Berlin. Mit Sahra Wagenknechts geplanter neuer Partei ändert sich das politische Spielfeld. Warum jetzt nicht nur die Linkspartei nervös wird.

Als die Einladung kommt, ist die Sprache nach Monaten der Fragezeichen fast überraschend eindeutig: „Gründung des Vereins ‚Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit‘“, so ist der erste Termin in der Bundespressekonferenz am Montag überschrieben, „zur Vorbereitung einer neuen Partei“.

Damit ist endgültig offiziell, woran in Berlin schon lange kaum noch jemand Zweifel hatte. Sahra Wagenknecht – Talkshow-Dauergast, Ex-Fraktionsvorsitzende der Linken, Ikone der einen und Plagegeist der anderen und Ehefrau von SPD-Spalter Oskar Lafontaine – macht wahr, was sie immer wieder angekündigt hatte, und gründet eine Partei. Es ist ein Projekt, das das Potenzial hat, das politische Spielfeld der Bundesrepublik zu verändern. Und nicht nur die Linke muss sich fragen, ob sie dadurch an den Rand dieses Feldes gedrückt wird.

Linke-Chefin Janine Wissler wirft Wagenknecht „Ego-Trip“ vor

Wenn Wagenknecht am Montag erklärt, wie sie sich ihr politisches Leben nach der Linken vorstellt, dann werden an ihrer Seite auch Amira Mohamed Ali, bis vor Kurzem noch Co-Chefin der Linken-Fraktion im Bundestag, und Christian Leye, noch Abgeordneter in dieser Fraktion sein. Schon wenn nur diese beiden mit Wagenknecht gemeinsam aus der Linksfraktion im Bundestag austreten, ist die Fraktion damit Geschichte. Die Linke hätte nicht mehr genügend Abgeordnete für den Fraktionsstatus – und damit auf einen Schlag weniger Geld, weniger Rechte im Parlament, weniger Ressourcen.

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    Linke-Chefin Janine Wissler warf Wagenknecht deshalb einen „Ego-Trip“ vor und forderte sie und ihre Mitstreiter auf, auf dem Ticket der Linken gewonnene Mandate an die Partei zurückzugeben. Dem dürfte Wagenknecht kaum nachkommen.

    Auch Mitglieder dürfte die Linke an das neue Konkurrenzprojekt verlieren, aber nur „einzelne, wenige“. Das hofft zumindest Tobias Bank, Bundesgeschäftsführer der Linken. Obwohl das Ende der Fraktion mit Wagenknechts Schritt näher rückt, ist bei der Linken auch Erleichterung zu spüren – darüber, dass sich nun endlich trennt, was seit Jahren auseinanderstrebt. „Wir können dann wieder ungehindert politisch arbeiten, ohne ständig von innen heraus grundsätzlich infrage gestellt zu werden“, sagt Bank.

    Uwe Jun, Politikwissenschaftler an der Universität Trier, sieht auf die Linke allerdings auch inhaltlich schwierige Zeiten zukommen. Die Partei habe zuletzt in der Migrations- und Klimapolitik vor allem akademisches Publikum angesprochen, wirtschafts- und sozialpolitisch dagegen Menschen mit wenig Geld. Jetzt müsse sie eine Strategie dafür finden, dass Wagenknecht ebenfalls das Thema Umverteilung in den Vordergrund stellen werde, aber verbunden mit sehr konservativen Positionen in Migrationsfragen. „Es gibt keine einzige Partei, die diese Kombination von linker Wirtschaftspolitik und restriktiver Migrationspolitik im Moment vertritt“, sagt er. Diese Lücke könnte Wagenknecht nutzen.

    Die AfD sieht „Schnittmengen“ zu Wagenknechts Partei

    Und damit nicht nur die Linke Stimmen kosten. Auch für die AfD könnte die neue Partei „eine schlechte Nachricht werden“, sagt Jun. Denn Wagenknecht ziele auf ähnliche Wählergruppen wie diese: „Menschen, die sich benachteiligt fühlen oder sind, die sehr migrationsskeptisch sind, die auch mit Klimapolitik wenig anfangen können.“ Wie viele davon sie am Ende wirklich wählen würden, hänge sehr davon ab, wie hart und restriktiv sich Wagenknecht beim Thema Migration positioniere.

    Entsprechend aufmerksam beobachtet man bei der AfD die Entwicklungen. Es gebe durchaus „Schnittmengen“ zwischen der Wählerschaft der AfD und den potenziellen Wählern einer Wagenknecht-Partei, sagt Daniel Tapp, Sprecher von Co-AfD-Chefin Alice Weidel, auf Anfrage. Doch die große Zustimmung, die diese Partei nach Umfragen möglicherweise bekommen könnte, sei bisher vor allem „demoskopische Kaffeesatzleserei“ – Wagenknecht fehle derzeit nicht nur ein Programm, sie brauche auch Köpfe, die die Arbeit an der Basis erledigen könnten.

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    Trotzdem bereitet man sich offenbar darauf vor, dass die 54-Jährige auch ohne Programm und Köpfe große Zustimmung einfahren könnte, auch unter AfD-Anhängern. Die Wagenknecht-Partei, warnt deshalb Weidels Sprecher, diene lediglich dazu, „das regierungskritische Lager in Deutschland zu spalten und die AfD von Regierungsverantwortung fernzuhalten“.

    In Thüringen sah eine Umfrage ein Potenzial von 25 Prozent für Wagenknecht

    Wie groß das Potenzial der neuen Partei wirklich ist, wird sich bei den Wahlen im nächsten Jahr zeigen. Anfang Juni steht die Europawahl an, parallel zu Kommunalwahlen in mehreren Bundesländern. Kurz darauf, im September, wählen erst Sachsen und Thüringen, dann Brandenburg neue Landtage. Und spätestens dort könnten Wagenknecht und ihre Mitstreiter nicht nur der Linken und der AfD Prozentpunkte abjagen, sagt Jun. Denn in Ostdeutschland sei die Bindung an Parteien weniger stark als in anderen Teilen des Landes, die Bereitschaft zu wechseln größer. „Insofern müssten dort auch Parteien wie CDU und SPD damit rechnen, dass einzelne Teile ihrer Wählerschaft eine Wagenknecht-Partei wählen würden.“ Zudem, sagt er, dürfte sich der Grad an Polarisierung des politischen Wettbewerbs, der in Ostdeutschland ohnehin schon höher sei, noch weiter erhöhen.

    Und Mehrheitsverhältnisse, die schon jetzt Regierungsbildungen schwierig machen, dürften dadurch nicht einfacher werden. In Thüringen etwa ist die stärkste Kraft laut Umfragen die AfD, auf Platz zwei kommt die Linke, kurz danach die CDU. Eine Wagenknecht-Partei, ermittelte eine Umfrage im Sommer, könnte mit bis zu 25 Prozent auf Platz eins kommen – mit Stimmen von allen dreien.