Mit brutalen Bildern von Hinrichtungen führt die Terrorgruppe Isis ihren Kampf im Irak auch im Internet. Doch tatsächlich gerät ihr Vormarsch ins Stocken. Exerten bangen um die Einheit des Iraks.
Bagdad. Nach dem brutalen Vormarsch der Terrorgruppe Isis im Irak hat die Armee nach eigenen Angaben am Wochenende eine Gegenoffensive gestartet. Bei heftigen Gefechten kamen mehr als 30 Menschen ums Leben, darunter mindestens zehn Zivilisten. Weitere zwölf Menschen starben bei einem Selbstmordanschlag in Bagdad.
Auf Fotos und Videos im Internet zeigten Isis-Extremisten Auspeitschungen, Erschießungen und Massengräber. Experten warnten vor einem Kollaps des multiethnischen Staates Irak – mit Erschütterungen weit über die Krisenregion Nahost hinaus. Als Reaktion auf die Eskalation entsandten die USA Kriegsschiffe in den Persischen Golf. Der Flugzeugträger „USS George H.W. Bush“ wurde von einem mit Raketen bestückten Kreuzer und einem Zerstörer begleitet. Damit solle US-Präsident Barack Obama zusätzliche Flexibilität gegeben werden, sollten militärische Optionen nötig werden, um das Leben von Amerikanern und Interessen im Irak zu schützen, teilte das US-Verteidigungsministerium mit.
Nach dem Irak-Krieg (2003-2011) hatte Obama zwar eine Rückkehr von US-Kampftruppen in das Land ausgeschlossen. Andere militärische Optionen hielt er sich aber offen. Die Terrorgruppe Isis, die ausschließlich Muslime sunnitischer Glaubensrichtung rekrutiert, setzte sich vor allem in der westirakischen Provinz Anbar und im Norden zwischen Mossul und Bagdad fest. Medien berichteten, die Armee bereite zusammen mit Tausenden Freiwilligen die Rückeroberung der nördlichen Millionenmetropole Mossul und der zentralirakischen Stadt Tikrit vor. Anfang der Woche hatten Isis-Kämpfer von Mossul, der zweitgrößten Stadt des Iraks, aus einen Vorstoß Richtung Bagdad unternommen. Inzwischen konnten sie von Soldaten, Freiwilligen und kurdischen Peschmerga-Truppen gebietsweise zurückgeschlagen werden.
Isis habe auf die klassische Guerilla-Taktik im Irak verzichtet, berichtete die „New York Times“. Stattdessen hätten die Dschihadisten nach langer Vorbereitung eine Schneise ins Land getrieben. Zeitweilig kontrollierte Isis die drei großen Autobahnen nördlich von Bagdad und trennte die Kurdenregion vom Rest des Landes. Die oppositionellen Republikaner riefen Obama zu einem entschiedeneren Vorgehen auf. John McCain, einflussreicher Senator aus Arizona, drängte Obama zu sofortigen Luftangriffen, um den Vormarsch der Dschihadisten zu stoppen.
Die sunnitische Minderheit wurde offenbar diskriminiert
Der iranische Präsident Hassan Ruhani zeigte sich offen für eine Zusammenarbeit mit den USA im Kampf gegen die Isis. Allerdings müsse die Initiative von den Amerikanern ausgehen. US-Außenminister John Kerry betonte in einem Telefonat mit seinem irakischen Kollegen Hoschiar Sebari, Hilfe durch die USA würde nichts bringen, solange die verschiedenen Gruppen in dem Land nicht ihre Differenzen überwänden, um die für die Zukunft des Iraks notwendige nationale Einheit zu schaffen. Die sunnitische Isis kämpft gegen Schiiten, die sie als „Abweichler“ von der wahren Lehre des Islams ansieht.
Kritiker werfen dem schiitischen irakischen Regierungschef Nuri al-Maliki vor, über Jahre die sunnitische Minderheit im Land diskriminiert und damit zu einer Spaltung des Iraks beigetragen zu haben. Die Sunniten waren früher die Machtbasis von Diktator Saddam Hussein, der wiederum Schiiten brutal unterdrückte. Ziel der Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und in Syrien (Isis) ist ein sunnitischer Gottesstaat vom östlichen Mittelmeer bis zum Persischen Golf. Im Irak wollen die Extremisten Bagdad aus verschiedenen Richtungen umzingeln und in die mehrheitlich schiitische Stadt vordringen. Nach UN-Angaben wurden bereits in den ersten Tagen bei Kämpfen mehrere Hundert Zivilisten getötet und etwa 1000 verletzt.
100.000 Rekruten für die irakische Armee in Nadschaf
Hunderttausende sind auf der Flucht. Vor allem schiitische Freiwillige waren zuletzt scharenweise einem Aufruf des irakischen Großajatollahs Ali al-Sistani zum Widerstand gegen die Extremisten gefolgt. Allein in der den Schiiten heiligen Stadt Nadschaf wurden 100.000 Rekruten für die Aufnahme in die irakische Armee erwartet, wie „Al-Sumaria News“ berichtete. Die Krise im Irak wird nach Meinung des renommierten Londoner Experten Fawaz Gerges zwangsläufig zu einer Macht-Aufsplittung zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden führen.
„Ganz egal, was in den nächsten Tagen und Wochen passiert – wir werden eine Fragmentierung der Macht erleben“, sagte Gerges. Die Chance, dass der Irak als Staat erhalten werden könne, schätzt der im Libanon geborene Politik-Professor der London School of Economics (LSE) auf 50:50. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen wurde am Abend im Mitgliedsland Türkei erwartet. Die Türkei hatte am Mittwoch bei einer Sondersitzung des Nato-Rates ihre Verbündeten über die Entführung von Dutzenden Türken im Nordirak informiert.