Berlin. Mit simplen Mitteln erreicht die AfD auf TikTok viele junge Menschen. Warum das gefährlich ist und was Jugendschützer sagen.

Es ist kurz vor 13 Uhr, als AfD-Chefin Alice Weidel am Mittwoch in der Generalaussprache des Bundestags ans Pult tritt. Elf Minuten lang spricht sie. Wenige Stunden später, am Nachmittag, ist die Rede bereits online – jedenfalls ein Teil davon. Einen 40-Sekunden-Clip postet die AfD-Fraktion auf der Videoplattform TikTok, als Überschrift ein Zitat von Weidel: „Diese Regierung hasst Deutschland“. Kurz darauf beginnen die ersten Likes und Kommentare einzulaufen, 24 Stunden später hat das Video knapp 140.000 Aufrufe.

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Die AfD setzt auf TikTok, um ihre Botschaften zu verbreiten, und das mit einigem Erfolg. Keine andere Partei hat so viele Follower auf der App, die mit kurzen Tanzvideos bekannt geworden ist und vor allem unter Jugendlichen und jungen Menschen längst zu den beliebtesten sozialen Netzwerken gehört.

Netzwerk von rechten TikTok-Accounts

Rund 21 Millionen Nutzer hat die App nach Angaben von TikTok selbst. Allein dem Konto der AfD-Bundestagsfraktion folgen rund 400.000 Menschen, die beliebtesten Videos haben millionenfache Aufrufe. Nahezu alle Beiträge sind kurze Schnipsel aus Bundestagsauftritten von AfD-Abgeordneten, die mit geringem Aufwand produziert werden, aber mit knalligen Überschriften zum Teil große Reichweite erlangen.

Bundestagsreden wie hier von Alice Weidel verwertet die AfD auf TikTok (Fotomontage der Redaktion).
Bundestagsreden wie hier von Alice Weidel verwertet die AfD auf TikTok (Fotomontage der Redaktion). © iStock | istock/TikTok

Und nicht nur die Bundestagsfraktion ist präsent – von der Landtagsfraktion bis hin zum Ortsverein haben Mitglieder und Funktionäre der AfD die App für sich entdeckt. Die offiziellen Parteiaccounts sind dabei umgeben von einer Vielzahl kleinerer Konten, die das Logo der Partei tragen oder die AfD im Namen, aber nicht unbedingt von der Partei betrieben werden. Auch sie verbreiten Zusammenschnitte mit den Botschaften der AfD.

Auf TikTok trifft die AfD ein junges Publikum, das oft wenig Werkzeuge hat, die Inhalte einzuordnen

Eine Analyse des Institute for Strategic Dialogue (ISD) hat mehr als 1000 Profile und Kanäle extrem rechter Akteure über mehrere Jahre verfolgt und ausgewertet, auch die AfD. Deutsche Radikale sind auf Dutzenden Plattformen im Netz unterwegs, sie heißen Gettr, Odysee oder BitChute – es sind Parallelwelten der Propaganda. Während Reichsbürger und rechte Verschwörungsideologen kleine Szene-Netzwerke nutzen, sind die AfD-Profile besonders stark bei TikTok aktiv. Die Plattform spiele „eine Schlüsselrolle“ in der Online-Strategie der Partei, zu dem Fazit kommen die Macher der ISD-Studie.

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    Die Videos treffen auf ein junges Publikum, das oft wenig Werkzeuge hat, sie einzuordnen. Laut einer qualitativen Befragung des Leibniz-Instituts für Medienforschung ist die Plattform, gemeinsam mit YouTube und Instagram, insbesondere bei Jugendlichen, die wenig Interesse an Nachrichten haben und kaum journalistische Angebote nutzen, fast der einzige Weg, über den sie Informationen zu aktuellen Ereignissen erreichen.

    Viele AfD-Abgeordnete sind auf TikTok aktiv

    Die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ) ist Deutschlands Aufsichtsbehörde im Netz und soll Gefahren für junge Menschen erkennen – und dagegen vorgehen. Das Amt führte in den vergangenen zwei Jahren rund 1500 Verfahren gegen Telemedien. Auf Nachfrage unserer Redaktion warnt das Amt in Bonn vor extremistischen Inhalten auf Online-Plattformen wie TikTok oder YouTube. In vielen Fällen seien sie „jugendaffin und professionell“ gestaltet und oft nicht als „extremistisch“ zu erkennen. Eine Sprecherin hebt hervor: „Vielfach wird versucht, Kinder und Jugendliche schrittweise zu radikalisieren und die Online-Kommunikation von öffentlichen, großen Angeboten in kleinere Kommunikationsräume zu verlagern.“

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    Auch viele einzelne Abgeordnete aus Bundestag und Landesparlamenten laden Videos hoch. Ulrich Siegmund etwa, Fraktionschef der AfD in Sachsen-Anhalt. Seine Videos sind oft passend zum Stil der Plattform in Nahaufnahme in die Kamera gesprochen. Darin echauffiert er sich über „Klima-Irrsinn“, „Abzocke“ und „Zwangsbeiträge“, argumentiert mit steigenden Kita-Gebühren in einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt gegen Bundesausgaben für internationalen Klimaschutz und Bürgergeld.

