Hamburg. Neujahrsempfang Die Abendblatt-Gäste rechnen überwiegend mit dem SPD-Chef als Herausforderer von Angela Merkel
Andreas Dey
Wenn es nach den Gästen beim Neujahrsempfang des Hamburger Abendblatts geht, dann ist die Entscheidung längst gefallen: Sigmar Gabriel, SPD-Vorsitzender und Wirtschaftsminister, wird Kanzlerkandidat der SPD und Herausforderer von Angela Merkel (CDU) bei der Bundestagswahl im September.
„Zu 95 Prozent wird es Gabriel“, sagt einer, der auch in der Berliner Szene gut vernetzt ist und im Willy-Brandt-Haus ein- und ausgeht. Und die restlichen fünf Prozent? „Das ist eben Sigmar, der ist immer wieder für Überraschungen gut ...“ Soll heißen: Vielleicht überlegt er es sich im letzten Augenblick doch noch anders. Das wäre dann der Moment für die beiden Kandidaten im Wartestand: Martin Schulz, Ex-EU-Parlamentspräsident und Noch-Nicht-Außenminister, und Olaf Scholz, Hamburgs Erster Bürgermeister.
Gabriel hat die Chance verpasst, sich mit Scholz beim Neujahrsempfang über den letzten Stand der Dinge auszutauschen. Warum? Der Vizekanzler sagte im letzten Augenblick seine Teilnahme im Hotel Atlantic ab. Da war doch was? Genau, siehe oben.
Scholz pflegt übrigens sein undurchdringlichstes Buddhalächeln aufzusetzen, wenn ihm die K-Frage gestellt wird. Und dann kommt der Hinweis auf den 29. Januar, wenn die SPD zu einer Klausurtagung in Berlin zusammenkommt und das große Geheimnis lüften will. Vielleicht lichtet sich der Kandidatennebel aber auch schon heute, wenn sich die SPD-Spitze in Düsseldorf trifft, um die Wahlkampfstrategie zu beraten. Auch den Genossen dämmert es eben, dass es nun Zeit wird ...
CDU kritisiert „Popanz und Gehampel“ der SPD
Vielleicht muss man einfach den politischen Gegner fragen, um Klarheit zu bekommen. „Der Gabriel wird es. Olaf Scholz ist im Süden nicht vermittelbar und nicht bekannt genug“, sagt CDU-Bürgerschaftsfraktionschef André Trepoll, um dann noch hinzuzusetzen: „Der Popanz, den die SPD um ihre Kanzlerkandidatur macht, ist schon ein bisschen schizophren.“ Auch für CDU-Landeschef Roland Heintze ist Gabriel die wahrscheinlichste Variante. „Aber allzu langes Gehampel in Personalfragen ist immer schlecht.“
Auch FDP-Partei- und Fraktionschefin Katja Suding tippt mit spöttischem Unterton auf den SPD-Chef: „Nachdem Schulz nicht will und Scholz keine Chance hat, muss Gabriel dieses Opfer für die Partei bringen und gegen Angela Merkel verlieren.“
„Die Entscheidung über den Kanzlerkandidaten kommt bei der SPD viel zu spät“, sagt einer, der lange Erfahrung in der Politikberatung hat. Die Zeit, die noch bis zur Wahl bleibe, sei arg knapp, um eine umfassende Kampagnenstrategie, die wesentlichen Botschaften und eine Rollenaufteilung der Spitzenleute zu entwickeln. Gabriel werde es wohl, sagt der Mann. „Aber viele stellen sich auch die Frage: Hält der das durch?“ Zuletzt hatte es Berichte über eine Diabetes-Erkrankung des SPD-Vorsitzenden gegeben. Kurz vor Weihnachten hatte er sich einer Operation unterzogen.
Zweifel an seiner Bereitschaft, die Kanzlerkandidatur zu übernehmen, hatte Gabriel nicht zuletzt selbst immer wieder genährt. „Er weiß, was Sache ist. Er weiß, dass er nicht wirklich beliebt ist, und er will der SPD auf keinen Fall schaden“, sagt einer, der ihn gut kennt. Nur was folgt daraus?
Kabarettist Scheibner: „Mutti ist noch nicht abschussreif“
Für Ex-Sozialsenator Detlef Scheele (SPD), inzwischen Chef der Bundesagentur für Arbeit, ist die Sache klar: „Der Parteivorsitzende muss Kanzlerkandidat werden.“ Warum? „Er ist ein guter Wirtschaftsminister, ein guter Vizekanzler, und er kann Wahlkampf.“ Auch Anjes Tjarks, Grünen-Fraktionschef, hat kaum Zweifel, wen die Sozialdemokraten ins Rennen schicken werden: „Ich gehe von Gabriel aus. Er ist bei der SPD der Chef im Ring.“
SPD-Fraktionschef Andreas Dressel, sieht es ähnlich: „Sigmar Gabriel hat als Parteivorsitzender den ersten Zugriff, es liegt in seiner Hand“, sagte Dressel, aus dessen Sicht „nichts dagegen“ spricht, dass Gabriel Kanzlerkandidat wird. „Er hat eine klare Botschaft: Es geht um den Zusammenhalt in diesem Land in schwierigen Zeiten, nicht nur um schärfere Gesetze.“
„Ich wünsche mir, dass uns der Bürgermeister erhalten bleibt“, sagt Ex-Hochbahn-Chef Günter Elste, was schon deswegen nicht überrascht, weil Elste Sozialdemokrat ist. „Olaf Scholz wäre der Geeignetste“, sagt Justizsenator Till Steffen von den Grünen. Wäre.
Bei der Grünen-Bundestagsabgeordneten Anja Hajduk ist die Erkenntnis erst in den zurückliegenden Tagen gereift. „Huch, der Gabriel wird es ja wirklich, habe ich gedacht“, sagt Hajduk. „Ich sehe bei ihm Kampffreude und Entschlossenheit. Er will es.“
„Sigmar Gabriel soll es machen.“, hatte der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs schon vor Tagen gesagt. „Das ist nach wie vor mein Stand“, sagt Kahrs beim Empfang. Weiß er mehr?
Das letzte Wort hat der Kabarettist. „Ich würde mir Olaf als Kanzlerkandidaten wünschen, aber es wäre schade, wenn er weggehen würde“, sagt Hans Scheibner. Aber die Chancen stünden jetzt ohnehin nicht gut für die SPD, „weil Mutti noch nicht abschussreif ist“. Da wäre Scholz als Kandidat nur verbraucht. „Gabriel wird es machen“, gibt sich Scheibner einen Ruck. „Und es wird in die Hose gehen. Wie immer.“