Berlin. Politiker kritisieren Ausspionieren deutscher Ministerien durch die NSA. Ex-Kanzleramtschef Pofalla streitet Vorwürfe ab
Ronald Pofalla (CDU) fühlt sich in der NSA-Affäre absichtlich falsch verstanden. Er habe im Zusammenhang mit einem möglichen No-Spy-Abkommen „nicht von einem Angebot der US-Regierung gesprochen“, sagte der Ex-Kanzleramtschef am späten Donnerstagabend im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages.
Pofalla wies die Behauptung, er habe „beschönigt“ oder „sogar gelogen“ vehement von sich. Es habe nur ein Angebot des NSA an den BND gegeben, sagte Pofalla. Sein Satz „Die US-Seite hat uns den Abschluss eines No-Spy-Abkommens angeboten“ sei immer wieder falsch interpretiert und aus dem Zusammenhang gerissen worden. Unmittelbar nach diesem Satz habe er im Sommer 2013 gesagt: „Ich habe den Präsidenten des BND gebeten, das Angebot aufzugreifen.“
Ronald Pofalla war von 2009 bis 2013 Kanzleramtsminister – und damit zuständig für die Kontrolle der deutschen Nachrichtendienste. Er sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, die Öffentlichkeit im Bundestagswahlkampf 2013 getäuscht zu haben. Bis heute ist es nicht zu einem No-Spy-Abkommen mit den USA gekommen. Zudem steht der Vorwurf im Raum, Pofalla habe die NSA-Affäre vorzeitig für beendet erklärt. Pofalla, ein ehemaliger Vertrauter von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), arbeitet heute als Generalbevollmächtigter der Deutschen Bahn.
Zudem beschuldigte Pofalla die Medien. „Der Spiegel“ habe behauptet, so der ehemalige Kanzleramtsminister, dass die NSA mithilfe des BND pro Monat 500 Millionen Daten von deutschen Bürgern abschöpft. Dies sei eine „eklatante Fehlinterpretation“, sagte Pofalla. Auf diese habe er damals auch hingewiesen. Anschließend „wurde behauptet, ich hätte die NSA-Affäre für beendet erklärt. Das ist nicht richtig“, sagte Pofalla.
Er verwies darauf, dass Deutschland bisher von Anschlägen verschont geblieben ist. Dies führt er auf die Arbeit der deutschen Geheimdienste sowie ihre Zusammenarbeit mit ausländischen Geheimdiensten zurück. Die Zusammenarbeit mit US-Diensten sei „für uns notwendiger als für die Amerikaner“, sagte Pofalla. Er stellte zudem fest, dass US-Nachrichtendienste sich langsam von der Kooperation zurückziehen würden.
Pofalla appellierte: „Ich mache mir große Sorgen um die Sicherheit. Ich weiß, wovon ich rede.“ Er verwies jedoch auch auf die wichtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit, um die immer wieder gerungen werden müsse. Eine Stimmung zwischen Misstrauen und Empörung breitet sich nach den neuen Enthüllungen über die NSA-Spionage in Berlin aus. Christian Flisek, Obmann der SPD im NSA-Untersuchungsausschuss, forderte ein Eingreifen der Bundeskanzlerin. „Frau Merkel ist gefordert“, sagte er. Deutschland müsse die US-Regierung mit den Vorwürfen konfrontieren. „Es ist nötig, dass die Bundeskanzlerin sich mal aus der Deckung begibt.“ Patrik Sensburg (CDU), Vorsitzender des NSA-Ausschusses, sieht die USA „erheblich unter Erklärungsnot“. Er geht davon aus, dass auch Nachrichtendienste anderer Länder die Bundesregierung ausspionieren.
Sigmar Gabriel, der wohl noch abgehört wird, spielt die Enthüllungen herunter
Der US-Geheimdienst NSA soll laut WikiLeaks-Dokumenten nicht nur das Handy der Kanzlerin, sondern auch Minister und hohe Beamte abgehört haben. Nach Berichten von „Süddeutscher Zeitung“, NDR und WDR sind seit den 90er-Jahren vor allem das Wirtschafts-, das Finanz- und das Landwirtschaftsministerium ins Visier der NSA geraten. Von den 69 Nummern auf der Überwachungsliste wurde etwa die Hälfte dem Bundeswirtschaftsministerium zugeordnet.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte im „ARD-Morgenmagazin“, nun müssten zunächst die neuen Informationen geprüft werden. Doch die Verunsicherung durch die Enthüllungen ist auch bei ihm zu spüren. „Wir sind misstrauischer geworden“, sagte er mit Blick auf die Geheimdienste von befreundeten Staaten. Patrick Sensburg glaubt, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) nicht beim Ausspionieren von deutschen Ministerien geholfen hat. „Der BND darf im Inland nicht arbeiten“, sagte Sensburg. Alles andere wäre verfassungswidrig. Sensburg geht von einer „direkten Spionage“ der USA aus.
Vizekanzler Sigmar Gabriel, der womöglich heute noch abgehört wird, spielt die Enthüllungen herunter. „Man bekommt ein ironisches Verhältnis dazu“, sagte der SPD-Chef und Wirtschaftsminister. „Wir machen nichts in Ministerien per Telefon, was man abhören müsste.“ Konstantin von Notz, Obmann der Grünen im NSA-Ausschuss, nannte diese Äußerung „irre“.
Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) bat am Donnerstag US-Botschafter John B. Emerson zu einem Gespräch ins Kanzleramt. Es handelte sich jedoch nicht um das schärfere Instrument der Einbestellung. Der Botschafter wurde zuletzt im Oktober 2013 einbestellt – nachdem es Berichte darüber gegeben hatte, dass Merkels Handy abgehört worden war.