    Siegmund gehörte zu den AfD-Vertretern, die im November bei der Konferenz am Lehnitzsee in Potsdam waren, wo Teilnehmer über die millionenfache Ausweisung von Menschen mit Migrationsgeschichte sprachen. Die Berichterstattung über das Treffen und die Empörung, die seitdem durchs Land rollt, nennt er in einem Video eine Kampagne, „ein riesengroßes abgekartetes Spiel“. Und es trenne sich jetzt „die Spreu vom Weizen“ – zwischen denen, die die Kampagne erkennen würden, und den anderen.

    Die AfD profitiert davon, dass die anderen Parteien zurückhaltend waren im Umgang mit TikTok

    „Wir gegen die“ – ein Schema, das auf der Plattform gut funktioniert. Die Funktionsweise der App ist darauf ausgerichtet, dass sich Nutzerinnen und Nutzer möglichst lange auf der Plattform aufhalten, Videos kommentieren, teilen, interagieren. Und polarisierende Inhalte funktionieren dabei besonders gut, sagt Antonia Hmaidi, Expertin für chinesische Digitalpolitik beim Mercator Institute for China Studies (MERICS). Das komme der AfD entgegen: „Wenn man eine Partei ist, die in ihrem medialen Auftritt eher zurückhaltend und unaufgeregt ist, muss man sich sehr verstellen, um auf TikTok erfolgreich zu sein“, sagt Hmaidi. „Wer ohnehin anecken will, hat es leichter.“

    Die AfD profitiert zudem davon, dass andere Parteien im Umgang mit der App lange zurückhaltend waren. Weil ByteDance, die Firma hinter der Plattform, in China sitzt, gibt es verbreitete Bedenken, was den Schutz der gesammelten Daten angeht. Die großen deutschen Parteien haben sich dem Netzwerk deshalb zögerlich angenähert – und so Raum gelassen für die AfD, die diese Berührungsängste nicht hatte.

    Auch die SPD macht immer mehr auf TikTok

    Eine Ausnahme ist die SPD-Fraktion im Bundestag, die seit Mai 2021 auf der Plattform vertreten ist und nach der AfD den größten Account unter den Bundestagsfraktionen hat. Auch die SPD postet Schnipsel aus Bundestagsreden, setzt aber auch auf Erklär- und Dialogformate. „Wir überlassen der AfD nicht einfach die digitalen Räume, sondern bauen unsere Präsenz hier gezielt aus“, sagt Josephine Ortleb, parlamentarische Geschäftsführerin der SPD. Die wichtigste Plattform sei zwar immer noch Instagram, doch TikTok rücke immer mehr in den Fokus.

    Josephine Ortleb, parlamentarische Geschäftsführerin der SPD.
    Josephine Ortleb, parlamentarische Geschäftsführerin der SPD. © dts-Agentur | Pa

    Über die Inhalte der AfD sagt sie: „Die machen gar keine Politik mehr, die gucken nur noch, dass ihre Reden auf TikTok funktionieren.“ Wie gut „rechtsextreme“ Inhalte auf der App funktionieren, habe man lange unterschätzt. Gleichzeitig beobachte man zunehmen auch, dass Nutzer in den Kommentaren unter Videos in die Diskussion gingen und menschenverachtende Sprüche nicht einfach stehen ließen.

    Experten setzen auf andere TikTok-Taktik

    Und wie schwer es ist, gegen Desinformation und teilweise auch strafbare Inhalte vorzugehen, merken Sicherheitsbehörden und Bundesämter auch. Vor allem eines macht Fachleuten Sorge: Der wachsende Einfluss von TikTok zeigt einen Trend. Politische Propaganda basiert immer weniger auf hetzerischen Texten – oftmals sind die Botschaften in Videos gebastelt, also audiovisuell. Diese aber nach strafbaren Inhalten zu filtern und die hetzerischen Filme zu identifizieren, ist viel komplizierter als die Suche nach Texten.

    Experten setzen daher auf eine andere Taktik im Kampf gegen extremistische Propaganda: aufklären statt löschen. Man will die Jugend warnen, problematische Inhalte besser kennzeichnen. Die Bundeszentrale hebt die Bedeutung von „sicheren, altersbezogenen Voreinstellungen“ am heimischen Computer oder am Handy hervor, um junge Menschen vor Hetze und Fake News schützen zu können.

    Und noch einen Tipp hat die Behörde: Kinder und Eltern sollten sich austauschen, miteinander ins Gespräch kommen, auch über politische Beiträge im Netz, über das, was sie beim Surfen erleben. Vielleicht ist die Debatte am Abendbrottisch am Ende der beste Schutz gegen extremistisches Gedankengut.