Berlin. BND-Chef Gerhard Schindler gibt sich im NSA-Ausschuss offen und bereit zur Aufklärung. Aber über vieles will er doch nur „nicht öffentlich“ reden
Vier Stunden wird Gerhard Schindler jetzt schon vernommen. Auf 23 Uhr geht es zu, als es im Untersuchungsausschuss zum Wortwechsel zwischen dem BND-Präsidenten und dem Grünen Hans-Christian Ströbele kommt. „Ich hatte gedacht, die USA halten sich an das Memorandum of Agreement“, sagt der Zeuge. „Denken Sie das heute noch?“, will Ströbele wissen. „Ich muss mir überlegen, was ich dazu sage“, lächelt Schindler. „Tun Sie das“, setzt Ströbele nach. Schindler will nicht reden – „nicht öffentlich“.
Und doch öffnet sich einen Moment lang ein Spalt – und wird der Blick frei auf die Affäre. Das „Memorandum“ ist ein Vertrag mit den USA. Er regelt die Kommunikationsüberwachung in Krisengebieten. Er legt fest, dass der BND über seine Abhörstation in Bad Aibling Behörden und Unternehmen mit EU-Bezug nur belauscht, wenn es um Terrorismus, Drogen- und Waffenhandel geht. Nur dann.
In Wahrheit schleuste der US-Geheimdienst NSA in Bad Aibling Suchbegriffe ein, die darüber hinausgingen. Der BND habe sie „ungenügend überprüft“, räumt Schindler ein. Anderntags mahnt der Ausschussvorsitzende Patrick Sensburg (CDU) in der ARD, diese Praxis könne so nicht weitergehen. Anscheinend sei immer wieder gegen die gemeinsame Vereinbarung der Geheimdienste verstoßen worden. Im Konjunktiv redet Sensburg, weil es zu der nicht-öffentlichen Sitzung nicht kam, auf der Schindler reden wollte. Um Mitternacht bricht Sensburg am Donnerstag die Vernehmung ab. „Es gibt mehr Fragen“, sagt er, „aber die Stenografen haben Dienstschluss.“
Auch die Abgeordneten sind übermüdet, genervt. Nur Schindler wirkt tiefenentspannt. Er bleibt bei jeder Frage gelassen, antwortet ruhig und freundlich. In den Tagen zuvor hatte er sich bei Terminen vertreten lassen, um sich auf den Auftritt vorzubereiten. „Ein gewandter Zeuge“, sagt Ströbele.
Schindler steht erst seit Januar 2012 dem BND vor. Das macht es ihm leicht, über frühere Fehler zu reden, über fehlende Dienstanweisungen, ungenügende Prüfungen und das „Abschottungsprinzip“, das er jetzt durchbrechen will. So wurden 2013 die Suchbegriffe der USA auf Arbeitsebene beanstandet und ausgeschaltet, die Behördenspitze aber erfuhr davon nicht.
Das war in den Tagen zuvor im Ausschuss ans Licht gekommen. Ein Unterabteilungsleiter des BND hatte im August 2013 eine Sonderprüfung der US-Suchkriterien veranlasst – angeblich aus eigenem Antrieb. Ein Sachbearbeiter in Bad Aibling durchsuchte die US-Selektoren daraufhin gezielt nach Mail-Adressen von Ministerien in Europa. Und er wurde fündig. Der Mann meldete seinem Chef die Treffer, deaktivierte die Selektoren und forschte danach weiter. Über drei Wochen durchforstete er die Selektoren auf eigene Faust und löschte jede Menge heikle Funde. Wie viele, das verrät er nicht. Und er sagte auch seinem Chef nicht, dass er weitergemacht hatte. Parallel fischte ein anderer BND-Mann problematische US-Suchkriterien heraus. Abgestimmt waren die Aktionen nicht. Und auch die Ergebnisse dieser zweiten Prüfung gelangten nicht an die BND-Spitze.
„Das zieht sich durch alle Zeugen. Niemand übernimmt Verantwortung. Niemand sagt, dass es sein Fehler war. Niemand hat mit irgendwem geredet“, sag SPD-Mann Christian Flisek und schimpft: „Ein Schwarzer-Peter-Spiel.“
Schindler sieht nicht gut aus, weil er auch dann keine Prüfung veranlasste, als der frühere NSA-Mitarbeiter Edward Snowden im Sommer 2013 die Praktiken seines Arbeitgebers enthüllte. Hätte Schindler nicht spätestens da in Bad Aibling Fragen stellen müssen? Er habe nicht die „Fantasie“ gehabt, erklärt Schinder, dass europäische Interessen betroffen gewesen sein könnten.
Alle NSA-Suchbegriffe wurden vom BND auf Bezüge zu Deutschland geprüft. Bei Daten von europäischen Partnern fehlte jedes Unrechtsbewusstsein. Vor dem Ausschuss wehrte Schindler Fragen danach ab: „kein Gesetzesverstoß“. Aber wenn die Abgeordneten das BND-Gesetz ändern wollten, bitte, der Dienst und seine Mitarbeiter wünschen sich die Debatte: „Wir haben ein Recht auf klare Vorgaben, was gewollt ist und was nicht.“
In Europa gebe es bereits Sitzungender Geheimdienste ohne den BND
Verunsicherung mache sich breit, auch bei Partnerdiensten. „In Europa finden erste Besprechungen ohne den BND statt“, erzählt Schindler. Er ist alarmiert. Seine Dienstaufsicht ist es auch. Es ist nicht im Interesse des Kanzleramts, wenn sich bei EU-Partnern der Eindruck verfestigt, dass sie ausgespäht worden sind.
Amtschef Peter Altmaier (CDU) will sich bald mit den Fraktionschefs von Grünen und Linkspartei treffen und sie für einen minimalenEingriff in die Geheimhaltung gewinnen. Am besten soll nur ein Ermittlungsbeauftragter die Liste mit den NSA-Suchbegriffen einsehen dürfen. Erst mal ist Zeit gewonnen. Die nächste Ausschusssitzung ist Mitte Juni. Vorher steht der G-7-Gipfel in Elmau an. Bis dahin bleibt die Liste unter Verschluss. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) muss nicht fürchten, darauf angesprochen zu werden.
Schindler wird in den nächsten Wochen noch einige Stunden im NSA-Ausschuss zubringen müssen. Die Aufklärung sei ihm wichtig, versicherte er. Vertuschen bringe nie etwas. „Eine Erfahrung habe ich in meinem langen dienstlichen Leben gemacht: Es kommt alles raus.“