Die Alterung der Gesellschaft ruft düstere Szenarien hervor. Ein Demografiegipfel liefert viele Diskussionen, aber wenig Konkretes.
Berlin. Deutschland ergraut. Die Bevölkerung im Land wird immer älter und schrumpft. Die Szenarien sind beängstigend: Von verwaisten Landstrichen ist da die Rede, von kollabierenden Sozialsystemen und dramatischem Fachkräftemangel. Die Probleme sind drängend, nicht erst seit gestern. Mahner fordern schon lange grundlegende Veränderungen, um mit dem Problem fertig zu werden. Die Bundesregierung widmet dem Thema nun einen ihrer vielen Gipfel. Und tut vor allem eins: reden.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich ist im Kabinett für das Thema Demografie zuständig. Der CSU-Mann hat zu dem Gipfel eingeladen. Einige Kabinettskollegen sind da, dazu Landesminister, Staatssekretäre, Gewerkschafter, Wissenschaftler, Vertreter von Verbänden und Kommunen. Einen Tag lang tummeln sie sich in einem Berliner Konferenzzentrum und diskutieren, wie Deutschland die Überalterung der Gesellschaft bewältigen kann.
Die Arbeitswelt muss sich verändern
Modellrechnungen zufolge wird die Bundesrepublik bis 2060 ein Fünftel seiner Bevölkerung verlieren. Jeder Dritte wird dann 65 Jahre oder älter sein. Wenn nichts passiert, verschwinden in den nächsten 15 Jahren etwa sechs Millionen Menschen vom Arbeitsmarkt. Immer weniger Arbeitende müssen immer mehr Rentner finanzieren. Die Zahl der Schüler wird sich in den nächsten 30 bis 40 Jahren halbieren.
Wie muss sich die Arbeitswelt verändern? Wie kann das Rentensystem die Überalterung verkraften? Wie wird das Gesundheitssystem mit der steigenden Zahl an Pflegebedürftigen fertig? Was passiert mit manchem Dorf auf dem Land – mit Schulen, Arztpraxen und Busverbindungen, wenn dort nur noch eine Handvoll Menschen lebt?
All diese Fragen schweben über dem Konferenzzentrum – und die Frage, ob die Regierung mit ihrem Gipfel nicht etwas spät kommt. Friedrich winkt ab. Ja, die demografischen Veränderungen seien schon seit den 70er Jahren bekannt, räumt er ein und schiebt nach: „Wir beginnen auch nicht bei Null.“ Viel sei schon auf den Weg gebracht, die Regierung habe bereits eine Demografiestrategie vorgelegt – und die müsse nun konkreter gemacht und mit Leben gefüllt werden.
Neun Arbeitsgruppen und eine Blattsammlung
Neun Arbeitsgruppen sollen der Blattsammlung aus dem Frühjahr in den kommenden Monaten Leben einhauchen. Die Kreise präsentieren sich bei dem Gipfel auf dem Podium. Die wohlklingenden Namen der Gruppen: „Motiviert, qualifiziert und gesund arbeiten“ oder „Familie als Gemeinschaft stärken“.
Ursula von der Leyen ist Vorsitzende von gleich zwei Arbeitskreisen. Die CDU-Frau ist bester Laune. Das schwierige Thema Rente, das hier durchaus Platz hätte, bleibt der Arbeitsministerin an diesem Tag erspart. Stattdessen wildert die Ressortchefin mal wieder auf fremdem Terrain und referiert ausführlich über Frauen und Familie. Deutschland müsse das Potenzial der Frauen für den Arbeitsmarkt mehr nutzen, mahnt sie und schaut selig, als eine Dame aus dem Publikum fragt, warum nicht mehr Männer Vätermonate beim Elterngeld übernehmen. „Sie sprechen mir aus dem Herzen“, säuselt sie zurück. Wie das Ziel erreicht werden soll, bleibt offen.
Auch die übrigen Ressortchefs glänzen vor allem mit hehren Zielen: die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärken, mehr für die Ausbildung junger Menschen tun, mehr Fachkräfte aus dem Ausland anlocken, die ländlichen Räume „zukunftsfähig machen“. Ein bisschen schwammig sei das alles, beschwert sich eine Vertreterin des Deutschen Familienverbands. Auch andere, die sich aus dem Publikum zu Wort melden, vermissen Greifbares bei der Debatte.
Merkel wiegelt ab: So schnell geht es nicht
Kommt noch, versichert die Regierung. Die Arbeitsgruppen sollen bis zum Mai an konkreten Antworten basteln und diese dann auf einem weiteren Gipfel vorstellen. Deutschland steckt dann mitten im Wahlkampf. Die Aussichten, dass irgendein Plan aus den Arbeitskreisen dann noch umgesetzt wird, sind eher bescheiden.
So schnell könne es auch nicht gehen, wiegelt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ab, als sie zum Abschluss des Gipfels redet. Der demografische Wandel bringe ähnliche Veränderungen mit sich wie die Globalisierung. Die Aufgabe sei beachtlich und deshalb weit über das Ende der Legislaturperiode hinaus angelegt. Und dann verspricht sie, das Thema selbst im Blick zu behalten: „Ich werde im Mai wieder dabei sein und ein Auge darauf haben, wie die Sache läuft.“