Berlin. Die Liberalen treffen sich zum Parteitag in Berlin. Mit der rot-grün-gelben Koalition fremdeln sie. Ihr Chef hält dennoch daran fest.

Eines hat die FDP geschafft in dieser Woche: Sie steht mal wieder im Zentrum der Debatten im politischen Berlin. Anfang der Woche billigte das Parteipräsidium ein Zwölf-Punkte-Papier „zur Beschleunigung der Wirtschaftswende“. Es fordert unter anderem strengere Regeln beim Bürgergeld, das Ende der Rente mit 63 und Steuervorteile für Überstunden und Investitionen. Von einem „Scheidungspapier“ war schnell die Rede, Beobachter mutmaßten, dass die Liberalen damit den Ausstieg aus der Ampelkoalition vorbereiteten.

Am Wochenende findet nun in Berlin ein Bundesparteitag der FDP statt. Es wird darum gehen, das liberale Profil vor den anstehenden Europa- und Landtagswahlen zu schärfen. Der Ausstieg aus der rot-grün-gelben Regierung ist nicht zu erwarten. Wir erläutern, warum FDP-Chef Christian Lindner trotz ständiger Konflikte zur Ampel steht.

1 – Es fehlt an einer Alternative

Der Blick auf die Umfragen fällt für die Liberalen seit geraumer Zeit ernüchternd aus. Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, würden sie mit einiger Wahrscheinlichkeit aus dem Parlament fliegen. Auch in den Ländern sieht es zappenduster aus. Ein Koalitionsbruch mit dem Ziel Neuwahlen wäre vermutlich Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Und anders als 1982 kann die FDP jetzt auch nicht während der Legislaturperiode eine andere Koalition eingehen, das geben die Kräfteverhältnisse im Bundestag nicht her. Vor 42 Jahren hatte die FDP die sozialliberale Koalition von Kanzler Helmut Schmidt (SPD) verlassen, um in eine unionsgeführte Regierung unter Helmut Kohl (CDU) einzutreten.

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    2 – Die staatspolitische Verantwortung

    Der FDP-Chef ist kein Zocker, der übermäßige Risiken in Kauf nimmt. In der Ukraine und im Nahen Osten toben Kriege, Deutschland und Europa stecken inmitten gewaltiger Transformationen. Überall auf dem Kontinent sind rechtsextreme Parteien auf dem Vormarsch. In dieser Situation kann sich Deutschland nicht monatelang im Wahlkampf mit sich selbst beschäftigen. Im Interview mit dieser Redaktion betonte Lindner unlängst: „Das ist keine Zeit für Hasardeure.“ In dieser Woche erteilte der Parteichef Lockrufen der Union für eine Zusammenarbeit oder gar für einen Ausstieg aus der Ampel eine klare Absage: Er mache keine „Koalitionsspielchen“.

    3 – Höher geht’s nicht

    Christian Lindner ist 45 Jahre alt – und längst auf dem Zenit seiner Karriere angelangt. Mehr als Bundesfinanzminister kann er als Chef einer Kleinpartei kaum werden. Der Posten ist sein Traumjob. Da liegt es nahe, so lange wie möglich an ihm festzuhalten. Also zumindest bis zu den nächsten regulären Bundestagswahlen im Herbst 2025. Flöge die FDP bei vorgezogenen Neuwahlen aus dem Bundestag, könnte sich Lindner als Parteichef kaum halten. Käme sie ins Parlament, aber nicht mehr in die Regierung, müsste Lindner womöglich wieder die Kärrnerarbeit eines Fraktionsvorsitzenden in der Opposition machen.

    4 – Mit Merz wär’s auch nicht schön

    FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hatte vor zwei Monaten öffentlich mit der Union geflirtet und gesagt, dass für ihn am ehesten eine Koalition mit CDU und CSU in der Lage wäre, die Probleme des Landes zu lösen. Bei den Liberalen ist die Erinnerung an die Legislaturperiode 2009–2013 allerdings noch sehr präsent: Die damalige schwarz-gelbe Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel gab über weite Strecken ein erbärmliches Bild ab. Am Ende flog die FDP bei der Bundestagswahl hochkant aus dem Parlament. Inzwischen ist die Union unter CDU-Chef Friedrich Merz weiter nach rechts gerückt, das beißt sich mit den gesellschaftspolitischen Vorstellungen der Liberalen. Selbst wenn es nach einem Urnengang wieder für Schwarz-Gelb reichen würde, wäre auch das ein kompliziertes Dreierbündnis. Der Dritte im Bunde wäre die CSU von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Dessen Reden und Tun sind bekanntlich so wechselhaft wie das Wetter im April.

    5 – Das politische Erbe

    Mit dem Eintritt in die Ampelkoalition 2021 gelang es Lindner, eine Scharte auszuwetzen: Bis dahin hatte er als jemand gegolten, der sich in die Büsche schlägt, wenn es ernst wird. Grund dafür war der Umstand, dass er nach der Wahl 2017 die weit fortgeschrittenen Sondierungen von Union, Grünen und FDP zur Bildung eines Jamaika-Bündnisses platzen ließ und dies mit dem lapidaren Satz quittierte: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“ Wenn Lindner jetzt die Ampelkoalition unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) verließe, würde er doch noch als Hinschmeißer in die Geschichtsbücher eingehen.