Berlin. Laut einer aktuellen Recherche sollen von der EU finanzierte Sicherheitskräfte in Nordafrika systematisch Geflüchtete aussetzen.

In mehreren nordafrikanischen Ländern werden offenbar Geflüchtete systematisch aufgegriffen und in entlegenen Gebieten oder der Wüste ausgesetzt – mit dem Wissen der Europäischen Union. Das hat eine großangelegte Recherche ergeben, an der unter anderem der „Spiegel“, der Bayerische Rundfunk und die gemeinnützigen Investigativredaktion Lighthouse Reports beteiligt waren. Rund ein Jahr lang recherchierte das Team aus Reporterinnen und Reportern in unterschiedlichen Ländern, überprüfte Dokumente und Videos und sprach mit Geflüchteten.

Die Geschichten, die sie erzählten, schockieren: Ein junger Mann aus Kamerun berichtete beispielsweise, dass er auf einem Boot vor der Küste Tunesiens aufgegriffen und von der Küstenwache im Niemandsland an der Grenze zu Algerien ausgesetzt worden sei. Mit einer Gruppe von Migranten sei er anschließend neun Tage lang durch die Wüste geirrt, bis sie irgendwann in einer kleinen Stadt angekommen seien.

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EU zahlt Tunesien mehr als 100 Millionen für Grenzschutz

Das Recherche-Team konnte alleine in Tunesien 14 solcher Verschleppungsaktionen dokumentieren. Die Zahl der Geflüchteten, die verschleppt oder ausgesetzt wurden, könnte allerdings deutlich höher liegen. Und: Die Fälle betreffen nicht nur Tunesien. Auch Marokko und Mauretanien konnte das Team ein ähnliches Vorgehen belegen. Eine 27-jährige Frau aus Guniea etwa schilderte, wie sie von der mauretanischen Küstenwache festgenommen worden sei, als sie versuchte, die Kanaren zu erreichen und anschließend in einer verlassenen Wüstengegend an der Grenze zu Mali ausgesetzt worden sei.

Die EU soll laut dem Bericht von dem Vorgehen der Sicherheitskräfte wissen – und dennoch mit den Behörden vor Ort kooperieren. So wurde beispielsweise erst im Sommer vergangenen Jahres ein Abkommen zwischen der EU und Tunesien vereinbart, das unter anderem Hilfen in Höhe von mehr als 100 Millionen Euro für den Grenzschutz vorsieht. Die Bundesregierung lieferte Tunesiens Sicherheitskräften zudem etwa Ausrüstung und Fahrzeuge und bildete Personal aus.

Während die tunesische Regierung die Vorwürfe zurückwies, bestritt die Bundesregierung diese nicht. Man habe „die Verschleppung (...) verurteilt und die Einstellungen dieser Praktiken und Aufklärung gefordert“, erklärte diese laut dem Bericht. Aus der EU-Kommission hieß es, man erwarte, dass Partnerländern die Menschenrechte der Geflüchteten respektieren würden. Letztendlich seien die Länder jedoch selbst für ihre Sicherheitskräfte verantwortlich.

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Behörden vor Ort weisen Anschuldigungen zurück

In Mauretanien sollen spanische Polizisten laut den Recherchen mit den einheimischen Beamten zusammenarbeiten, die spanische Regierung soll im Land zudem etwa Migrantenlager renovieren oder Boote und Drohnen liefern. Mit den Vorwürfen konfrontiert, teilte das spanische Innenministerium mit, spanische Polizisten würden die Menschenrechte der Migranten respektieren. Man habe bisher keine Menschenrechtsverletzungen beobachtet.

Auch die marokkanischen Behörden wiesen die ihnen vorgeworfenen Menschenrechtsverletzungen zurück. Die EU hingegen dokumentierte das Vorgehen bereits 2019. Dennoch zahlt sie bis heute Millionen an Marokko und liefert zudem Equipment wie etwa Fahrzeuge.