Helsinki. Der ehemalige Vorzeigestaat hat Probleme. Stürzt die Regierung bei der Wahl am Sonntag?
Finnland, eine technisch versierte Nation mit den intelligentesten Schülern Europas und Vorzeigestaat der Eurozone? Diese Zeiten scheinen vorbei. Mit gravierenden Wirtschaftsproblemen im Rücken kommen die Finnen am Sonntag an die Wahlurnen. Die Lage ist so schlecht, dass führende finnische Politiker sogar davor warnen, das Land könne zum neuen Griechenland werden.
Das mag ein düsteres Zerrbild sein, aber die dramatischen Töne verraten es: Die Angst vor dem Absturz ist groß, das Loch im Budget bestimmt den Wahlkampf. Weder die Aggressionen des russischen Nachbarn noch der umstrittene Nato-Beitritt Finnlands konnten das Thema überlagern. Wichtig ist in der Debatte nur eines: Geld. Das skandinavische Land hat es nicht geschafft, das Wirtschaftswachstum nach der Finanzkrise von 2008 wieder anzukurbeln. Statt der Wirtschaftsleistung kletterte die Arbeitslosigkeit nach oben. Durchschnittlich liegt sie bei zehn Prozent, in einigen Landesteilen ist sogar jeder fünfte Bürger arbeitslos. Die finnischen Schulden sind auf das Doppelte angewachsen und reißen fast die von der EU festgesetzte Obergrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
Die finnische Wirtschaft ist abhängig vom europäischen Markt, in den 80 Prozent der Waren des Landes geliefert werden. Hinzu kommt, dass Apple mit seinen iPhones das finnische Flaggschiff Nokia in schweres Fahrwasser brachte. Gleichzeitig brach die Papierindustrie ein. Als sich Finnland dann, zwar zunächst widerwillig, dann aber doch konsequent, den EU-Sanktionen gegen Russland anschloss, brachen auch die Exporte nach Russland ein.
Doch das sind nicht die einzigen Probleme des Landes: Von allen Volkswirtschaften der industriellen Welt schwindet in Finnland die Zahl der Arbeitskräfte am schnellsten. Nirgendwo altert die Bevölkerung schneller, kaum irgendwo wandern weniger Immigranten ein. Die finnische Produktivität liegt unter der von Schweden und Deutschland. Hinzu kommt eine als untätig in Verruf geratene Regierungskoalition, der es nicht gelang, das Land aus der Rezession zu führen.
Sogar die Regierung räumt Fehler ein. Ministerpräsident Alexander Stubb von der Nationalen Sammlungspartei nannte die Koalition eine „traumatische Erfahrung“ und warnte vor einem „verlorenen Jahrzehnt“. Die Regierung bestand aus sechs Parteien, bis zwei von ihnen im vergangenen Jahr die Koalition im Streit verließen.
Und nun betritt ein Oppositionsführer die große politische Bühne, der allem Anschein nach Finnlands nächster Regierungschef sein wird: Juha Sipilä. Seine sozialliberale Zentrumspartei führt in den Umfragen, obwohl der Spitzenkandidat bei seinen Landsleuten längst nicht so bekannt ist wie Noch-Premier Stubb. Seit 2011 sitzt der IT-Millionär im finnischen Parlament. Der 53 Jahre alte Ingenieur hat vor seiner politischen Laufbahn als Geschäftsmann ein Vermögen verdient. Seine Erfahrung soll ihm nun helfen, als Premier die Wirtschaft in seinem Land endlich auch wieder auf Erfolgskurs zu bringen. Der gläubige Christ und Abtreibungsgegner hat versprochen, im privaten Sektor in den nächsten zehn Jahren 200.000 neue Jobs zu schaffen – das sind doppelt so viele, wie Finnland seit 2008 verloren hat.
Nur: Wie genau Sipilä das erreichen will, sei weiterhin unklar, kritisiert der Politikwissenschaftler Ville Pitkänen: „Sipilä hat bisher keinen detaillierten Plan vorgelegt, wie er das Problem besser lösen wolle als die amtierende Regierung. Aber das muss er auch gar nicht. Der wichtigste Grund, warum seine Partei in den Umfragen vorn liegt, ist, dass die Regierung so schlecht arbeitet.“
Die meisten finnischen Parteien stimmen darin überein, dass kein Weg am Sparen vorbeiführt. „Ich glaube, wir sind bereit, harte Zeiten zu akzeptieren“, sagte Sipilä. Das mag stimmen. Doch die Furcht ist groß, dass sich auch die nächste Koalition darüber zerstreiten wird, an welchen Stellen genau gekürzt werden soll. Die Umfragen sagen zwar einen Sieg von Sipiläs Zentrumspartei voraus, doch dieser wird wohl nicht klar genug ausfallen, um auf Koalitionspartner verzichten zu können. Als Land ohne etablierte politische Blöcke ist fast alles denkbar am Tag nach der Wahl. Sogar der erstmalige Einzug der rechtsextremen und Europafeindlichen „Wahren Finnen“ von Timo Soini in eine Regierungskoalition.