Jerusalem. Er war ZDF-Moderator, dann Merkels Regierungssprecher. Nun erzürnt Seibert als Botschafter in Israel die dortige Regierung.
Israel ist eine Herausforderung – gerade auch für Diplomaten. Das weiß Steffen Seibert nur zu gut: Der ehemalige ZDF-Journalist und langjährige Regierungssprecher von Angela Merkel übernahm vor vierzehn Monaten das Amt des deutschen Botschafters in Tel Aviv. Schon jetzt ist der 63-Jährige mit Raketenbeschuss, Regierungskrisen und den in Israel besonders intensiv geführten politischen Debatten bestens vertraut.
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Der raue Wind, der durch Israels politische Landschaft weht, blies ihm zuletzt auch selbst ins Gesicht. Israels Außenminister Eli Cohen beschwerte sich vor gut einer Woche in Berlin über Seibert. Der habe sich angeblich in inner-israelische Angelegenheiten „eingemischt“. Dabei hatte Seibert nichts anderes getan, als einer öffentlichen Gerichtsverhandlung beizuwohnen und darüber zu twittern. Ist Israel bei deutschen Diplomaten besonders streng? Oder hat Seibert, der das hochsensible Diplomatieparkett als Quereinsteiger betreten hat, einfach noch zu wenig Erfahrung für diesen Job, zumal in einem heiklen Gastland wie Israel?
Fest steht: Standfestigkeit hat Seibert schon in seinen früheren Jobs bewiesen. Niemand hielt die anstrengende Position des Regierungssprechers so lange durch wie er. Es ist eine Marathonaufgabe: Als oberster Kommunikator der Regierung muss er auch nach nächtelangen Verhandlungsrunden wach sein, um dann der Presse Rede und Antwort dafür stehen, was andere womöglich verbockt haben.
Massive Kritik war ihm jedenfalls nicht fremd, als er seinen Job in Tel Aviv antrat. Schon zu Beginn seiner Arbeit als Regierungssprecher trat er gleich mehrmals ordentlich ins Fettnäpfchen. So löste er mit einer nicht ganz korrekten Angabe über die Geschäfte der Deutschen Bank sogar einen Kurssturz aus.
Dagegen scheinen diplomatische Scharmützel wie jenes, das es zuletzt zwischen Deutschland und Israel gab, vergleichsweise banal zu sein. Wenn da nicht das komplizierte Verhältnis zwischen den beiden Ländern wäre.
Darf Deutschland Israel erklären, wie Demokratie funktioniert?
In der öffentlichen Meinung in Israel wird jeder Kommentar, den deutsche Vertreter über israelische Politik abgeben, misstrauisch betrachtet. Das gilt ganz besonders für die aktuelle Demokratiekrise im Land: Darf ausgerechnet Deutschland mit seiner Geschichte dem jungen Staat Israel erklären, wie Demokratie funktioniert?
Als Seibert vor rund einer Woche im Verhandlungssaal des obersten israelischen Gerichtes Platz nahm, musste er eigentlich ahnen, dass er sich in ein Wespennest setzte. Die umstrittene Justizreform ist ein Thema, das das Land tief spaltet. Das zeigte sich auch in den rund 400 Antworten, die Seibert auf seinen Tweet aus dem Gerichtssaal erhielt. Von Regierungskritikern wurde er mit Applaus-Emojis und Danksagungen für seinen „Beistand in Kampf um Israels Demokratie“ bedacht. Von rechten Usern erhielt der Botschafter die Empfehlung, er möge doch alsbald einen Flug nach Berlin antreten – und bitteschön nie wieder zurückkehren.
Seibert hat die Gemüter in Israel schon früher erregt
Das Außenamt in Berlin stellte sich vor seinen obersten Vertreter in Tel Aviv. „Das Verfolgen relevanter politischer, auch innenpolitischer Entwicklungen im Gastland ist eine zentrale Aufgabe von Diplomatinnen und Diplomaten“, sagte eine Ministeriumssprecherin. Ein solcher Besuch sei „gängige Praxis“. Auch Kanzler Olaf Scholz stärkte Seibert später den Rücken.
Es war aber nicht das erste Mal, dass Seiberts Verhalten in Jerusalem die Gemüter erregte. Im Juni hatte der Botschafter mit seiner Teilnahme an einer palästinensisch-israelischen Gedenkfeier für die Opfer von Kriegen und Terrorismus für Aufsehen gesorgt. Der Verein, der die Feier ausrichtete, wurde zuletzt vom Bildungsministerium auf die Schwarze Liste jener Einrichtungen gesetzt, die wegen angeblich problematischer Inhalte nicht in Schulklassen auftreten dürfen. Auch damals war Israels Regierung erzürnt.
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Die Berufung von Seibert war ein Signal der Beruhigung
Dabei war alles so perfekt eingefädelt gewesen. Dass Seibert nicht – wie ursprünglich mit Kanzlerin Merkel abgemacht – Botschafter in Spanien wurde, sondern in Tel Aviv landete, war für die Israelis ein Signal der Beruhigung. Wenige europäische Regierungschefs genossen in Israel so große Popularität wie Merkel. Ihr Abschied aus der Politik ließ in Israel die Sorge aufkommen, dass es nach Merkel nur schlechter werden könne, was die deutsch-israelischen Beziehungen betrifft. Da kam es genau richtig, dass einer der engsten Vertrauten Merkels zum obersten Vertreter Deutschlands in Israel ernannt wurde. Und Seibert bewies, dass er es ernst meinte: Noch vor dem offiziellen Amtsantritt in Tel Aviv besuchte er einen Intensivsprachkurs in Hebräisch. Heute beherrscht er die Sprache besser als andere Diplomaten nach fünf Jahren.
„Schalom Chaverim“ – übersetzt „Hallo Freunde“: So beginnt der Vater dreier erwachsener Kinder seine kurzen Videoclips, in denen er sich von seiner persönlichen Seite zeigt – ob auf der Parkbank mit Wasserflasche oder beim Zimtschnecken-Verkosten im Tel Aviver Ableger einer hippen Berliner Bäckerei. Selten spricht er in den Clips heikle Themen an. Auch im Gerichtssaal-Tweet, der ihm später zum Verhängnis wurde, äußerte Seibert keine Kritik an der israelischen Regierung. Dass Israels Außenminister dennoch empört war, zeigt, wie aufgeheizt die Stimmung im Land ist – und wie schnell das auch auf die deutsch-israelischen Beziehungen abfärben kann.