Peer Steinbrück und Niels Annen im Gesprächüber die Zusammenarbeit mit den USA, TTIP und sein Scheitern als Kanzlerkandidat
Peer Steinbrück ist wachechter Hamburger und erzählt gern Döntjes. Wie er beispielsweise als Jugendlicher auf dem HSV-Parkplatz gutes Geld verdiente. „Für Fahrräder gab es 20 Pfennig, für Motorräder 50 Pfennige und für Autos eine Mark. Einen Teil durften wir behalten – ich habe mich schnell zu den Autos hochgearbeitet. Da ging ich als 16-Jähriger alle zwei Wochen mit 35, 40 Mark nach Hause“. Nun scheidet der Kanzlerkandidat der SPD von 2013 in Kürze aus dem Bundestag aus. Mit Niels Annen, dem außenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, traf er sich im Überseeclub zum Mittagessen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Im September vor vier Jahren hat die SPD ihren Kanzlerkandidaten benannt. War das rückblickend betrachtet zu früh?
Peer Steinbrück: Ja, das war ein Fehler. Sie können als Kanzlerkandidat nicht 52 Wochen laufen und dabei einigermaßen in Form bleiben und fehlerfrei – das ist ja auch nicht passiert. Ich kann meiner Partei nur raten, den Kandidaten wie geplant im ersten oder zweiten Quartal 2017 zu bestimmen.
Niels Annen: Der Entscheidungsprozess vor vier Jahren war ja auch nicht so geplant. Peer Steinbrück wäre der richtige Bundeskanzler gewesen. Aber aus den Fehlern von 2013 haben wir gelernt. Wir brauchen Geschlossenheit und die richtigen Themen: Keiner sollte uns unterschätzen.
Vor vier Jahren galt die Kanzlerin fast als unschlagbar. Wird es nun einfacher?
Steinbrück: Es bleibt schwer genug. Aber der Lack ist ab. Sie hat sich in der Flüchtlingskrise selbst in die Bredouille gebracht, sicher aus humanitären Gründen. Aber sie hat die Einmaligkeit der Grenzöffnung Anfang September 2015 nicht richtig kommuniziert und keine Erklärung gegeben. Sie ging nur in eine Talkshow, aber hatte nicht den Mut, eine Rede an die Nation nach der Tagesschau zu halten – den Bürgern zu erklären, was sie beabsichtigt. Sie hätte nicht nur sagen müssen, „wir schaffen das“, sondern erklären müssen, wie wir das schaffen. Sie hat die Folgen ihrer Entscheidung nicht abgeschätzt.
Hat sich die SPD in der Flüchtlingspolitik zu wenig von Frau Merkel abgesetzt?
Annen: Wir haben die Grenzöffnung aus humanitären Gründen als SPD unterstützt. Es ist den Sozialdemokraten nie egal gewesen, was in der Welt passiert. Aber immer wenn wir versucht haben, Geld für Sprachkurse zu mobilisieren, die Behörden fit zu machen oder ein Integrationsgesetz auf den Weg zu bringen, haben die Minister der Union gebremst. Das hat viel zu lange gedauert. Die Grundsatzentscheidung sollten wir nicht in Frage stellen, die Umsetzung schon. Frau Merkel trägt die Verantwortung für die Verzögerungen und den Mangel an politischer Führung.
Wie will die SPD die Wahl 2017 gewinnen?
Steinbrück: Es wird nicht reichen, nur auf die Leistungen in der Großen Koalition zu verweisen, auch wenn diese beträchtlich sind. Wir müssen den Wählern eine Geschichte erzählen, warum die SPD die bessere Kraft für die Herausforderungen der Zukunft ist. Für einzelne Programmpunkte wird die SPD nicht gewählt. Wir schreiben 20-seitige Programme, die nicht einmal die Parteitagsdelegierten lesen. Wir brauchen vielmehr eine zugespitzte Präambel.
Herr Annen, wie soll diese Erzählung aussehen?
Annen: Es geht um Vertrauen, das Politiker wie Frank-Walter Steinmeier ausstrahlen. Viele Menschen sind verunsichert. Es geht diesem Land verdammt gut, es geht aber nicht jedem in diesem Land gut. Wir werden die Ungerechtigkeiten zum Thema machen, dabei aber nicht schwarzmalen, sondern Vertrauen und Verlässlichkeit ausstrahlen. Da kann die Bundes-SPD sicher von Hamburg lernen.
Wie wollen Sie die AfD-Wähler zurück gewinnen?
