Istanbul . Der „Islamische Staat“ versucht erneut, die strategisch wichtige Stadt an der Grenze zur Türkei zu erobern

Ende Januar hatten die Kurden die nordsyrische Grenzstadt Kobane nach monatelangen Kämpfen aus der Gewalt der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) befreit. Die Stadt schien sicher zu sein. Jetzt kehren die Extremisten plötzlich zurück. Bei einem Überraschungsangriff drangen sie erneut in Kobane ein. Bei mindestens drei Selbstmordattentaten der Extremisten und Gefechten mit kurdischen Einheiten wurden Dutzende Menschen getötet oder verletzt. Darunter waren viele Frauen und Kinder. Die Kurden hatten Kobane an der Grenze zur Türkei erst Ende Januar nach monatelangen Kämpfen aus der Gewalt der IS-Miliz befreit.

Zugleich überfiel der IS am Donnerstag im Norden Syriens zwei weitere Orte, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete. Demnach griffen die Extremisten etwa 35 Kilometer südlich von Kobane das Dorf Barcha Batan an und töteten mindestens 20 Menschen, darunter zahlreiche Frauen und Kinder. Ein dritter Angriff erfolgte auf die Stadt Al-Hassaka im Nordosten des Landes. Der neue IS-Angriff auf Kobane begann am frühen Morgen mit Selbstmordangriffen auf den Grenzübergang zur Türkei. Danach habe es Gefechte in mehreren Vierteln Kobanes gegeben, erklärten die syrischen Menschenrechtler. Kurden-Sprecher Idriss Nassan sagte, die IS-Extremisten hätten wild um sich geschossen und auf jeden gefeuert, den sie erblickt hätten. Den kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) gelang es aber nach eigenen Angaben, die IS-Angreifer einzukreisen.

Laut den Menschenrechtsbeobachtern starben in Kobane mindestens acht Extremisten und zwölf Kurden. Der türkische Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus erklärte, es seien 96 Verletzte und vier Tote in türkische Krankenhäuser gebracht worden.

Er wies den Vorwurf der Kurden zurück, die Angreifer hätten Kobane von türkischem Gebiet aus angegriffen. Entsprechende Angaben seien „vollkommen gelogen“, sagte Kurtulmus laut der Nachrichtenagentur Anadolu. Sie seien Propaganda und der Versuch, die Türkei zum Ziel einer „Schmutzkampagne“ zu machen. Ein Video, das der Sender CNN Türk ausstrahlte, zeigt zwei Explosionen am Grenzübergang zur Türkei. Der zweite Attentäter kommt in einem Auto von syrischer Seite, bevor er sich in die Luft sprengt.

YPG-Sprecher Redur Chalil erklärte, die IS-Angreifer hätten Uniformen syrischer Rebellen getragen und Kobane von Süden und Westen aus angegriffen. Den Kurden zufolge waren nur wenige YPG-Kämpfer in der Stadt, weil sie an anderen Fronten gegen den IS kämpfen.

Der IS hatte bereits im vergangenen Jahr große Teile Kobanes eingenommen. Mithilfe von Luftangriffen einer internationalen, von den USA angeführten Militärkoalition gelang es den Kurden in monatelangen Kämpfen jedoch, die Stadt Ende Januar zu befreien. Große Teile wurden dabei in Schutt und Asche gelegt. Erst in den vergangenen Wochen war allmählich Leben in die fast völlig zerstörte Stadt zurückgekehrt.

Der neue IS-Angriff erfolgte nur wenige Tage, nachdem die Extremisten im Norden Syriens schwere Niederlagen gegen die Kurden einstecken mussten. In der vergangenen Woche hatten die Volksschutzeinheiten die weiter östlich gelegene Grenzstadt Tell Abjad befreit. Am Dienstag nahmen sie den Ort Ain Issa ein und rückten daraufhin bis auf rund 50 Kilometer an die syrische IS-Hochburg Al-Rakka heran. Die Extremisten verloren durch die Niederlagen ihre wichtigsten Nachschubwege in die Türkei.

Außerdem griffen IS-Kämpfer am Donnerstag die östlich von Kobane gelegene Stadt Al-Hassaka an. Bei Kämpfen seien mindestens 20 Dschihadisten und 30 Anhänger des syrischen Regimes getötet worden, erklärte die syrische Beobachtungsstelle. Die Extremisten hätten zwei Stadtviertel erobert.

Währenddessen hat die deutsche Linken-Außenpolitikerin Sevim Dagdelen von der Türkei ein sofortiges Ende ihre Unterstützung des „Islamischen Staates“ gefordert. „Der Angriff der Terrorbanden des sogenannten „Islamischen Staates“ auf die von den Kurdenmilizen der YPG kontrollierte Stadt Kobane vom Territorium des Nato-Verbündeten Türkei muss Konsequenzen haben“, forderte Dagdelen, die auch Vize-Vorsitzende der Deutsch-Türkischen-Parlamentariergruppe ist, am Donnerstag in Berlin. Die Bundesregierung müsse den Nato-Partner Türkei unverzüglich auffordern, den Terrorbanden des IS die Grenze zu Syrien nicht zu öffnen.

Die Angriffe auf die nordsyrischen Städte Kobane und Al-Hassaka bewiesen erneut „die Perfidität der türkischen Syrienpolitik“. Während die Terroristen des IS die türkisch-syrische Grenze weiterhin frei passieren dürften, werde jedwede humanitäre Hilfe für die notleidende Bevölkerung Nordsyriens blockiert, beklagte die Linken-Politikerin. Sie forderte einen humanitären Korridor zwischen der Türkei und Syrien. Die Bundesregierung dürfe nicht weiter auf das AKP-Regime in der Türkei setzen, „da dieses erwiesenermaßen den islamistischen Terror in der Region fördert“, so Dagdelen.