Berlin. Nach dem Tod eines Polizisten werden Rufe nach neuen Verboten laut. Die Innenministerin wiegelt ab – und die Forschung gibt ihr Recht.
Seit Montag ist ein kleines, schwarzes Band an die Rückspiegel vieler Polizeiautos geknotet. Die Wagen der Bundespolizei fahren mit Trauerflor, die Fahrzeuge der Landespolizei in Baden-Württemberg ebenso. Die Trauer ist groß, der Schock sitzt tief. Und nicht nur die Beamten sind bestürzt nach dem tödlichen Messerangriff auf einen Polizisten in Mannheim. Auch die Politik reagiert entsetzt. Der Polizist habe für Frieden und Sicherheit sein Leben verloren, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Montag.
Und mit Blick auf den mutmaßlich islamistischen Hintergrund der Bluttat kündigte der Regierungschef ein hartes Vorgehen an: „Wenn jetzt Extremisten die Freiheit, sich zu bewegen, seine Meinung zu äußern, beeinträchtigen, dann müssen sie wissen, dass sie uns als ihre härtesten Gegner haben.“ Inzwischen hat die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen an sich gezogen.
Tatwaffe Messer: Gewaltforscher mit klarer Warnung
Sorgen bereitet Sicherheitsexperten aber nicht nur das vermutlich extremistische Motiv, sondern die Tatwaffe: Mehrmals hatte der Attentäter, ein 25-jähriger Mann mit afghanischer Staatsbürgerschaft, mit einem Messer auf den Kopf des Polizisten eingestochen, auch fünf weitere Menschen verletzte er mit der Stichwaffe.
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Es sei möglich, dass es jetzt zu Nachahmungstaten komme, sagte der Kriminologe und Gewaltforscher Dirk Baier von der Universität Zürich unserer Redaktion: „Ich denke, dass die Gefahr weiterer Messerattacken real ist, nicht allein des Nachahmungseffekts wegen, sondern weil es erklärtes Ziel von Islamistischen Gruppen wie dem IS ist, in Europa Angst und Schrecken zu verbreiten – und dies auf dem Weg einzelner Gewalttäter.“ Die Gewerkschaft der Polizei ruft bereits dazu auf, das Thema Gewalt gegen Polizisten und Messergewalt zusammen zu debattieren.
Statistik: 459 Tatverdächtige waren Ausländer, 444 waren Deutsche
Denn die Entwicklung ist alarmierend. Die Zahl der Messerangriffe steigt seit Jahren. 2023 wurden laut Polizeilicher Kriminalitätsstatistik bundesweit 8951 Fälle registriert, das sind rund zehn Prozent mehr als im Jahr zuvor – wobei ein unmittelbar angedrohter Angriff ebenso gezählt wird wie eine ausgeführte Tat. Eindeutig ist der Trend auch aus Sicht der Bundespolizei, die in Bahnhöfen, Zügen und Flughäfen zuständig ist: An diesen Tatorten nahm die Zahl der Messerangriffe voriges Jahr sogar um 31,5 Prozent auf 1160 Fälle zu – seit 2019 haben sich die Fallzahlen für diesen Bereich verdoppelt.
In dieser Statistik der Bundespolizei, die die Bundesregierung dem Bundestag übermittelt hat, finden sich auch Details zur Herkunft der Täter: Demnach waren 459 Tatverdächtige Ausländer – am häufigsten aus Syrien, Polen, der Türkei und Afghanistan –, 444 Tatverdächtige hatten dagegen die deutsche Staatsbürgerschaft. In 270 Fällen war die Herkunft laut Bundespolizei unbekannt.
Gewaltforscher Baier sagt, das Messer sei eine „Jedermanns-Waffe“. Die Beschaffung auch illegaler Exemplare sei einfach und erfolge häufig über das Internet oder Netzwerke bei Freunden – sie könnten daher von jedem eingesetzt werden. „Dass wir es derzeit bei Islamisten sehen, ist einem Strategiewechsel in dieser Extremistengruppe zuzuschreiben: Islamisten planen nicht mehr die großen Anschläge, weil die Nachrichtendienste und Polizeien dies aufgrund der längeren Planungen frühzeitig entdecken und verhindern. Ein von einer Person mit Messer durchgeführter Anschlag lässt sich aber kaum verhindern und kann ebenso zu großem Leid und öffentlicher Aufmerksamkeit führen.“
Tat von Mannheim befeuert Debatte um Messer-Verbote im ÖPNV
Als Reaktion auf die zunehmende Messerkriminalität hatten sich die Innenminister von Bund und Ländern schon 2023 für ein ausdrückliches Messerverbot in Zügen und auf Bahnhöfen ausgesprochen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wollte ein solches Verbot sogar für den gesamten öffentlichen Nahverkehr einführen, nachdem Anfang 2023 ein inzwischen wegen Mordes verurteilter, staatenloser Palästinenser in einem Regionalzug bei Brokstedt (Schleswig-Holstein) zwei Menschen erstochen und vier schwer verletzt hatte. Einige Städte haben zudem Waffenverbotszonen eingerichtet – auch Mannheim. Doch die neue Tat befeuert die Debatte.
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Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) fordert, die Messergewalt stärker in den Fokus zu nehmen – mit schärferen Regeln, mehr Kontrollen und härtere Strafen. Auch die niedersächsische Landesregierung macht Druck auf die Bundesregierung – und bringt das Thema in Kürze auf die Tagesordnung des Bundesrats. In einer kurz vor der Bluttat von Mannheim beschlossenen Initiative will Innenministerin Daniela Behrens (SPD) die Unterstützung der anderen Länder für weitere Änderungen im Waffenrecht, auch um die Messerkriminalität einzudämmen. „Für mich ist absolut unverständlich, dass der legale Umgang mit bestimmten Springmessern heute immer noch möglich ist“, sagt Behrens.
Die Gewerkschaft der Polizei hatte erst vor kurzem ein Maßnahmenpaket vorgeschlagen, das neben einer Verschärfung des Waffenrechts eine stärkere Präsenz der Polizei und mehr Kontrollen in bestehenden Waffenverbotszonen vorsieht. Doch das Bundesinnenministerium sieht einem Sprecher zufolge „keinen weiteren Änderungsbedarf“: Der Umgang mit Messern sei bereits „stark reguliert“, Erwerb und Besitz bestimmter Messer wie Butterflymesser sind demnach bereits verboten.
FDP-Vize Wolfgang Kubicki: „Mannheim ist ungleich schlimmer als Sylt“
FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle plädierte unterdessen für ein konsequenteres Vorgehen gegen islamistischen Extremismus: Über eine angemessene Ausstattung der Sicherheitsbehörden müsse ebenso gesprochen werden wie über zügigere Verbote islamistischer Vereine, Maßnahmen gegen islamistische Influencer in den sozialen Medien und Abschiebungen islamistischer Täter ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Kuhle betonte: „Muslimische Verbände und Geistliche dürfen sich bei der Bekämpfung des Islamismus nicht wegducken.“
Kuhles Fraktionskollege Wolfgang Kubicki sagte dem Hamburger Abendblatt: „Mannheim ist ungleich schlimmer als Sylt – aber das scheinen nicht alle zu erkennen.“ Den Islamisten sei es darum gegangen, den Polizisten bewusst und aus Hass zu töten. „Solche Untaten erschüttern das Vertrauen der Menschen in unsere Rechtsordnung massiv“, sagte der Bundestags-Vizepräsident. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bekräftigte die Forderung nach konsequenter Abschiebung von Straftätern, die als Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind.
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