Die AKW-Betreiber stellen Zahlungen für grüne Energien infrage. Sie wollen nicht weiter in Fonds zur Förderung erneuerbarer Energien einzahlen.
Berlin/Brüssel. Angesichts der Debatte über einen Atomausstieg hat Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) gestern Eckpunkte für den Ausbau von Stromnetzen vorgelegt. Brüderle sagte am Rande von Beratungen der EU-Energieminister in Brüssel, für einen ehrgeizigen Ausbau der erneuerbaren Energien würden etwa 3600 Kilometer neue Leitungen benötigt. "Der Netzausbau steht ganz oben auf meiner Agenda", betonte er. Auch den Ausbau von Offshore-Windkraftanlagen sowie von Speicheranlagen will Brüderle vorantreiben. Angesichts der Größe des Vorhabens forderte FDP-Generalsekretär Christian Lindner in Berlin "eine Art Mondfahrprogramm" für eine Energiewende.
Brüderle räumte ein, dass die deutsche Wende in der Energiepolitik nicht bei allen EU-Partnern auf Begeisterung stößt, aber "hier muss sich die Vernunft durchsetzen", sagte der Minister. "Man muss den Vorschlägen von Herrn Oettinger geschlossen und schnell folgen." Der deutsche EU-Energiekommissar Günther Oettinger hatte verbindliche Stresstests für alle 143 Atomkraftwerke in EU-Staaten gefordert. Diplomaten kritisierten allerdings, dass bisher niemand wisse, wie diese Stresstests funktionieren sollten. Österreichs Wirtschafsminister Reinhold Mitterlehner sagte, es gebe "bis jetzt keine einheitliche Linie" für die Tests. So sei etwa strittig, ob das Alter der Anlagen als Kriterium aufgenommen werde. "Alle europäischen Minister streben einen gemeinsamen europäischen Standard zur Sicherheit und für die Minimierung von Risiken an", betonte dagegen Oettinger. Deshalb werde die Kommission einen Prüfkatalog entwickeln. Die Tests sollen freiwillig sein, da die EU eigentlich nicht zuständig ist. Selbst in Deutschland herrscht offenbar keine Einigkeit darüber, wie die Sicherheitsüberprüfungen der Atommeiler ablaufen sollen, die die Bundesregierung für die kommenden drei Monaten angekündigt hat.
Wegen der staatlich angeordneten Abschaltung älterer Atomkraftwerke wollen die AKW-Betreiber ihre Zahlungen in den Fonds zur Förderung der erneuerbarer Energien vorerst einstellen. Das berichtete gestern die "Süddeutsche Zeitung" unter Berufung auf Unternehmensangaben. "Wir zahlen nur für Reaktoren, die laufen", zitierte das Blatt einen führenden Mitarbeiter eines der großen Energiekonzerne. "Wir prüfen aktuell, inwieweit sich die geänderten Umstände auf die Leistung der Förderbeiträge auswirken", sagte demnach auch ein Sprecher des Atomkraftwerk-Betreibers Vattenfall. Im Gegenzug zur Laufzeitverlängerung hatten die Betreiber der Atommeiler in einem Vertrag Zahlungen zur Förderung erneuerbarer Energien zugesagt. Die Bundesregierung pocht auch weiterhin auf diesen Zahlungen.
Der Saarbrückener Energieexperte Uwe Leprich gibt ihr darin recht. "Meiner Ansicht nach müssen die Betreiber von Atomkraftwerken auch dann weiter in den Fonds für erneuerbare Energien einzahlen, wenn die Kraftwerke wegen der Sicherheitsüberprüfungen stillstehen", sagte Leprich dem Hamburger Abendblatt. Die Menge an Atomstrom, die jetzt nicht produziert werde, werde später nachgeholt. Laut Atomvertrag aber müssten die Atomkraftbetreiber ab 2016 weniger für die eingespeiste Megawattstunde zahlen. "Das heißt: Je länger sie die Zahlungen hinauszögern würden, desto billiger kämen sie später davon", sagte Leprich.
Die Grünen legten ein Konzept vor, das die Abschaltung des letzten deutschen Atomkraftwerks bis 2017 vorsieht, vier Jahre früher als im früheren rot-grünen Atomkonsens vorgesehen. Demnach soll zunächst allen Altreaktoren die Betriebserlaubnis entzogen werden. Die Laufzeiten für die übrigen AKWs sollen später parallel zum forcierten Ausbau erneuerbarer Energien verkürzt werden. Die Umweltorganisation Greenpeace forderte ein Gesetz zur verbindlichen Laufzeitverkürzung. Atomkraftgegner riefen für den Abend in zahlreichen deutschen Städten zu Mahnwachen auf.