen sind darauf vorbereitet. Deutschland muss sich – ganz unabhängig von der Leistung unserer Nationalmannschaft – sehr gastfreundlich präsentieren.

    Gehört dazu, Sperrstunde und Nachtruhe zu lockern?

    Wir haben eine Public-Viewing-Verordnung, die einen guten Rahmen setzt. Ich bin dafür, durchweg Ausnahmen von der Sperrstunde zu ermöglichen. Mehr als die Hälfte der Spiele werden erst um 21 Uhr angepfiffen. Da kann es auch mal Mitternacht werden, bis es ruhig ist. Wir wollen dieses Gemeinschaftserlebnis haben, und ich bin mir sicher, dass es großes Verständnis in der Bevölkerung bei den Ruhezeiten gibt. Die EM dauert ja nur vier Wochen.

    Wie wollen Sie Hooligans und Krawalltouristen bändigen?

    Wir haben die Kontrollen an den deutschen Grenzen bereits ausgeweitet. Die Polizeien in Europa arbeiten gut zusammen. Und es wird Einlasskontrollen in Stadien und Public-Viewing-Zonen geben. Das hilft.

    Wie wirken sich die Kriege in der Ukraine und in Gaza auf die Sicherheit der EM aus?

    Es kann schwierige Situationen geben. Das betrifft nicht nur die Terrorgefahr, sondern auch Extremwetterereignisse wie Sturm, Starkregen oder heftige Gewitter. Wir haben in Deutschland bewiesen, dass unsere Sicherheitskonzepte funktionieren. Hundertprozentige Sicherheit kann es nicht geben. Ich habe aber großes Vertrauen in unsere Sicherheitsbehörden.