Washington. In den USA erwägen mehrere unabhängige Bewerber, ins Rennen um die Präsidentschaft einzusteigen. Womöglich nutzt das am Ende Trump.

Die Meinungsforschung ist ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen in den USA eindeutig: Zwei Drittel der Amerikanerinnen und Amerikaner wollen am 5. November 2024 weder Joe Biden noch Donald Trump auf dem Wahlzettel. Der eine gilt als zu alt und verhuscht, der andere mit seinen vielen Strafverfahren als zu toxisch. Vor allem unabhängige Wähler und Wählerinnen warten sehnsüchtig auf eine Alternative.

Die immergrüne Frage über die Chancen eines Dritt-Kandidaten, der auf der Außenbahn ohne die institutionelle Rückendeckung der republikanischen oder der demokratischen Partei ins Rennen geht, gewinnt darum besondere Bedeutung. Vor allem, weil einer der beteiligten Namen zu den wohlklingendsten in der amerikanischen Politik-Geschichte gehört: Kennedy.

In diesem Fall Robert F. Kennedy Jr., Sohn des wie sein Onkel John F. Kennedy ermordeten Ex-Justizministers Bobby Kennedy. Der 69 Jahre alte Umwelt-Anwalt, Corona-Impfgegner und emsige Multiplikator von Verschwörungserzählungen (die CIA habe seinen Onkel umgebracht, Juden und Chinesen seien genetisch gegen das Corona-Virus im Vorteil…) aus Kalifornien hat gerade mit einer einzigen Zahl Schockwellen durch das politische Washington gejagt: 22.

Analysten warnen vor „demokratietechnisch verheerenden Konsequenzen“

22 Prozent. So viel könnte Kennedy Jr. heute bei einer Präsidentschaftswahl auf sich vereinen. Joe Biden käme auf 39 Prozent, Trump auf 36. Auch wenn die renommierte Quinnipiac Universität die Vorläufigkeit der repräsentativ erhobenen Zahlen betont: So viel Zuspruch hat seit Jahrzehnten kein Dritt-Partei-Kandidat mehr erfahren.

Der Milliardär Ross Perot war 1992 der letzte parteiunabhängige Vertreter, der sich in diesen Regionen bewegte. Was am Ende dazu führte, dass der demokratische Kandidat Bill Clinton mit nur 43 Prozent Präsident wurde. Der republikanische Amtsinhaber George H. W. Bush musste mit 37,5 Prozent im Weißen Haus die Segel streichen.

Dabei fiel ein Detail ins Gewicht. Trotz seines stolzen Stimmengewinns von 19 Prozent holte Perot keine einzige Stimme im entscheidenden Forum, das in den USA den Präsidenten bestimmt: im „electoral college”. Dort sind 270 von 538 Stimmen nötig, um die Schlüssel zum Weißen Haus ausgehändigt zu bekommen. Bei der Wahl 2024, urteilen diverse Analysten, könnte das anders laufen – „mit demokratietechnisch verheerenden Konsequenzen“.

US-Wahlen: Parolen gegen Wall Street und Big Tech

Donald Trump könnte nach 2016 zum zweiten Mal Präsident werden. Und zwar ohne bei der Wahl die meisten Stimmen gewonnen zu haben – geschweige denn die erforderlichen 270 Wahlmänner oder -frauen auf sich zu vereinen. Wie das ginge?

So: Die Gemengelage für die etablierten und weithin ungeliebten Spitzen-Vertreter Biden und Trump ist heute ungünstiger denn je. Neben Kennedy, der mit seinen Parolen gegen „Wall Street“, „Big Tech“, den „militärisch-industriellen Komplex“ und „korrupte Medien” vor allem bei jüngeren Amerikanern unter 45 Jahren Eindruck macht, und dem links-liberalen Professor Cornel West (parteiunabhängig) hat just eine erwiesene „Spielverderberin” ihre Ambitionen für das höchste Staatsamt angemeldet.

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    Jill Stein zog bereits 2016 rund 1,4 Millionen Stimmen, die am Ende der Demokratin Hillary Clinton fehlten, um Trumps erste Präsidentschaft abzuwenden. Für die Partei der Grünen will die 73-Jährige 2024 wieder im Wähler-Segment links der Mitte wildern.

    Joe Manchin wäre dagegen eher ein Fall für das rechts-konservative Spektrum. Der demokratische Senator aus West-Virginia, der zigfach gegen seine Partei gestimmt hat, will im nächsten Jahr nicht mehr kandidieren, was die Demokraten die hauchdünne Mehrheit im Oberhaus des Kongresses kosten könnte. Stattdessen liebäugelt der 76-Jährige ebenfalls mit einer parteiunabhängigen Kandidatur gegen Biden und Trump. „Ich werde durch das Land reisen und Gespräche führen, um herauszufinden, ob es Interesse an einer Bewegung zur Mobilisierung der Mitte und zur Zusammenführung der Amerikaner gibt“, kündigte er an. Das mit über 70 Millionen Dollar enorm finanzkräftige „No Labels”-Netzwerk könnte Manchin Anfang des Jahres aufs Podest haben.

    Vereinigte Staaten: Ein Blick ins Kleingedruckte des Wahlrechts

    Unterm Strich bedeutet das: Millionen Amerikaner werden aus tiefster Abneigung gegen die mediokre Performance des Zwei-Partei-Systems ihre Stimme sehr wahrscheinlich nicht bei Biden und Trump abgeben, die im Falle eines erneuten Aufeinandertreffens abermals nur hauchdünn auseinanderliegen dürften. Zur Erinnerung: Hätte Biden 2020 in Georgia, Pennsylvania, Arizona und Nevada zusammengerechnet nur 136.000 Stimmen weniger bekommen, wäre Trump ins Weiße Haus eingezogen.

    Sollte Robert F. Kennedy Jr. in zwölf Monaten der größte Nutznießer dieser Konstellation werden und so viele Stimmen im Wahlmänner-Gremium abgreifen können, dass keiner der beiden Großen das Quorum von 270 erreicht, öffnet sich die „Unterwelt” der amerikanischen Demokratie, wie ein Politik-Professor der Georgetown-Universität in Washington dieser Zeitung sagte.

    Denn dann ginge laut des 12. Verfassungszusatzes die Entscheidungsgewalt an den Kongress über, genauer: ans Repräsentantenhaus. Dort käme es aber nicht auf die einzelnen 435 Abgeordneten an, die ebenfalls im nächsten November neu gewählt werden. Präsident würde, wer die meisten Bundesstaaten, die jeweils eine Stimme in diesem Prozess haben, auf sich vereinigen kann. Derzeit kontrollieren die Republikaner 26 „state delegations”, die Demokraten nur 22. Stünden am Ende Trump und Biden zur Wahl, so US-Medien, käme voraussichtlich der republikanische Rechtspopulist über diesen Weg ans Ziel. Ausgerechnet ein Kennedy, so er erfolgreich wäre, hätte daran maßgeblichen Anteil.