Berlin. Bundeswehr startet Rettungseinsatz im Mittelmeer – doch kurz vor dem Flüchtlingsgipfel, der diese Woche beginnt, sind in Berlin noch viele Fragen offen
Einen solchen Bundeswehreinsatz gab es noch nie, er könnte das Leben von vielen hundert Flüchtlingen retten: Auf der griechischen Insel Kreta trafen gestern die Fregatte Hessen und das Versorgungsschiff Berlin ein, die Mitte der Woche die erste Seenotrettungs-Mission der Bundesmarine im Mittelmeer beginnen sollen. Bis zu 250 Flüchtlinge kann das Versorgungsschiff aufnehmen, die Fregatte soll aufklären und nach Booten in Seenot suchen. Allerdings: Wo genau die Schiffe der Bundeswehr eingesetzt werden, ist ebenso offen wie die rechtlich schwierige Koordination mit der EU-Grenzschutzmission Frontex. Und wohin mit den Geretteten? „Es gibt noch Klärungsbedarf“, räumt die Regierung ein.
Die vielen Fragezeichen kurz vor dem Start der Mission mögen irritierend sein, passen aber ins Bild der deutschen Flüchtlingspolitik. Angesichts der rapide wachsenden Zahl von Asylbewerbern steht die Bundesregierung vor vielen offenen Baustellen. Wenn am Freitag Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zum Flüchtlingsgipfel von Bund und ausgewählten Ländern bittet, ist der Druck enorm: Mindestens 300.000 Asylbewerber werden nach offiziellen Prognosen 2015 in Deutschland erwartet, 50 Prozent mehr als 2014.
„Die Herausforderungen werden noch größer, das sieht man an den aktuellen Zahlen der Flüchtlinge im Mittelmeer“, sagt der innenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Stephan Mayer (CSU). Im zuständigen Bundesamt für Migration wird bereits damit gerechnet, dass nicht nur der Zuwanderungsdruck vom Balkan und aus den Krisenländern Irak oder Syrien anhält, sondern auch verstärkt Menschen etwa aus der Ukraine Schutz in Deutschland suchen werden. Entsprechend groß sind die gegenseitigen Erwartungen von Bund und Ländern, jetzt schnell zu reagieren. Und von den Kommunen, die zum Gipfeltreffen gar nicht eingeladen sind, aber vehement eine Entlastung von den zusätzlichen Milliardenkosten verlangen. „Wenn die Zahl der Flüchtlinge steigt, müssen die Bundesmittel entsprechend aufgestockt werden“, mahnt Gerd Landsberg, Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds.
Zugesagt hatte der Bund Ländern und Kommunen eine Milliarde Euro für 2015 und 2016, das reicht wohl nicht. Die SPD-Spitze machte gestern mit Blick auf den Gipfel bei der Kanzlerin bereits den großen Aufschlag: Der Bund müsse sich dauerhaft substanziell an den steigenden Ausgaben von Ländern und Kommunen beteiligen, heißt es in einem vom SPD-Präsidium beschlossenen Forderungskatalog. In diesem Jahr würden schon rund 3,5 Milliarden Euro an Kosten für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge anfallen, 2013 seien es erst 1,5 Milliarden gewesen. Parteichef Sigmar Gabriel, der das Papier in ungewöhnlicher Besetzung gemeinsam mit Integrationsministerin Aydan Özoguz und der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer vorstellte, warnt deshalb schon vor sozialen Spannungen in den Städten: „Die Sanierung von Kitas oder Schulen, die Förderung von Sportvereinen und Kultur darf nicht in Konkurrenz zur Flüchtlingsunterbringung geraten.“
Die SPD-Führung verlangt zudem ein gemeinsames Wohnungsbauprogramm von Bund, Ländern und Kommunen oder schnellen Zugang zu Sprach- und Integrationskursen für Asylbewerber, die voraussichtlich länger hier bleiben. Dass der Bund mehr Geld in die Hand nimmt, wird auch von unionsregierten Ländern gefordert – doch die Union in Berlin bremst. Mit einer Zusage des Bundes schon beim Gipfel im Kanzleramt sei nicht zu rechnen, sagt Unions-Innenexperte Mayer, eine Lösung werde es erst im Zusammenhang mit anderen Fragen der Bund-Länder-Finanzierung geben, die derzeit beraten würden.
Asylverfahren für Flüchtlinge vom Balkan sollen zentral organisiert werden
Dafür zeichnet sich in anderen Punkten eine Einigung ab. Koalition und Länder wollen vor allem die Asylverfahren für Flüchtlinge aus den Westbalkanstaaten beschleunigen: Seit Jahresanfang werden rund 60 Prozent aller Asylanträge von Migranten aus dem Kosovo, Serbien, Albanien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro gestellt – ganz überwiegend sind die Anträge aussichtslos, anders als etwa die Aufnahmebegehren von Flüchtlingen aus Syrien oder dem Irak. Die Union fordert, die Asylbewerber vom Balkan bis zum rechtskräftigen Abschluss ihrer Verfahren in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu lassen und gegebenenfalls gleich von dort abzuschieben. Jetzt plädiert auch die SPD-Spitze dafür, die Asylverfahren für Migranten aus den Balkanstaaten zentral zu organisieren, um die Kommunen zu entlasten. Das Bundesamt für Migration, das über die Anträge entscheidet, hat eine solche Praxis mit sechs Ländern schon erprobt: Asylanträge von Kosovaren wurden in den Erstaufnahmeeinrichtungen innerhalb von zwei Wochen entschieden, fast durchweg abgelehnt. Das Signal habe Wirkung gezeigt, sagt Amtspräsident Manfred Schmidt, danach sei die Zahl der Anträge um 95 Prozent gesunken. Klar ist in der Koalition auch, dass das Bundesamt erneut mehr Personal erhalten soll, nachdem bereits 700 zusätzliche Stellen gebilligt wurden. Die SPD will, dass mit mehr Entscheidern die durchschnittliche Dauer der Asylverfahren von 5,1 Monate auf nur noch drei Monate verkürzt wird – was so schnell allerdings kaum machbar ist.