Wenn im April der Prozess um die rassistisch motivierte Mordserie des Neonazi-Netzwerks NSU beginnt, schaut die Welt nach München.
München. Nach Ostern ist es soweit: Mit dem Mordprozess gegen die mutmaßliche Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe aus Thüringen und vier Mitangeklagte beginnt Mitte April in München eines der wichtigsten Verfahren der deutschen Nachkriegszeit. Die Vorbereitungen laufen bereits auf Hochtouren. Während sich am Oberlandesgericht (OLG) der Staatsschutzsenat unter Vorsitz von Richter Manfred Götzl durch einen Berg von etwa 1000 Aktenordnern arbeitet, beginnt in diesen Tagen der Umbau des Schwurgerichtssaals für das Verfahren.
„Es ist ein herausgehobenes Verfahren mit hohem Sicherheitsstandard“, sagt der Präsident des Oberlandesgerichts, Karl Huber. „Wir werden jeden Tag die Polizei im Strafjustizzentrum haben.“ Wenn Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) auf der Anklagebank Platz nehmen, wird das Gericht abgeriegelt, an den Eingängen zum Saal wird es scharfe Kontrollen mit Leibesvisitationen geben. Und wenn Justizfahrzeuge Zschäpe und den ebenfalls inhaftierten Ralf Wohlleben von der Untersuchungshaft ins Gericht bringen, werden die umliegenden Straßen gesperrt.
Dem NSU werden zehn Morde zwischen 2000 und 2007 zugerechnet. Opfer waren neun türkisch- und griechischstämmige Kleinunternehmer und eine Polizistin. Zschäpe ist wegen Mittäterschaft angeklagt. Ob ihr das nachzuweisen ist, wird die zentrale Frage des Prozesses sein. Das Gericht hat die Anklage der Bundesanwaltschaft immerhin uneingeschränkt zugelassen. Bei einem Anschlag in Köln 2001 hält der Senat es sogar für möglich, dass es nicht wie angeklagt um einen, sondern um mehrere Fälle von versuchtem Mord geht.
Sollten sich die Vorwürfe im Verfahren bestätigten, wird Zschäpe für viele Jahre hinter Gitter wandern. Ihr drohen dann als Höchststrafe lebenslänglich und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld – auch eine anschließende Sicherungsverwahrung wäre nicht ausgeschlossen. Fünf Berufsrichter werden über sie und die vier weiteren Angeklagten zu Gericht sitzen. Dazu gibt es zwei Ergänzungsrichter. Sonst müsste beim Ausfall nur eines Richters das ganze Verfahren neu aufgerollt werden. Mehrere Vertreter der Bundesanwaltschaft und zehn Verteidiger nehmen an dem Prozess teil. Hinzu kommen als Nebenkläger derzeit 64 Opfer-Angehörige und Betroffene mit ihren 46 Anwälten. Die Anklage hat allein mehr als 600 Zeugen benannt.
Am 17. April soll der Prozess starten. Linke Gruppen haben vorher und zum Auftakt Demos angekündigt, und Aufmärsche von Rechtsradikalen sind keineswegs ausgeschlossen. „Wir haben das Landeskriminalamt um eine Gefahreneinschätzung gebeten“, sagt Huber. Für das Gericht sei der Prozess physisch und psychisch eine große Belastungsprobe. „Das ist etwas, was Robustheit verlangt. Natürlich geht das an die Substanz.“
Der Vorsitzende Götzl sei aber ein Strafrichter mit langjähriger Erfahrung in schwierigen Prozessen. Nicht der Prozess an sich, aber seine Durchführung werde entscheidend für die Wahrnehmung Deutschlands in der Weltöffentlichkeit sein, sagt Huber. „Wichtig ist, dass ein Strafverfahren dieser Größenordnung in Rechtsstaatlichkeit durchgeführt wird.“ Der Schwurgerichtssaal 101 wird extra umgebaut. „Es ist alles in Auftrag gegeben. Ich hoffe, dass wir im Laufe des Februars fertig werden“, sagt der OLG-Präsident. Das einzige, schmale Fenster seitlich hinten in dem betonumbauten Raum, das schon jetzt kaum Tageslicht einlässt, erhält einen Sichtschutz – vorsorglich: Das schlimmste Szenario darf auch einen möglichen Attentäter nicht ausschließen, der durch das Glas auf Prozessbeteiligte zielen könnte.
Sicher ist: Es wird eng im Gerichtssaal. Etwa 200 Menschen passen hinein, rund 100 Plätze müssen für die Nebenkläger und ihre Anwälte freigehalten werden. Für sie werden nun im unteren Bereich des Saales Tische, Stromanschlüsse und Mikrofone installiert. Für Öffentlichkeit und Presse bleiben insgesamt 105 Plätze auf der Empore. Es habe keine Alternative gegeben, betont Huber. Der seit Jahren geplante Bau eines Hochsicherheitssaales im Gefängnis Stadelheim hat noch nicht einmal begonnen. Das Gericht prüfte auch eine Live-Übertragung, etwa für Journalisten, kam aber zu dem Schluss: „Eine Übertragung der Verhandlung in einen anderen Saal ist rechtlich nach deutschem Verfahrensrecht nicht möglich.“
Bisher hat der Senat bis Mitte Januar 2014 Termine reserviert. Huber schließt aber nicht aus, dass der Prozess weit länger dauern könnte – vielleicht sogar bis zu zweieinhalb Jahre.