Ungesunde Lebensmittel sollen teurer werden, sagen Diabetes-Experten – und setzen Gesundheitspolitiker der Großen Koalition unter Druck. Studie: Gesundheit immer wichtiger.
Hamburg/Berlin. Es geht um Nuss-Nougat-Creme wie Nutella, Kartoffelchips und Fastfood von McDonald’s und Co.: Experten für Diabetes und Ärzte in Deutschland fordern von der zukünftigen Großen Koalition aus Union und SPD, künftig eine Steuer auf besonders kalorienreiche Lebensmittel zu erheben. Auch die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) begrüßt diese Überlegungen. „Dies wäre ein bedeutender Schritt, um Primärprävention bevölkerungsweit und nachhaltig in Deutschland einzuführen“, heißt es in einem Brief der DDG an die Verhandlungsführer beider Parteien im Ausschuss Gesundheit, Jens Spahn und Karl Lauterbach. Die Fachgesellschaft schlägt vor, gleichzeitig gesunde Lebensmittel steuerlich zu begünstigen. Derzeit gilt für Lebensmittel der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent.
Die Kaloriensteuer soll helfen, Ernährungsgewohnheiten zu verändern und Übergewicht zu bekämpfen. Übergewicht ist eine der Ursachen für Diabetes mellitus, heißt s bei der Fachgesellschaft.
Mit der Kaloriensteuer „hätten wir endlich eine effektive Strategie gegen das weitere Ansteigen der Volkskrankheiten wie Adipositas, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen“, betont DDG Präsident, Privatdozent Dr. med. Erhard Siegel. Der bloße Appell an Verhaltensänderungen sei nachweislich gescheitert. Deutliche Preissignale hingegen seien wirksam, wie die Anti-Raucher-Kampagne zeige. Die Kaloriensteuer sollte nach Ansicht der DDG unbedingt in den Koalitionsvertrag aufgenommen werden. Sie wäre ein Durchbruch für eine stärkere Prävention in Deutschland, wie sie auf internationaler Ebene seit Jahren gefordert wird.
Die Gesundheitsexperten Edgar Franke (SPD) und Erwin Rüddel (CDU) hatten gefordert, den halben Mehrwertsteuersatz auf alle Lebensmittel aufzuschlagen, die mehr als 275 Kalorien je 100 Gramm haben. Sinnvoll wäre nach Ansicht der DDG eine Kombination der Kaloriensteuer mit einer Zucker- und Fettsteuer, die auch stark zuckerhaltige Softdrinks wie Cola erfassen würde.
„Zucker-Fettsteuern“ gibt es bereits in Frankreich, Finnland, Ungarn und Mexiko. Dem Ernährungsbericht der Bundesregierung zufolge leiden in Deutschland 67 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen an Übergewicht. In Deutschland leiden über sechs Millionen Menschen an Diabetes – jedes Jahr kommen nach Angaben der Experten etwa 250.000 hinzu.
Derweil ist eine Bürgerversicherung nach Angaben des CDU-Verhandlungsführers bei den Koalitionsgesprächen im Bereich Gesundheit, Jens Spahn, endgültig vom Tisch. Wie Spahn mitteilte, hat die Arbeitsgruppe in ihrer letzten Sitzung am Vorabend „bei allen Versorgungsfragen gute Ergebnisse“ erzielt. „Gemeinsam werden wir noch mehr für die flächendeckende Versorgung in Deutschland tun, die Patienten bekommen bei Überweisung durch einen Arzt eine Termingarantie innerhalb von vier Wochen“, so Spahn.
Union und SPD wollen demnach unter anderem die Qualität der Behandlung „besser messen und bestimmte Leistungen nach Qualität bezahlen“. Ferner sollen Pflegebedürftige in Deutschland „zügig konkret bessere Leistungen bekommen“. Dazu sollen neue Pflegekräfte eingestellt werden, „damit es mehr Zeit für die Betreuung und Begleitung der Menschen gibt“. Zudem möchten Union und SPD einen „Pflege-Vorsorgefonds“ aufbauen, in den ein Teil des Geldes aus der geplanten Beitragssatzerhöhung fließt. „Wir müssen heute schon vorsorgen, damit es in Deutschland auch dann noch gute Pflege geben kann, wenn ab 2035 besonders viele Menschen pflegebedürftig sein werden“, so Spahn.
Die Bundesbürger beschäftigen sich zunehmend mit ihrer Gesundheit. Dies geht aus dem Werte-Index 2014 hervor, der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Neben der Gesundheit sind den Bundesbürgern persönlicher Erfolg und Freiheit wichtig. Außerdem haben Natur, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit einen hohen Stellenwert bei den Menschen. Der Index wurde von TNS-Infratest und der Trendforschungsagentur Trendbüro erstellt.
Grundlage für den Index ist eine Auswertung von rund 1,7 Millionen Einträgen auf deutschen Webseiten, in Blogs oder Foren, die zwischen dem 1. März 2012 und dem 28. Februar 2013 veröffentlicht wurden. Bei den Gesundheitsbeiträgen diskutieren die Nutzer am häufigsten über Diagnosen und Therapien von Krankheiten.
„Die Menschen machen sich Sorgen um sich selbst, vor allem um ihren Körper“, sagte Peter Wippermann, Professor für Kommunikationsdesign an der Folkwang Universität Essen, bei der Vorstellung des Indexes. Der Werteforscher ergänzte: „Gesundheit gilt als Grundlage für gelebte Freiheit, Autonomie und Eigenverantwortung.“ Bei der Auswertung 2012 stand der Wert Freiheit noch an erster Stelle des Indexes. Die Gesundheit hat sie damit als wichtigster Wert überholt.
Beim Thema Erfolg geht es den meisten um eine verbesserte Lebensqualität. Die Möglichkeit, das Leben nach eigenen Interessen zu gestalten, werde zunehmend wichtiger als finanzieller und materieller Erfolg, heißt es in der Studie.
Zunehmend interessieren sich die Bundesbürger auch für Natur und Nachhaltigkeit. Den Experten der Studie zufolge geht es dabei vor allem um die Natur als „Sinnbild der Ursprünglichkeit“. Umwelt- und Klimaschutz sind weniger interessant für die Menschen. „Früher war Natur etwas, was wir retten wollten“, sagte Wippermann. „Jetzt fangen wir an, die Natur als spirituellen Sinngeber zu sehen.“
Den Forschern zufolge nimmt jedoch das Vertrauen in politische Instanzen, in Behörden oder andere Institution zunehmend ab. „Die Parteien als Umsetzer von Problemlösungen haben an Gewicht verloren“, sagte Wippermann. Die Menschen würden sich eher auf sich selbst verlassen und nach eigenen Wegen suchen.
Die Erhebung gilt als repräsentativ und aussagekräftig für den Wertewandel in Deutschland. Die Forscher berufen sich dabei auf Daten aus Medienanalysen, die davon ausgehen, dass 53,7 Millionen Bundesbürger ab 14 Jahre aktive Internet-Nutzer sind.