Brasilia. Kanzlerin stützt umstrittene Präsidentin. Dabei geht es auch um wirtschaftliche Interessen der Hansestadt und des Hafens.
Eine geländerlose Rampe führt vom Platz vor dem Palast direkt in die Räume der ersten Etage. Es ist der Weg, den Angela Merkel an diesem sonnigen Morgen in Brasilia nimmt, nachdem sie eine militärische Ehrenformation abgeschritten hat. Er führt sie zu Dilma Vana Rousseff. „Die Präsidentin könnte nicht glücklicher sein“, berichtet die größte brasilianische Zeitung „O Globo“. Überall im Land skandieren die Demonstranten in diesen Tagen „Fora Dilma“ – „Raus Dilma“. Bei der Kanzlerin ist sie nicht untendurch.
Brasilia ist kein Zwischenstopp, sondern das einzige Ziel Merkels, die überdies von „unserem Hauptpartner“ in Südamerika spricht. Beides, der Aufwand und die Wertschätzung, wird in der Hauptstadt genau registriert.
Die Gespräche lassen sich gut an. Merkel stellt „eine neue Offenheit“ fest, die seit Jahren festgefahrenen Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten Lateinamerikas zu Ende zu bringen. Rousseff und die Kanzlerin legen auch eine gemeinsame Linie für den Klimagipfel in Paris fest und vereinbaren eine Initiative in der Uno, um den Sicherheitsrat zu erweitern. Deutschland, Japan, Indien und Brasilien streben einen ständigen Sitz im Rat an. Nebenbei unterzeichnen beide Regierungen eine Vielzahl von Abkommen über Biotechnologie, Schienenverkehr, Hafenmanagement, über die Erforschung des Atlantiks und nicht zuletzt über Cybersicherheit.
Mit wenigen Staaten außerhalb Europas führt Merkel regelmäßige Konsultationen durch. Sieht man vom Sonderfall Israel ab, sind es nur zwei: China, Indien. Nun Brasilien. In zwei Jahren finden die nächsten Konsultationen statt, dann in Berlin. Brasilien sieht sich in einer Reihe mit anderen großen Ordnungsmächten.
Ein Jahr vor Olympia herrscht in Brasilien die Depression
Merkel fliegt insgesamt fast 24 Stunden – für einen Empfang am Abend und für Gespräche am Donnerstag mit Präsidentin Rousseff und ihrem Kabinett. Früh am Nachmittag sitzt die Unverwüstliche wieder im Airbus A340, der fast bis auf den letzten Platz besetzt ist. Viele Minister, die ursprünglich vorausfliegen wollten und in Brasilien eigene Termine hatten, sind nach der Griechenland-Abstimmung im Bundestag mit der Kanzlerin ins Flugzeug gestiegen, etwa Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) und ihre CSU-Kollegen Christian Schmidt (Landwirtschaft und Gerd Müller (Entwicklungshilfe). Insgesamt sind es sechs Ressortchefs plus Kultur-Staatsministerin Monika Grütters (CDU) und mehrere Staatssekretäre.
Müller erzählt, er habe ursprünglich ein Hilfsprojekt von Misereor in einem Slum in Rio de Janeiro besuchen wollen, was ein Kontrastprogramm zum Pomp in der Hauptstadt gewesen wäre und irgendwie die Stimmung der Brasilianer getroffen hätte. Ein Jahr vor den Olympischen Spielen, die ein Fest sein sollten, ist in Wahrheit eine Depression zu spüren. Weshalb Rousseffs Regierung am wenigstens überrascht wäre, wenn die Kanzlerin aus fadenscheinigen Gründen die Gespräche abgesagt hätte. Aber Merkel ließ Rousseff nicht fallen.
Der gefragteste Mann in ihrer Delegation ist Müller. „Du bist der von uns, der das Geld hat“, sagen Schmidt und Hendricks über ihren Kollegen. Aus dem Etat des Entwicklungshilfeministers fließen – verteilt auf zwei Jahre, zu 90 Prozent als Kredite – 551 Millionen Euro: 428,5 für Energieprojekte, 123 für den Schutz des Tropenwalds. Die Schutzgebiete sollen ausgeweitet, der Wald aufgeforstet werden.
Brasilien ist das artenreichste Land der Welt. Es verfügt über 62 Prozent des weltweiten Tropenwaldes. Die jährliche Abholzung beträgt 6000 Hektar, sie nahm zuletzt ab. Bis 2020 wollen die Brasilianer die Entwaldung stoppen. Brasilien hat auch das weltweit drittgrößte Potenzial an Wasserkraft zur Stromerzeugung und ist der drittgrößte Biodieselproduzent. So ist Brasilien: ein Land der Superlative, der hochfliegenden Träume und jähen Enttäuschungen, mit einem Potenzial, das seit Jahrzehnten die Fantasie beflügelt und Unternehmer in Goldgräberstimmung versetzt.
Unternehmen wie Fraport, Siemens, DB International stehen Schlange
Alexander Dobrindt folgt dem Lockruf von 57 Milliarden Euro. So viel Geld will die Regierung in die Verkehrsinfrastruktur investieren, 18 Milliarden schon in den nächsten drei Jahren. Schwerpunkte: Schiene, Hafen, Flugverkehr. Da ist die Metro in Rio, die Hochgeschwindigkeitsverbindung mit São Paulo. Deutsche Unternehmen wie Fraport, Siemens, DB International stehen Schlange, dazu die Logistikprofis aus Hamburg. In Santos, dem größtem Hafen in Südamerika, werden die Konzessionen neu verteilt. Es besteht die Hoffnung, dass Brasilien den Markt öffnet, mehr Wettbewerb zulässt, dass Terminals von neuen Anbietern betrieben werden und der Hamburger Hafen ins Geschäft kommt. Deswegen ist der Verkehrsminister hier. „Die anderen schlafen auch nicht.“ Gemeint ist vor allem die Konkurrenz aus China.
Merkel ist überzeugt, dass ihr Besuch im Krisenland genau zum richtigen Zeitpunkt stattfindet. In Brasilia ist von einer „Geste des Vertrauens in die brasilianische Wirtschaft“ die Rede. Gut möglich, dass sie sich für deutsche Firmen auszahlen wird.