Teilnahme eines Gesandten am Ost-Gipfel abgesagt. Die Kanzlerin drohte: Werde mit der deutschen Wirtschaft über Weißrussland sprechen.
Warschau. Mitten im polnischen Wahlkampf hatte Regierungschef Donald Tusk auf eine Sternstunde der polnischen EU-Ratspräsidentschaft gehofft. Der Gipfel zur Ostpartnerschaft sollte die Aufmerksamkeit endlich wieder auf die Region richten, als dessen Fürsprecher sich Polen traditionell sieht – und auf die Lage der Menschenrechte. Doch erst ließen sich mehrere wichtige EU-Politiker nur vertreten, dann brüskierte Weißrussland mit seiner Gipfel-Absage die Gastgeber. Um so mehr drängte Tusk auf demokratische Reformen im Osten.
Für den aus der Bürgerrechtsbewegung stammenden Tusk ist es keine Worthülse, wenn er am Freitag zum Gipfelabschluss sagte: „Europäische Standards – das ist vor allem der Respekt der Menschen- und Bürgerrechte.“ An diesen Standards werde auch die europäische Perspektive der osteuropäischen Nachbarn gemessen – und die wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung.
Angesichts der Euro-Krise hielt sich das Interesse mehrerer europäischer Schwergewichte an dem Gespräch mit den Osteuropäern jedoch in Grenzen. Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy ließ sich ebenso vertreten wie der britische Premierminister David Cameron. Bundeskanzlerin Angela Merkel dagegen nahm sich nicht nur Zeit für den Gipfel, sondern auch für weißrussische Oppositionelle, mit denen sie in der Nacht zu Freiag zusammentraf.
Als „Zeichen der Anerkennung und Unterstützung“ für die demokratische Bewegung wertete der ehemalige Präsidentschaftskandidat Ales Michalewitsch die Begegnung. Merkel habe nicht nur zugehört, sondern sich auch für praktische Lösungen interessiert, sagte der Regimekritiker. Der Sprecher der weißrussischen Opposition in Polen, Ales Zarembiuk, zeigte sich nach dem Gipfel optimistisch. „Es gibt einen konkreten europäischen Plan, das ist gut“, sagte er. Gleichzeitig riet er aber zur Vorsicht: „Lukaschenko hat immer wieder betrogen, die EU soll sich nicht noch einmal ans Licht führen lassen“.
Schon vor dem offiziellen Gipfelbeginn herrschten nicht nur herbstliche Temperaturen, sondern frostige Stimmung zu Weißrussland. Der mit einem EU-Reiseverbot belegte autoritäre Herrscher Alexander Lukaschenko war zwar nicht eingeladen, doch als Adressat deutlicher Worte stand er von Anfang an im Mittelpunkt des Ostgipfels. „Völlig inakzeptabel“ sei der Umgang des Minsker Regimes mit der Opposition, betonte Bundeskanzlerin Merkel. Alle politischen Gefangenen in Weißrussland müssten unverzüglich freigelassen werden, forderte auch EU-Gipfelchef Herman Van Rompuy.
Die Regierung in Minsk aber schlug zurück. In einer Erklärung des Außenministeriums nannte sie die Haltung der EU einen schweren Bruch der Grundlagen der Ostpartnerschaft. „Partnerschaft darf nicht auf Diskriminierung gründen“, hieß es in der Verlautbarung. Dass sich mehrere hohe Politiker mit Oppositionsvertretern getroffen hatten, wertete Minsk als beispielloses Vorgehen. Nachdem Außenminister Sergej Marinow die Einladung nach Warschau bereits ausgeschlagen hatte, sagte Weißrussland kurz vor Beginn der Gespräche in letzter Minute die Teilnahme seines Warschauer Botschafters ab.
„Wir haben Weißrussland einen Stuhl frei gelassen“, twitterte der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski vom Ostgipfel. Der Boykott der weißrussischen Delegation machte unversehens Oppositionsvertreter wie Michalewitsch zu den einzigen Gesprächspartnern des Landes mit der EU – auch wenn die Oppositionellen nicht am leeren Stuhl auf dem Gipfel Platz nahmen.
Lukaschenko löse seine Probleme auf Kosten des Landes, kommentierte der Oppositionspolitiker Wladimir Nekljajew. „Wenn er verantwortlich handeln würde, hätte er alles daran gesetzt, dass Weißrussland an dem Gipfel teilnimmt.“ (dpa)