Frankfurt . Linksradikale sorgen für schwere Ausschreitungen bei Eröffnung der Europäischen Zentralbank. Polizei und Politik sind entsetzt über Ausmaß der Gewalt


An der Frankfurter Flößerbrücke, mit Blick auf den in der Sonne funkelnden Glaspalast der Europäischen Zentralbank (EZB), hat jemand gegen Mittag aus Pflastersteinen ein Peace-Symbol gelegt, daneben ein Herz. Es kommt viel zu spät, dieses naive, hilflose Zeichen für Gewaltfreiheit und Harmonie. Dieselben Steine nämlich hatten Stunden zuvor Randalierer aus der Erde gerissen, um Scheiben und Autos oder Polizisten zu bewerfen. Andernorts wurden Krähenfüße aus Metall auf der Straße gefunden, die Reifen zerfetzt und Menschenleben gefährdet hätten, wäre jemand darübergefahren. Von einem zwar lauten, aber friedlichen, bunten, kreativen Protest, den das kapitalismuskritische Bündnis Blockupy gegen die für 11 Uhr geplante Einweihungsfeier der EZB angekündigt hatte, konnte schon keine Rede mehr sein, als es noch nicht einmal hell war.

Blockupy hatte sich den 1,2 Milliarden Euro teuren Bankenturm als Symbol gewählt, um seine Wut über das Vorgehen der aus EU-Kommission, IWF (Internationaler Währungsfonds) und EZB bestehenden Troika-Politik kundzutun. Seit Monaten warten die Aktivisten auf diesen „Tag X“ der Einweihung, europaweit haben sie Aktionen geplant und Einsätze geprobt, um der EZB die Feier zu verpfuschen.

Doch die versprochenen friedlichen Proteste wurden schon am Morgen überschattet von Randale, Gewalt und sogar Steinwürfe auf Feuerwehrleute, die brennende Autos und Mülleimer löschen wollten. Erst die friedliche Großkundgebung am Nachmittag vor dem Frankfurter Rathaus Römer geriet so, wie sich die Veranstalter das wohl vorgestellt hatten. Da wurde am Paulsplatz sogar getanzt, auf einem Lkw mit Soundsystem legte ein DJ bei entspannter Stimmung House-Musik auf. Wie anders hatte das doch wenige Stunden zuvor noch ausgesehen.

In der Nacht schon waren im Nobelstadtteil Westend, wo viele der Bankentürme stehen, vier Autos in Flammen aufgegangen, bei anderen waren die Scheiben zertrümmert. Und bald darauf traf es auch die ersten Polizeiwagen. Insgesamt wurden sieben Einsatzwagen abgefackelt, ein Fahrzeug wurde von den Demonstranten gekapert. Und aus einer Wache in der Innenstadt konnten Polizisten am frühen Morgen nur noch hilflos Filmaufnahmen machen, die sie später ins Internet stellten, versehen mit dem Kommentar „selbsterklärend“: Darauf ist zu sehen, wie eine Gruppe vermummter Personen parkende Autos vor der Tür in Brand setzt, Steine, Böller und Farbbeutel auf die Wache wirft und marodierend weiterzieht. An der Alten Oper flogen kurz darauf Steine. Ein Beamter, am Kopf getroffen, musste blutend ins Krankenhaus. Und im Laufe des Tages stieg die Verletztenzahl drastisch, am Ende waren es mehr als 200. Rund 550 Personen wurden vorübergehend festgenommen.

Monatelang hat sich die Frankfurter Polizei auf diesen Tag vorbereitet, hat Einsatzpläne entworfen, Deeskalationsstrategien entwickelt, ihre Leute geschult, Menschen und Material aus dem ganzen Bundesgebiet organisiert, an die 10.000 Polizisten und allein 28 Wasserwerfer. Das ist mehr als die Hälfte des gesamten bundesdeutschen Bestandes. Und doch ist der erst vor Kurzem angetretene Polizeipräsident Gerhard Bereswill geschockt, als er am späten Vormittag erstmals Bilanz zieht. Eine derartige Eskalation habe Frankfurt seit Jahren nicht mehr erlebt, sagte Bereswill. Auch Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) reagierte entsetzt und empört. Ulrich Wilken, hessischer Landtagsabgeordneter der Linkspartei und Vizepräsident des Landtags, hatte die Demonstration von Blockupy angemeldet. Auch er reagierte geschockt auf die Gewalt: „Ich habe den Morgen mit Entsetzen gesehen, dazu stehe ich: Wir wollen keine Steinewerfer.“ Er habe aber auch Verständnis für die Wut der Unterdrückten. Bei der Kundgebung auf dem Römer bekam Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht viel Bravorufe und Beifall zu hören, als sie „oberlehrerhafte Arroganz der deutschen Bundesregierung“ kritisierte.

In der EZB hatte die aufs Allernötigste und nicht mal 100 Gäste reduzierte Zeremonie derweil mit 20 Minuten Verspätung begonnen. Hauptredner und EZB-Präsident Mario Draghi dankte der Polizei und den Gästen, die trotz der „schwierigen Situation“ gekommen waren. Doch dann ging der Notenbankpräsident doch noch ausführlicher auf die Vorwürfe der Demonstranten ein. Viele von ihnen fänden, dass Europa mehr gegen die Krise tun müsse, dass es mehr Solidarität zwischen den Ländern geben müsse. Andere wiederum kritisierten, dass Europa schon jetzt zu viel tue, und wünschen sich eher wieder stärkere Nationalstaaten. Keine der beiden Sichtweisen biete eine Lösung für die Herausforderungen, befand Draghi. Langfristig müsse Europa neben der wirtschaftlichen Gemeinschaft auch die politische Union vertiefen. Dann sei er zuversichtlich, so Draghi, „dass wir auch diejenigen mitnehmen können, die sich ausgeschlossen fühlen, einschließlich vieler Protestierenden, die in Frankfurt diese Woche zusammengekommen sind.“