Mindestens sieben Tote bei israelischen Luftangriffen im Gazastreifen. Raketen auf Südisrael abgefeuert. Fünf ägyptische Beamte wurden bei Vergeltungsangriffen getötet.

Jerusalem. Einen Tag nach dem schwersten Terroranschlag in Israel seit drei Jahren haben sich die israelischen Streitkräfte und militante Palästinenser einen militärischen Schlagabtausch geliefert. Bei Angriffen der israelischen Luftwaffe im Gazastreifen wurden laut palästinensischen Angaben am Freitag mindestens sieben Menschen getötet, darunter zwei Kinder im Alter von drei und 13 Jahren. Palästinensische Extremisten feuerten aus dem Gazastreifen mindestens zehn Raketen auf Israel ab. Dabei wurden in der Hafenstadt Aschdod sechs Israelis verletzt.

Mit den Luftangriffen reagierte Israel auf die tödlichen Anschläge am Donnerstag im Süden des Landes. Dabei waren acht Israelis getötet worden. Die Regierung in Jerusalem machte dafür Extremisten aus dem Gazastreifen verantwortlich, die über Ägypten ins Land gelangt seien. Die Anschläge seien von den Volkswiderstandskomitees verübt worden. Ziel sei gewesen, Zivilpersonen oder Soldaten zu entführen, hieß es.

De Luftangriffe richteten sich nach Militärangaben gegen eine Waffenfabrik sowie Tunnel von Schmugglern im Süden des Gazastreifens. Bei einem Angriff wurden nach Angaben von Sicherheitsbeamten der Hamas fünf Mitglieder der Volkswiderstandskomitees getötet. Unter den Todesopfern sei auch der Anführer der Gruppe gewesen. Ein Sprecher der Widerstandskomitees wollte sich nicht dazu äußern, ob die Gruppe hinter dem Anschlag vom Donnerstag stand. Er kündigte jedoch Vergeltung für den Tod der fünf Männer im Gazastreifen an.

Am Donnerstag waren bei Vergeltungsangriffen der israelischen Streitkräfte auf Extremisten im Gazastreifen auch fünf ägyptische Sicherheitsbeamte ums Leben gekommen, wie am Freitag bekannt wurde. Ein Gewährsmann im ägyptischen Innenministerium sagte, drei Beamte seien sofort tot gewesen und zwei weitere am Freitag ihren Verletzungen erlegen. Noch sei nicht klar, wer die Männer erschossen habe, höchstwahrscheinlich seien sie jedoch ins Kreuzfeuer geraten, als israelische Soldaten im Gazastreifen auf Extremisten geschossen hätten.

Die Regierung in Kairo protestierte am Freitag offiziell gegen den Tod der Beamten und rief Israel zu Ermittlungen auf, wie die amtliche ägyptische Nachrichtenagentur MENA meldete. Die israelischen Streitkräfte erklärten am Freitag, bei dem Gefecht seien sieben Extremisten getötet worden. Nähere Angaben wurden nicht gemacht.

Palästinensische Extremisten feuerten Raketen auf die Städte Aschkelon und Aschdod. Eine davon wurde von dem neuen israelischen Raketenabwehrsystem «Iron Dome» abgefangen, wie die Militärführung mitteilte. Eine weitere traf eine Synagoge in Aschdod.

Die Sicherheitskräfte in Israel wurden vor dem dritten Freitagsgebet im islamischen Fastenmonat Ramadan in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Der Zugang zum Tempelberg wurde für Palästinenser eingeschränkt. Später kam es zu einem Handgemenge zwischen Polizisten und mehreren Dutzend Palästinensern, die zur Al-Aksa-Moschee gelangen wollten. Die Polizei setzte einen Wasserwerfer ein, um die Menge zu zerstreuen, und nahm mehrere Personen fest. Berichte über Verletzte gab es nicht.

