Berlin.
Es gibt Termine im Kalender einer Bundeskanzlerin, die lassen sich nicht verschieben. Der Empfang von Karnevalisten gehört dazu, weshalb Angela Merkel am Dienstag im Kanzleramt stand, hüpfenden Funkenmariechen zuschaute und den Wunsch äußerte, bis Karneval Regierungschefin einer großen Koalition zu sein. Man habe ihr aber gesagt, die Motivwagen für die Umzüge seien sowieso schon gebaut, scherzte Merkel. Der Spott über die bisher missglückte Regierungsbildung dürfte ihr also sicher sein.
Trotzdem will die Union nun schnell verhandeln. Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer trafen sich am Dienstag zum Vieraugengespräch, auch die Unterhändler von CDU und CSU berieten die Strategie. Nach dem Treffen beschrieb CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer die Ungeduld der Union per Fußballvergleich: „Wir stehen am Spielfeld, haben uns das Trikot übergezogen, und die andere Mannschaft kommt nicht aus der Kabine.“
Die SPD will sich erst am Donnerstag auf einer Klausursitzung der Parteispitze sortieren. Wenn am Freitag die Koalitionsverhandlungen offiziell starten, dürften die folgenden drei Themen die größten Hürden sein.
Befristete Arbeitsverträge
Derzeit sind – je nach Zählweise – zwischen acht und neun Prozent der Beschäftigungsverhältnisse befristet. Das betrifft rund drei Millionen Menschen, ein großer Teil von ihnen arbeitet im öffentlichen Dienst. Je jünger der Arbeitnehmer, desto häufiger bekommt er einen befristeten Vertrag. Rund die Hälfte dieser Jobs ist „sachgrundlos“ befristet, das heißt, es liegt kein besonderer Grund dafür vor. In der Praxis bedeutet das, dass ein Arbeitsvertrag binnen fünf Jahren mehrfach verlängert werden kann. Diese Regel gibt es im Kern seit 1985. Die SPD möchte sie nun komplett abschaffen. Auch die acht Sachgründe, die das „Teilzeit- und Befristungsgesetz“ für befristete Jobs auflistet, sollen „eingeschränkt“ werden.
Die Gewerkschaften sind dafür: „Wer mehr gute Arbeit mit Perspektive will, muss die sachgrundlose Befristung abschaffen“, sagt DGB-Vizechefin Annelie Buntenbach dieser Redaktion. Die Sachgründe, die für befristete Jobs zulässig seien, böten den Arbeitgebern „mehr als genug Flexibilität“. Bei Fachkräftemangel sei die sachgrundlose Befristung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht nötig. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer dagegen wehrt sich gegen Einschränkungen: „Ich sehe keinen Handlungsbedarf, an der sachgrundlosen Befristung etwas zu ändern“, sagt er. Die Wirtschaft brauche befristete Jobs, um flexibel reagieren zu können. Wenn Union und SPD etwas tun wollten, könnten sie im öffentlichen Dienst beginnen.
Christian Hohendanner, Arbeitsmarktexperte am Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit, sieht Befristungen positiv. Viele würden in unbefristete Stellen umgewandelt. Die Abschaffung der Befristung gebe aber keine Garantie für weniger befristete Jobs. Aber: „Wenn man sachgrundlose Befristungen abschaffen wollte, wäre die Gelegenheit jetzt günstig“, sagt Hohendanner. „Der Arbeitsmarkt läuft gut und könnte eine zusätzliche Regulierung vermutlich verkraften.“
Bürgerversicherung
Seit 15 Jahren schon will die SPD die Trennung von privater und gesetzlicher Krankenversicherung abschaffen. Jetzt soll es so weit sein. Ein Grund dafür: Ärzte bevorzugen oft Privatpatienten, weil sie mit ihnen mehr Geld verdienen als mit Kassenpatienten – bei vergleichbarer Leistung. Dreh- und Angelpunkt für eine Reform ist deshalb das ärztliche Honorar. Derzeit gelten dafür in beiden Versicherungszweigen völlig unterschiedliche Regeln. Die SPD will deshalb nun eine „gerechtere Honorarordnung“. Diese Forderung lässt viel Spielraum für Verhandlungen und soll zumindest das „Ende der Zwei-Klassen-Medizin einleiten“, wie es im Parteitagsbeschluss heißt.
Die Union ist bereit, den Sozialdemokraten etwas entgegenzukommen. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) zum Beispiel will dafür sorgen, dass die Terminvermittlung bei Fachärzten noch besser klappt. Unionsfraktionschef Volker Kauder ist bereit, Landärzten höhere Honorare zu zahlen. Eine pauschale Angleichung der Ärztehonorare dagegen sei nicht nur teuer, sondern mache nichts besser, sagte er dieser Redaktion.
Die gesetzlichen Krankenkassen sehen höhere Honorare skeptisch, weil dies höhere Kosten für Arbeitnehmer und Arbeitgeber bedeutet. In Kassenkreisen heißt es deshalb, man solle zunächst einmal dafür sorgen, dass die Ärzte ihre vertraglichen Verpflichtungen erfüllten: „Die Krankenkassen zahlen den Ärzten eine Vergütung, die auf 51 Wochenstunden kalkuliert ist, aber vor allem Fachärzte kümmern sich in dieser Zeit nicht nur um Kassenpatienten“, schimpft ein Kassenexperte.
Ein weiteres Ziel der SPD: Die gesetzlichen Kassen sollen für Beamte geöffnet werden. Sie sollen sich nicht mehr zwangsweise privat versichern müssen. Weil dies Mehrkosten für den Staat bedeutet, gibt es in den Bundesländern Widerstand dagegen. Das einzige Bundesland, das schon einen Gesetzentwurf dazu plant, ist Hamburg.
Familiennachzug
Am meisten Zeit haben Union und SPD bei den Sondierungsverhandlungen auf die Flüchtlingspolitik verwendet. Die Formulierung, in der die CSU eine Obergrenze für den Zuzug sieht, die SPD dagegen explizit nicht, gilt als unantastbar. Trotzdem fordern die Sozialdemokraten nun „eine weitergehende Härtefallregelung für den Familiennachzug“. Damit solle Familien das Zusammenleben ermöglicht werden.
Bei den Jamaika-Sondierungen hatte die CSU einer solchen Härtefallregel letztlich zugestimmt – allerdings galt die nur im Gesamtpaket, das damals mit den Grünen und der FDP verhandelt worden war. Ob das Zugeständnis nun auch für die SPD gilt, hängt wieder vom Gesamtpaket ab.