Steinbrück: Viele sind aus einer emotionalen Verunsicherung und Desorientierung zur AfD gegangen. Die letzten beiden Jahre haben eine Zäsur gebracht – die Ukraine-Krise, der Zerfall ganzer Staaten, die Flüchtlingsbewegung, der Streit in der EU. Da möchten sich einige in die eigene Wagenburg zurückziehen und die Schotten dicht machen – das bedient die AfD mit Vorurteilen und Ressentiments. Das müssen wir durch heftigere und strittigere Debatten aufbrechen. Wir benötigen auch eine fetzige Debatte über die Zukunft von Europa gegen die Europamüdigkeit. Mit technokratischen Erklärungen erreichen wir die Menschen nicht mehr.
Sind Sie manchmal froh, dass sie die Wahl nicht gewonnen haben?
Steinbrück: Ich habe ja den Satz „Hätte, hätte Fahrradkette“ geprägt – der stammt übrigens aus meinen Kindertagen am Schrötteringksweg. Darüber mache ich mir keine Gedanken. Wenn Sie aber meine Familie fragen, würde die ihnen sagen: Gut, dass du verloren hast.
Ist rot-rot-grün eine Option?
Annen: Manche denken zu viel an Taktik und zu wenig daran, wie wir wieder stärkste Partei werden können. In meiner Arbeit als außenpolitischer Sprecher sehe ich die Grenzen einer Zusammenarbeit – etwa bei der Debatte um die Nato. Die SPD kann nicht den Kanzler stellten und Zweifel an der Bündnistreue aufkommen lassen. Das wäre eine Katastrophe für Deutschland.
Steinbrück: Ich teile das. Koalitionsdebatten über Rot-Rot-Grün sind Rechnungen mit drei Unbekannten – es gibt viele Funktionsträger in der SPD, bei den Grünen und den Linken, die ein solches Bündnis ablehnen und laut Umfragen wollen das allenfalls 30 Prozent der Wähler.
Am Sonnabend haben Zehntausende in Hamburg gegen TTIP und CETA demonstriert. Was halten Sie von den Freihandelsabkommen?
Steinbrück: Viel. Deutschland ist neben China das einzige Land, das rund 40 Prozent der Wirtschaftsleistung über Exporte erlöst. Wenn die berechtigte Kritik an einzelnen Punkten des Abkommens mit Kanada – TTIP liegt auf unabsehbare Zeit auf Eis – in eine generelle Abschottungspolitik umschlägt, ist das falsch und gefährlich.
Ist die Ablehnung des Freihandels nicht Renationalisierung von links?
Steinbrück: Die Tendenz gibt es – einige flüchten vor Digitalisierung und Globalisierung in die Wagenburg. Wenn wir als Europäer es nicht schaffen, uns mit den Nordamerikanern auf Freihandelsregeln zu einigen, dann wird der asiatisch-pazifische Raum die Regeln und Standards setzen – ohne uns. Und auch wenn derzeit ein Verrückter ins Weiße Haus strebt, sollten wir die Wichtigkeit der transatlantischen Beziehungen nicht aus den Augen verlieren.
Annen: Wir müssen unterscheiden. Das Abkommen mit Kanada ist ausverhandelt, Sigmar Gabriel hat noch Verbesserungen bei der Schiedsgerichtsbarkeit herausgeholt. Deshalb halte ich CETA für einen Fortschritt. Das haben wir bei TTIP noch nicht erreicht, ich glaube da auch nicht mehr an einen schnellen Erfolg. Der Wohlstand Hamburgs aber ist auch auf Freihandel gebaut. Mir geht es um einen fairen Welthandel. Aber es ist derzeit nicht einfach, aus dieser emotionalen wieder eine rationale Debatte zu machen.
Herr Steinbrück, Sie legen nun ihr Bundestagsmandat nieder. Aber ein Leben ohne Politik kann man sich bei Ihnen schlecht vorstellen.
Steinbrück: Ich werde nicht nur zuhause mit meinen Enkeln spielen, aber auch nicht ständig von der Seitenauslinie hineinrufen. Ich möchte etwa in der neuen Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung mitwirken. Da soll es nicht um eine Denkmalsbeweihräucherung von Helmut Schmidt gehen, sondern darum, welche seiner Impulse und Initiativen auf die aktuellen großen Zeitfragen ausgewertet werden können. So hat er sich beispielsweise früh mit dem Zusammenleben der großen Weltreligionen befasst.