Vier Monate nach dem geplatzten Start des Hauptstadtflughafens hat ein Ausschuss des Berliner Landesparlamentes mit der Aufklärung begonnen.
Berlin. Man kann das Milliarden-Projekt getrost als Flop bezeichnen. Der Berliner Piraten-Abgeordnete Martin Delius spricht sogar von einem „internationalen Reputationsverlust für Deutschland“. Am Freitag hat ein Untersuchungsausschuss im Berliner Landesparlament mit der Aufklärung des Debakels um den Hauptstadtflughafen begonnen. Auf Delius, noch keine 30 Jahre alt, kommt eine heikle Aufgabe zu: Der Parlamentsneuling leitet das bislang wohl wichtigste Gremium in dieser Legislaturperiode in Berlin.
Die Fakten: Die Eröffnung des Prestige-Flughafens wurde dreimal verschoben. Die Kosten sind explodiert um 1,2 Milliarden auf jetzt 4,4 Milliarden Euro. Es gibt Planungsfehler, Baumängel und bisher keinen Schuldigen – dabei lachte ganz Deutschland über Berlin.
Delius, der am Freitag mit grauem Sakko, randloser Brille und langem Zopf als erster an seinem Platz sitzt, ist akribisch vorbereitet. Mehr als 25 kleine Anfragen hat seine Fraktion zum Flughafen-Chaos gestellt, mehr als alle anderen. Delius gibt sich ruhig, er sei nicht nervös – dabei ist es nicht nur der erste Untersuchungsausschuss der neuen rot-schwarzen Landesregierung, sondern auch der erste der Piraten überhaupt.
Die Erwartungen an die neun Mitglieder sind groß. Der Untersuchungsauftrag umfasst 78 Fragen. Nicht nur die Kosten und die Umstände der zwei Verschiebungen in diesem Jahr sind dabei, er geht zurück in die Bauphase, sogar in die Flughafenplanung in den 1990er Jahren. Die Aufarbeitung – so der Plan – streift umstrittene Entscheidungen über Flugrouten und Lärmschutz und stellt die Ur-Frage nach der Standortentscheidung für Schönefeld am Rand Berlins.
Der Ausschuss könne Lehren für die Zukunft erarbeiten, nicht aber dafür sorgen, dass der Flughafen fertig und nicht noch teurer wird, betont der Grünen-Abgeordnete Andreas Otto. Rund 90 Beweisanträge beschließt der Ausschuss in der ersten Sitzung. Neun Zeugen, darunter Berlins ehemaliger Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU), sollen noch vor Weihnachten aussagen.
Delius, der am Kopf des großen U-förmigen Tisches weit weg von seinen Fraktionskollegen sitzt, ist nicht nur Chefaufklärer – der 28-Jährige muss auch zeigen, dass die Piraten Politik beherrschen. Es ist eine Bewährungsprobe für die noch nicht einmal ein Jahr alte Fraktion. Andere Abgeordnete reagierten bereits skeptisch auf seine neuen Ideen wie einen anonymen elektronischen Briefkasten für Tippgeber und im Internet veröffentlichte Flughafen-Dokumente.
Delius betont, er wolle bei der Aufklärung des Flughafen-Chaos keine parteipolitischen Auseinandersetzungen zulassen. Die Mitglieder sollten die altbackene Sitzordnung nach Fraktionen aufbrechen und sich bunt durcheinandermischen. Ungläubige Blicke, nur die Piraten stimmen dafür.
Und auch sonst ist von Parteiunabhängigkeit nicht viel zu sehen. Die Koalitionsfraktionen von SPD und CDU beantragen eine Änderung nach der anderen: Tagungszeiten, zugelassene Beobachter, Rederecht von Stellvertretern, Pressekonferenzen. Die Linke-Abgeordnete Jutta Matuschek wirft der Koalition Verzögerungstaktik vor.
Oft wird der Ausschuss – wie auch am Freitag – hinter verschlossenen Türen tagen müssen. Auch das kann Taktik der Regierungsfraktionen sein, denn die Senatskanzlei des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) hat viele Dokumente für vertraulich erklärt. Will ein Zeuge Inhalte erwähnen, muss die Öffentlichkeit aus dem Ausschuss raus.
Delius hatte sich zuvor Sorgen gemacht, SPD und CDU könnten Aufklärungswillen vermissen lassen. Jetzt versucht er es mit einem Appell an die Ehre: Sie selbst könnten helfen, das verlorene Vertrauen in das Flughafen-Projekt und die Berliner Politik wieder herzustellen. „Denn wer vertraut und glaubt uns denn im Moment?“