Der aktuelle Kommentar des Hamburger Abendblattes

Könnten Sie sich vorstellen, in einer Stadt zu leben, in der fast jeden Tag irgendwo ein tödlicher Hagel aus Raketen niedergeht? In der jede Bushaltestelle zum Bunker ausgebaut ist, da die Vorwarnzeit bis zum Einschlag oft nur 15 Sekunden beträgt? In der Schulen bevorzugte Raketenziele darstellen und Sie nie wissen, ob Sie ihr Kind am Nachmittag wiedersehen? Nun, Zehntausende Israelis leben in solchen Städten. Unter Verdrängung einer lähmenden Todesangst, die unterschwellig die Seele auffrisst. Rund 400 Raketenangriffe hat Israels Süden allein seit Jahresbeginn ertragen müssen. Die jüngste Serie stellt zusammen mit den vier Terroranschlägen am Donnerstag, denen acht Israelis, darunter Kinder, zum Opfer fielen, eine neue Eskalationsstufe im nahöstlichen Dauerdrama dar.

Es ist kein Zufall, dass diese Verschärfung der Lage zeitlich mit der vor sich hin schwelenden Revolution in Ägypten korreliert. Der gestürzte Pharao Mubarak war fraglos ein Despot, zugleich aber ein verlässlicher Friedenspartner Israels. Seine Nachfolger sind es nicht. Der „Kairoer Frühling“ mit neuen, noch israelfeindlicheren Akteuren stellt die ganze Sicherheitsarchitektur der Region infrage. Der jüdische Staat steht vor der Herausforderung, ein völlig neues strategisches Konzept erarbeiten zu müssen. Und dies wird ausgerechnet in einer Zeit notwendig, in der die Solidarität der Israelis mit ihrer Führung erstmals einer starken Belastung ausgesetzt ist. Die Grenzkontrollen der Ägypter zum Gazastreifen, wo die radikalislamische Hamas herrscht, sind mittlerweile derart nachlässig, dass Terroristen dort nun nicht mehr nur selbst gebasteltes Schießzeug wie die berüchtigte „Kassam“-Rakete einsetzen, sondern problemlos sogar veritable Kurzstreckenraketen vom russischen Typ „Grad“ einschmuggeln können. Damit geraten weitere 120.000 israelische Bürger in die Reichweite ihrer erbittertsten Feinde.

Das kleine Land, das von einem Jet in wenigen Minuten überflogen werden kann, muss sich gegen diese neue Bedrohung zur Wehr setzen. Doch Israel, das sich schon hinter Schutzmauern und den Raketenabwehrschirm „Eiserne Kuppel“ ducken muss, erlebt zähneknirschend, dass sich die Welt stets nur dann empört, wenn es zurückschlägt. Von der Eskalation profitieren die Hardliner beider Seiten. Israels Premier Benjamin Netanjahu zum Beispiel, der nicht im Verdacht steht, allzu bereitwillig mit den Palästinensern Frieden schließen zu wollen. Die Terrorwelle schweißt sein entsetztes Volk zusammen und nimmt kurzfristig den größten sozialpolitischen Druck von seiner Regierung. Dass israelische Spezialeinheiten die Mörder liquidieren, ist nachvollziehbar. Doch der alte Reflex, danach noch Luftangriffe im Gazastreifen fliegen zu lassen, wobei immer wieder auch palästinensische Zivilisten ums Leben kommen, ist ebenso töricht wie sinnlos, weil er nur noch mehr Hass sät, aber die Terroristen keineswegs beeindruckt.

Dann die Hamas, die nie von ihrem erklärten Ziel abgewichen ist, den Staat Israel zu vernichten, und die den vergleichsweise liberalen Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas entmachten will. Und andere, womöglich noch radikalere Terrorgruppen, die sich nun in Ägypten, der Heimat der Muslimbruderschaft, ungehindert formieren können. Schließlich die Gegner Israels in der neuen Kairoer Führungsebene. Ägypten gerät allmählich in den Verdacht, Israels Todfeinden zumindest passive Unterstützung zu gewähren. Die arabische Revolution von Tunesien bis Bahrain hatte viele Hoffnungen geweckt, dass sie, ähnlich wie die Tyrannendämmerung in Europa um 1990, zu Frieden und mehr Demokratie führen würde. Stattdessen wird sie zunehmend zu einer Bedrohung für die einzige echte Demokratie der ganzen Region: Israel.

(dapd/abendblatt.de)