Berlin. Unter Präsident Raisi richtete das Regime zahlreiche Menschen hin. Trotzdem kondoliert der Kanzler zu seinem Tod. Die Kritik ist enorm.

Darf man zum Tod eines Massenmörders kondolieren? Nach seinem ungewöhnlich kurzen Kondolenzschreiben an das Regime in Teheran infolge des Helikopterabsturzes, bei dem Irans Präsident Ebrahim Raisi ums Leben kam, steht Bundeskanzler Olaf Scholz in der Kritik. Nicht nur in den sozialen Medien, auch in der Politik wird diskutiert, ob es angemessen war, dem Iran das Beileid der Deutschen auszusprechen – angesichts der vielen Menschen, die auf Geheiß von Raisi hingerichtet wurden.

Auf der Plattform X, vormals Twitter, hatte zunächst der Hashtag #NotinmyName („Nicht in meinem Namen“) die Runde gemacht, mit dem sich viele Nutzerinnen und Nutzer von den Beileidsbekundungen des Bundeskanzlers, aber zuvor auch der Europäischen Union, vom Tod des iranischen Präsidenten distanzierten. „Wie tief kann er noch sinken?“, fragte eine Nutzerin auf X. „Ich schäme mich für unser Land!“ Eine andere fragte: „Herr Bundeskanzler! Wo waren Sie, als man Iraner:innen auf der Straße abschlachtete?“

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Auch die iranische Journalistin und Friedensaktivistin Masih Alinejad erklärte auf X, die Worte des Kanzlers seien ein „Schlag ins Gesicht der iranischen Bevölkerung“. Es gebe in dieser Sache keine Mitte, so Alinejad weiter. „Entweder sind Sie für die Frau, das Leben und die Freiheit oder für einen Richter des Todes!“ Der Exil-Iraner und Islamwissenschaftler Arash Guitoo teilte ein Plakat mit den Bildern der Frauen und Männer, die im Iran unter Raisi hingerichtet wurden, und setzte den Kommentar „Mit stillem Gruß“ hinzu. Damit spielte er auf die Worte an, mit denen das Kondolenzschreiben des Kanzlers endete.

Beileidsbekundungen für Despoten gab es immer schon

Selbst seitens der Politik sieht sich Scholz klarer Kritik an seinem Vorgehen ausgesetzt. Der CDU-Politiker und Ex-Kanzlerkandidat Armin Laschet schrieb auf X, man müsse „als Bundeskanzler jetzt nicht im Gegenzug die Gräueltaten des ‚Schlächters von Teheran‘ benennen. Aber was passiert diplomatisch eigentlich, wenn man einfach schweigt?“, fragte er. „Als Bundeskanzler hätte man so ein zartes Signal der Solidarität mit den geschändeten Frauen des Terrorregimes setzen können.“

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Ist diese Kritik berechtigt? Wörtlich steht in dem Schreiben des Kanzlers: „Uns hat die Nachricht vom Hubschrauberabsturz und dem Tod von Staatspräsident Raisi erreicht. Unser Beileid gilt der Regierung der Islamischen Republik Iran und den Familien der beim Absturz Getöteten“. In diplomatischen Kreisen gilt das als überaus knapp, beinahe schon als Affront. Doch es gibt auch Regierungsmitglieder, die sich deutlich frostiger über den Tod Raisis äußerten.

Helmut Schmidt kondolierte 1976 auch zum Tod von Mao

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte der „Bild“-Zeitung, ihre Solidarität gelte „den Menschen im Iran und vor allen Dingen den Frauen im Iran“. Kein Wort des Beileids. Dennoch ist es nicht unüblich, auch zum Ableben von Despoten und Autokraten zu kondolieren. Nach dem Tod des chinesischen Diktators Mao 1976 sprach der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) in einem Schreiben an Peking von einer „großen Persönlichkeit“. Umgekehrt schickte 2019 Nordkoreas Diktator Kim-Jong Un sogar zum Tod der Mutter von Südkoreas Staatschef Moon Jae ein Beileidsschreiben.

Ohnehin ist man sich in Europa im Umgang mit der Todesnachricht uneinig. Während der Vize-Präsident der EU, Josep Borrell, für seine Beileidsbekundungen wegen des „tragischen Helikopterabsturzes“ empörte Reaktionen erhielt, reagierten etliche Staatschefs überhaupt nicht. Ein Weg, der zwar ungewöhnlich, aber für viele Exil-Iraner auch mit Blick auf Scholz der bessere gewesen wäre. Die Frauenrechtlerin Monireh Kazemi, die in den 1980ern aus dem Iran floh, appellierte auf X an „den Bundespräsidenten, die Bundesregierung sowie das Auswärtige Amt, keine Kondolenzschreiben an das islamische Terrorregime zu senden“.