Berlin. Carola Rackete rettete Flüchtlinge, jetzt kandidiert sie für die Linken fürs Europaparlament. Lässt sie sich instrumentalisieren?
Carola Rackete ist im Stress. In diesen Tagen fährt sie mit dem Zug durchs Land, manchmal sieht sie alle 24 Stunden eine andere Stadt. Überall versucht sie, Menschen, die noch unentschlossen sind, zu überzeugen. Davon, dass sie jetzt Politik macht. Und davon, dass man sie ins Europaparlament wählen solle am kommenden Sonntag. Das Gespräch mit dieser Zeitung führt sie auf dem Bahnsteig am Telefon. Während die Leute zu ihren Zügen eilen, erklärt Rackete ihre Ziele: „Es braucht einen stärkeren Zusammenschluss, gerade auch vor dem Hintergrund des Rechtsrucks, zwischen Gewerkschaften, Parteien und sozialen Bewegungen.“ Rackete klingt entschlossen – wieder einmal.
Lesen Sie auch: Wie ein Adliger Europa retten will
Die 36-Jährige wurde deutschlandweit bekannt als Seenotretterin mit langen Dreadlocks, häufig im Fleecepullover. Im Juni 2019 kreuzte sie mit einem Schiff auf dem Mittelmeer, um Flüchtlinge zu retten. Einige Menschen nahm sie an Bord und steuerte dann den Hafen von Lampedusa an. Trotz eines Verbots der italienischen Behörden. Seitdem gilt Rackete als überzeugte Linke. Als eine, die ihre Ziele entschlossen verfolgt, auch wenn sie dabei geltendes Recht verletzt.
Jetzt, fünf Jahre später, will Rackete ins Europaparlament einziehen, als Spitzenkandidatin der Linken. Wird sie von der Partei instrumentalisiert, weil die Menschen sie kennen? Oder will sie ihre Positionen jetzt in einem Parlament durchsetzen, diesmal ohne gegen das Recht zu verstoßen?
- Politik-News: Die wichtigsten Nachrichten des Tages aus der Bundespolitik im Blog
- Neue Partei: Bundestagsabgeordnete der Grünen wechselt zur CDU
- Gerichtsurteil: Keine Waffen für AfD-Mitglieder? Jäger und Schützen unter Druck
- Klimawandel: Fluten, Hitze, Erdrutsche – So müssen Kommunen Bürger schützen
- Parteitag: AfD-Delegierter beißt Demonstranten – Video zeigt Vorfall
Die wissenschaftlichen Fakten wurden lange Zeit ignoriert
Je länger das Gespräch mit Rackete dauert, desto klarer wird: Über Flüchtlingspolitik will Rackete nicht mehr so viel reden. Sie möchte sich nicht auf die Seenotrettung reduzieren lassen. Stattdessen hat sie die Klimapolitik zu ihrem Schwerpunkt gemacht. Für Rackete ist das logisch: Die Fluchtbewegung, etwa aus Afrika, hänge unmittelbar mit der Klimakrise zusammen. Das will sie als Abgeordnete im Europaparlament für die Linke angehen.
Dass es nirgendwo hinführe, wenn wissenschaftliche Fakten für sich alleinstehen, ohne dass es eine politische und soziale Wende gebe, habe sie schon früh gelernt, erzählt sie. Und zwar vor ihrer Zeit als Seenotretterin, als sie noch auf der „Polarstern“, dem großen deutschen Forschungseisbrecher, unterwegs war. Da sah sie das schmelzende Eis, die Folgen des Klimawandels – und fand, dass die Politik zu wenig dagegen tue.
Ihr zweites großes Projekt sieht Rackete in der Bekämpfung des Lobbyismus: „In Brüssel gibt es 25.000 registrierte Lobbyisten“, sagt sie. Damit wäre die Stadt nach Washington die zweitgrößte „Lobby-Hochburg“ der Welt. Sie will den Einfluss der Konzerne auf die politischen Entscheidungen eindämmen. Es gehe eben auch um die Frage, wem am Ende das Geld der Europäer zugutekomme: „Wer macht die Profite, die Konzerne oder ist Geld für die Allgemeinheit da?“
Der Ausgang dieses Experiments ist noch offen
Was sie im Brüsseler Alltag konkret ändern will, das sagt sie noch nicht. Die Linke liegt aktuell bei etwa drei Prozent in den Umfragen zur Europawahl. Damit würde sie zwar ins Parlament einziehen, doch in die aktive Politik kaum eingreifen können.
Die Frage ist, wem ihre Kandidatur mehr nutzt. Den Linken, weil sie eine derart prominente Frontfrau haben? Oder Rackete, weil sie eine neue Aufgabe für sich gesucht hat? Rackete glaubt nicht, dass die Partei sie instrumentalisieren wolle. Sie habe sich ganz bewusst in einem Team von Mitstreitern für die Kandidatur entschieden. Aber: Sie ist kein Mitglied der Linkspartei. Das sei eine bewusste Entscheidung der Parteispitze, „damit die Öffnung in Richtung der sozialen Bewegung deutlich wird“, sagt sie. Und ihre Entscheidung sei es auch gewesen, deshalb schließt sie für die Zukunft die Mitgliedschaft aus. Es wirkt wie ein Experiment: Rackete, die Aktivistin, tritt für die Linkspartei an, will sich davon aber nicht vereinnahmen lassen. Sie will etwas verändern, ohne zu sehr Teil des Systems zu werden. Ob das funktioniert? Der Ausgang dieses Experiments ist noch offen.