Berlin/Kairo. Die Lage der Palästinenser im Gazastreifen spitzt sich zu. Doch Ägypten sperrt den Fluchtweg über seine Grenze – aus drei Gründen.

Ägypten lehnt die Aufnahme palästinensischer Flüchtlinge aus dem benachbarten Gazastreifen weiter ab. Präsident Abdel Fattah al-Sisi sagte nach einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Kairo: „Die Idee, die Menschen aus Gaza nach Ägypten zu vertreiben, ist nicht umsetzbar.“ Der Präsident warnte ausdrücklich vor den „damit verbundenen Risiken“. So bleibt eine naheliegende Lösung, um die prekäre Lage von fast zwei Millionen palästinensischen Zivilisten im Gazastreifen zu entspannen, weiter verbaut. Aber warum? Drei Gründe, warum Ägypten die Grenze verschlossen hält.

Erster Grund für Einreiseverbot aus dem Gazastreifen: Furcht vor Überlastung

Ägypten beherbergt nach Angaben des UNO-Flüchtlingshilfswerks schon jetzt mehr als 560.000 registrierte Flüchtlinge und Asylbewerber aus 59 Ländern. Der Zustrom sei bereits eine erhebliche Belastung für das Land, so die UNO. Über die Hälfte der Schutzsuchenden kommt aus dem benachbarten Bürgerkriegsland Sudan, der Zustrom von dort hält an; etwa 150.000 Flüchtlinge stammen aus Syrien, daneben treiben Konflikte etwa am Horn von Afrika, im Irak und im Jemen Tausende Menschen nach Ägypten.

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Bewohner fliehen aus Gaza nach Aufforderung des israelischen Militärs

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    Al-Sisi sagte, sollte die Idee bestehen, Palästinenser aus dem Gazastreifen zu vertreiben, „dann gibt es die Negev-Wüste“ in Israel. Mit anderen Worten: Israel soll sich selbst um die Flüchtlinge kümmern. Dahinter steht auch die Befürchtung, dass Israel die Palästinenser womöglich nicht mehr aus Ägypten zurückkehren lässt, weshalb vor allem auf der Sinai-Halbinsel dauerhaft Flüchtlingslager entstehen könnten und die Regierung die Menschen für unbegrenzte Zeit versorgen müsste.

    EU-Ratspräsident Charles Michel zeigt Verständnis: Er bescheinigte Ägypten, schon „Millionen von Flüchtlingen“ aufgenommen zu haben. Wenn unvorsichtig vorgegangen werde, könne sich die Flüchtlingssituation verschärfen, dann bestehe die Gefahr weiterer Migrationswellen nach Europa, warnte Michel nach einem EU-Sondergipfel in Brüssel. Tatsächlich hatte die Regierung in Kairo auf Arbeitsebene vor Kurzem schon verärgert EU-Diplomaten aufgefordert, Europa solle eine Million Gaza-Flüchtlinge aufnehmen.

    Zweiter Grund für Grenzschließung: Terror-Angst in Ägypten

    Al-Sisi fürchtet, dass sich islamistische Hamas-Kämpfer und andere militante Palästinenser unter die Flüchtlinge mischen könnten – und dann in Ägypten Unruhe stiften, sich womöglich mit der verbotenen Muslimbruderschaft verbünden und Terroranschläge verüben. Die islamistische Hamas steht der Muslimbruderschaft nahe, diese gilt in Ägypten als Terrororganisation; auch Islamisten mit Kontakten zur Hamas werden hart bestraft. Ägypten hatte ab 2011 mit einem Aufstand von Mitgliedern der Terrorgruppe Islamischer Staat im nördlichen Sinai zu kämpfen, damals spielten Verbindungen in den Gazastreifen eine Rolle. Al-Sisi beschrieb auch eine andere Gefahr: Die Sinai-Halbinsel könnte in dem Fall Ausgangspunkt für Angriffe militanter Palästinenser auf Israel werden, für die dann Ägypten verantwortlich gemacht werden könnte.

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    Dritter Grund für Grenzschließung zum Gazastreifen: Wahlen

    Im Dezember finden in Ägypten Präsidentschaftswahlen statt, al-Sisi will erneut kandidieren. Zwar gilt es schon jetzt als sicher, dass die Wahlbehörden des autoritär regierten Landes al-Sisi zum Sieger erklären werden – doch Unruhe will der Präsident trotzdem nicht riskieren. Das Land steckt in einer Wirtschaftskrise und hat ein großes Schuldenproblem. Zusätzliche Ausgaben wären schwer zu schultern.

    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) traf in Kairo Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi (r.).
    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) traf in Kairo Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi (r.). © DPA Images | Michael Kappeler

    Kanzler Scholz gab sich in Kairo nach der Absage des Präsidenten gelassen. Dass Ägypten, aber auch Jordanien keine palästinensischen Flüchtlinge aufnehmen wolle, komme nicht überraschend, meinte er. „Wir werden die Hilfe für die Menschen in Gaza schon in Gaza zustande bringen müssen“, sagte der Kanzler in Kairo. Auch wenn die Flüchtlinge nicht über die Grenze dürfen – es scheint so, dass al-Sisi den bislang geschlossenen Grenzübergang Rafah, den einzigen zwischen Gazastreifen und Ägypten, bald wenigstens für Hilfslieferungen öffnet.

    Trotz Absage: Darum ist Scholz zuversichtlich

    Scholz erklärte: „Die Bemühungen der Vereinigten Staaten, die Bemühungen unsererseits, die Bemühungen vieler anderer haben sicher dazu beigetragen, dass das jetzt hoffentlich bald bevorsteht.“ Die Menschen im Gazastreifen brauchten Wasser, Nahrung und Medikamente. Der Bundeskanzler verwies darauf, dass Einrichtungen der Vereinten Nationen die Hilfe so organisieren könnten, dass sie nicht in falsche Hände gerate. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat angekündigt, dass Mitarbeiter der EU-Kommission in Ägypten den Transport von humanitärer Hilfe in den Gazastreifen vorbereiten. Man sei in Gesprächen mit den ägyptischen Behörden, um Lieferungen über die Grenze möglich zu machen, sagte von der Leyen in Brüssel. Zur Lieferung von Hilfsgütern kündigte sie eine Luftbrücke nach Ägypten an.

    US-Präsident Joe Biden berichtete unterdessen, Ägypten habe zugesagt, zunächst bis zu 20 Lastwagen über den Grenzübergang Rafah in den Gazastreifen zu lassen. Al-Sisi habe ihm in einem Telefonat erklärt, es handele sich um einen Anfang, dem möglicherweise weitere Lieferungen folgen könnten, erklärte Biden. Israel, das den Küstenstreifen abgeriegelt hat, versprach, humanitäre Hilfslieferungen aus Ägypten nicht zu behindern.