Drei Soldaten sind tot, die Truppe ist geschockt. General Fritz spricht von einem Amoklauf. Dennoch sei das Partnering die richtige Methode.
Potsdam/Kundus/Masar-i-Scharif. Ein deutscher Offizier in Nordafghanistan beschreibt die Stimmung in der Truppe als „traurig und gereizt“, ein Unteroffizier nennt sie „angeschlagen“. Der Angriff vom Freitag, als ein afghanischer Soldat auf dem Außenposten Nord (OP North) in der Provinz Baghlan unvermittelt das Feuer eröffnete und drei Deutsche tötete, hat die Truppe tief schockiert. Dennoch sagen viele Soldaten, die enge Zusammenarbeit mit der afghanischen Nationalarmee (ANA) müsse weitergehen – selbst wenn das sogenannte Partnering tödliche Gefahren wie den jüngsten Anschlag birgt. Dass diesmal nicht die Taliban – also der erklärte Feind -, sondern ein vermeintlicher Verbündeter Deutsche tötete, macht die Tat besonders erschütternd. Die Opfer kannten ihren Mörder vom Sehen. Er war nach Angaben der Bundeswehr erst 20 Jahre alt und verrichtete seinen Dienst auf dem OP North, den deutsche und afghanische Soldaten gemeinsam halten. Der junge Attentäter stammte aus Südafghanistan, wo die Taliban besonders stark sind. Und er hatte früher Zeit in Pakistan verbracht, von wo aus die Aufständischen ihre Kämpfer in Afghanistan steuern. Allerdings soll er seinen Pakistan-Aufenthalt beim Eintritt in die Armee freiwillig gemeldet haben.
Zu seiner Motivation wird der Täter selbst nichts mehr sagen können, er wurde bei dem Anschlag erschossen. Die Taliban haben sich diesmal ausdrücklich nicht zu der Tat bekannt. Das ist umso bemerkenswerter, als die Aufständischen sonst für jeden Anschlag die Verantwortung übernehmen, bei dem ausländische Soldaten sterben. Nun sagte einer ihrer Sprecher, der Angreifer sei nicht aus ihren Reihen gekommen. Der Verdacht liegt nahe, dass die Taliban ein Signal aussenden wollen: dass sogar Soldaten der Regierungsarmee die Ungläubigen so sehr hassen, dass sie sie erschießen.
Generalmajor Hans-Werner Fritz will eine Spaltung zwischen einheimischen und ausländischen Truppen auf keinen Fall zulassen. Der ranghöchste deutsche Bundeswehrvertreter am Hindukusch kommandiert die Internationale Schutztruppe Isafin Nordafghanistan. Er sitzt im Camp Marmal in Masar-i-Scharif, von wo aus die Soldaten auf den OP North ausrückten. "Glaube keiner, dass wir uns kleinkriegen lassen“, sagt er nach der Tat. "Unsere Botschaft ist: Kein Taliban, der diese jungen Menschen antreibt, die diese Taten begehen, sollte davon ausgehen, dass wir einen Keil zwischen die ANA und die Bundeswehr und die Isaf treiben lassen.“ Gemeinsam mit ANA-General Salmay Wesa flog Fritz sofort nach dem Angriff auf den OP North. Die Soldaten seien "am Boden“ und "todtraurig“ gewesen, sagt Fritz am Sonntag, er ist selber sichtlich mitgenommen. Gerade hat er die sechs Verletzten des Angriffs und einen Verletzten eines weiteren Anschlags zum Flugzeug begleitet, das sie in die Heimat bringt. „Wissen Sie, ich habe selbst einen Sohn von 25 Jahren, der dieser Armee als Offizier dient. Und wenn Sie die Jungs da liegen sehen, dann gehen Ihnen viele Dinge durch den Kopf.“ Er verstehe, dass in der Heimat nach dem Anschlag kritische Fragen zum Partnering gestellt würden, sagt Fritz. Auch könne niemand garantieren, dass sich eine solche Tat wie die vom Freitag nicht wiederholt. Er sei dennoch unverändert überzeugt: "Es gibt zum Partnering keine Alternative.“
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Das Partnering – bei dem einheimische und ausländische Soldaten gemeinsam agieren – ist ein Kernelement bei dem Vorhaben der Staatengemeinschaft, den Afghanen bis 2014 schrittweise die Verantwortung zu übergeben. Die Kooperation mit den professionellen ausländischen Truppen soll die junge Armee und die Polizei zunehmend dazu befähigen, selber für Sicherheit zu sorgen. Ein Ende der Strategie könnte den Termin 2014 ins Wanken bringen. Hauptmann Jörg H. ist Feldjäger in Masar-i-Scharif und arbeitet eng mit afghanischen Polizisten und Soldaten zusammen. "Die Strategie ist gut und richtig und hat Erfolge gezeigt“, sagt auch er. "Ich bin fest davon überzeugt.“ Die Zusammenarbeit mit den afghanischen Partnern sei durchweg gut. "Ich habe in sie nicht das Vertrauen wie in Freunde und Familie“, sagt er. "Aber im Arbeitsbereich vertraue ich ihnen. Ich kann mich auf die verlassen.“
Zwar sind die Deutschen nicht die ersten Ausländer, gegen die Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte die Waffe erheben - unter anderem starben schon Briten und Amerikaner. Ein Trend lässt sich daraus aber kaum ablesen: Angesichts von inzwischen 152.000 ANA-Soldaten und 119.000 afghanischen Polizisten erscheint die Zahl der Vorfälle doch gering. Das gilt erst recht vor dem Hintergrund eines Landes wie Afghanistan, in dem seit mehr als 30 Jahren Krieg herrscht – und in dem Gewalt zum Alltag gehört. General Fritz geht nicht davon aus, dass das Vertrauen zur ANA durch den Anschlag grundsätzlich gestört ist. "Für mich, für uns ist die ANA ein verlässlicher Partner“, sagt er. Auch seine Soldaten wüssten die Tat "sehr wohl einzuordnen“. Sie seien zwar nachdenklich. "Was ich aber nicht festgestellt habe, ist, dass unsere Soldaten Hass auf die Afghanen haben – ganz sicher nicht.“