Berlin/Hamburg. Empörung über Inhaftierung des „Welt“-Reporters in der Türkei. Bundestagsabgeordneter fordert, Merkel solle „Tacheles“ mit Staatspräsident Erdogan reden

In zahlreichen deutschen Städten haben gestern Menschen gegen die Inhaftierung des „Welt“-Journalisten Deniz Yücel in der Türkei protestiert. In Hamburg beteiligten sich am Abend knapp 200 Demons­tranten an einem Autokorso. Eskortiert von Funkstreifenwagen und Motorrädern der Polizei bewegte er sich laut hupend vom Heiligengeistfeld in einem großen Bogen über die Reeperbahn zum Generalkonsulat der Türkei nahe der Moorweide. Dabei wurden aus den Fahrzeugen Plakate aus den Fenstern gehalten, auf denen die Freilassung des Journalisten („Free Deniz!“) gefordert wurde. Unter den Demonstranten war auch die Hamburger FDP-Chefin Katja Suding. Das Konsulat äußerte sich zu den Protesten nicht. Auch in Berlin, München, Zürich, Wien, Köln, Bremen, Hannover, Frankfurt, Leipzig und Bielefeld waren Protestaktionen geplant.

Viele Politiker reagierten empört auf den Beschluss der Justiz in Istanbul, den deutsch-türkischen Reporter wegen „Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung“ in Untersuchungshaft zu nehmen. „Die Entscheidung ist katastrophal. Das Vorgehen ist unverhältnismäßig hart“, sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu, stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe. Die U-Haft könne bis zu fünf Jahre betragen. Dies sei „einfach absurd!“. Mutlu forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) dazu auf, „Tacheles mit Ankara“ zu reden. Auch „Reporter ohne Grenzen“ verlangte einen stärkeren Einsatz der Bundesregierung. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) stellte die Annäherung der Türkei an die EU infrage.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bereits am Montagabend das Vorgehen der türkischen Justiz als „bitter und enttäuschend“ bezeichnet. „Wir werden uns weiter nachdrücklich für eine faire und rechtsstaatliche Behandlung Deniz Yücels einsetzen und hoffen, dass er bald seine Freiheit zurückerlangt“, sagte die Kanzlerin. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) erklärte: „Das ist eine viel zu harte und deshalb auch unangemessene Entscheidung.“ Er sprach von „schwierigen Zeiten“ für die deutsch-türkischen Beziehungen und fügte hinzu: „Der Fall Deniz Yücel wirft ein grelles Schlaglicht auf die Unterschiede, die unsere beiden Länder offensichtlich bei der Anwendung rechtsstaatlicher Grundsätze und in der Bewertung der Presse- und Meinungsfreiheit haben.“

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sagte, die Inhaftierung Yücels zeige, „wie inakzeptabel die Entwicklung in der Türkei ist, wo in den vergangenen Wochen und Monaten viele Medienunternehmen geschlossen und weit über hundert kritische Journalisten eingesperrt worden sind“. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz forderte die Freilassung aller in der Türkei „unter fadenscheinigen Begründungen“ festgenommenen Journalisten. Die Verhaftung von Reportern, „die ihren Job machen und damit unsere Demokratie stützen“, sei inakzeptabel, schrieb er auf seiner Facebook-Seite.

Die Linken-Politikerin Ulla Jelpke erklärte in Berlin, die von der Bundesregierung ausgedrückte Hoffnung auf ein rechtsstaatliches Verfahren gegen Yücel sei angesichts der Realität in der Türkei „geradewegs zynisch“. Die Linke will den Fall Yücel am nächsten Mittwoch mit einer Aktuellen Stunde auf die Tagesordnung des Bundestages bringen.

Der SPD-Außenpolitiker Niels Annen machte unterdessen Grenzen der Einflussnahme der Bundesregierung deutlich. Weil Yücel den deutschen und türkischen Pass hat, behandele die Türkei ihn wie einen eigenen Staatsbürger, „und wir haben deswegen keine konsularische Möglichkeit, uns direkt um den Fall zu kümmern“, sagte Annen.

Mit ganzseitigen Anzeigen in mehreren Tageszeitungen fordern Journalisten und Autoren „Freiheit für Deniz!“ Axel-Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner warf dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan vor, er habe „die Einschüchterung kritischer Journalisten zum systematischen Mittel seines Regierungsstils erhoben“.

(zv/dpa/epd)