Die Kampagnen gegen sexuelle Enthaltsamkeit sind out. Latinas und Afroamerikanerinnen haben die meisten Teenager-Geburten.
Hamburg/Washington. Was jahrelange Kampagnen für sexuelle Enthaltsamkeit nicht geschafft haben, schafft offenbar die Wirtschaftskrise: Teenager-Schwangerschaften in den USA haben in nur einem Jahr um sechs Prozent abgenommen. Die Zahl der Schwangerschaften bei 15- bis 19-jährigen Mädchen fiel im Jahr 2009 auf 39,1 pro 1000 Teenager, während sie im Vorjahr 42,5 betragen hatte. Damit ist nun der niedrigste Stand seit Beginn der Erhebungen im Jahr 1940 erreicht, teilte die Nationale Behörde für Gesundheitsstatistik mit.
Über die Gründe für den Rückgang wird heftig gestritten. Experten halten es für wahrscheinlich, dass die Wirtschaftskrise seit 2007 auch das Risikoverhalten von Teenagern beeinflusst habe. Zwar hätten Jugendliche noch keinen volks- oder marktwirtschaftlichen Blick auf die Zukunft, sagte Sarah Brown, Geschäftsführerin der „National Campaign to Prevent Teen and Unplanned Pregnancy“, der „Washington Post“. „Aber ich glaube, dass sie in ihren Familien auf den größeren ökonomischen Stress reagieren, dass sie Nachbarn erleben, die ihren Job verloren haben. Die Rezession berührt uns alle.“
Dabei sind Teenagerschwangerschaften in den USA geografisch unterschiedlich verteilt, wie die Erhebung der Statistikbehörde zeigt. Die höchsten Zahlen – über 60 Geburten pro 1000 Teenager – gibt es in den Südstaaten Mississippi, New Mexico, Texas und Arkansas; auch in Georgia, Louisiana und Tennessee sind es noch mehr als 50 pro Tausend. Die wenigsten Teenager werden im Nordosten schwanger. In Neuengland – etwa in den Bundesstaaten New Hampshire, New York, Vermont, Maine – liegen die Raten mit 20 Geburten auf 1000 Mädchen deutlich unter dem US-Durchschnitt von 39,1.
Die größte Gruppe schwangerer Teenager stellen junge Hispanierinnen. Bei ihnen ist die Rate der Teenager-Geburten mit 81,8 pro 1000 Mädchen fast dreimal so hoch wie bei weißen Teenagern (27,7), teilte das US-Department für Gesundheit und Soziales mit. Die zweitgrößte Gruppe bilden junge Afroamerikanerinnen (64,2 Geburten pro 1000 Mädchen). Sie stellen im Südosten und im nördlichen Mittelwesten – Minnesota, Nebraska, Wisconsin, Illinois – die Mehrheit unter den Teenagermüttern.
Den höchsten historischen Stand an Teenagerschwangerschaften hatten die USA vor rund 50 Jahren verzeichnet: 1957 wurden 96 von 1000 minderjährigen Mädchen schwanger. Der allgemeine Geburtenrückgang nach der Pille machte sich auch bei Minderjährigen bemerkbar: Mitte der 1980er-Jahre war die Zahl auf rund 50 abgefallen. Dass sie um 1990 wieder deutlich auf über 60 anstieg, sorgte für immense sozialpolitische Kontroversen. Zwar nahmen Teenagerschwangerschaften über zehn Jahre weiter ab, aber 2005 und 2006 stiegen die Zahlen wieder leicht an.
Zum Gesellschaftsthema wurde das vermeintliche Nischen- und Armenproblem 2007 mit der kanadisch-amerikanischen Filmkomödie „Juno“, die für vier Oscars nominiert wurde. Ein Jahr später präsentierte die republikanische Präsidentschaftskandidatin Sarah Palin ihre schwangere 16-jährige Tochter Bristol. Eine erfolgreiche TV-Reality-Show – „16 and Pregnant“ – zeigt das Gefühlsleben schwangerer Teenager seit 2009 in einem ganz und gar nicht idealisierten Licht. Amerika muss hinsehen: Immer noch entfallen heute zehn von hundert Geburten auf minderjährige Mütter.
Damit ist die Rate in den USA höher als in allen anderen entwickelten Staaten. In der Europäischen Union ist die Geburtenrate bei den unter 18-Jährigen seit zwei Jahrzehnten generell zurückgegangen. Nach letzten EU-Erhebungen 2007 sind es je nach Land zwischen 12 und 25 Geburten pro 1000 Mädchen; in Deutschland 16. Die häufigsten Teenagerschwangerschaften verzeichnet Großbritannien.
Dutzende Programme wurden von Bundesbehörden, Schulen und Vereinen aufgelegt, um zu verhindern, dass Teenager zu früh Eltern werden und ihre Ausbildung abbrechen. Der republikanische Präsident George W. Bush investierte 1,5 Milliarden Dollar in Programme, die Jugendliche dazu bringen sollten, enthaltsam zu bleiben. Die ihn stützenden konservativ-christlichen Kreise lehnen Sexualaufklärung in den Schulen weitgehend ab, vor allem dann, wenn dabei auch über Verhütungsmittel informiert wird.
Ein anderer Teil der Eltern, Sozialarbeiter und Pädagogen fordern moderne Aufklärungskampagnen, die Teenager in Zeiten von Aids gerade auch mit Kondomen und Pille vertraut machen sollen. Präsident Barack Obama hatte im Wahlkampf versprochen, nur noch solche Programme zu fördern, die tatsächlich „wirksam“ seien. Unter seiner Administration fließen 110 Millionen Dollar in mehr als 115 Projekte. Kritiker werfen ihm allerdings vor, dass knapp zehn Millionen Dollar davon immer noch ineffektiven Abstinenz-Initiativen zugute kämen. Der Kampf der NGOs um Bundesgelder ist in vollem Gange.
Nach der Erhebung der Gesundheits- und Statistikbehörden ist nicht nur die Zahl der Teenagerschwangerschaften rückläufig: Rund 4,1 Millionen Babys wurden 2009 in den USA geboren, fast drei Prozent weniger als 2008. Es ist der zweite leichte Rückgang in Folge, nachdem die Geburtenzahl ab dem Jahr 2000 etwas gestiegen war. Demnach sind die der 25- bis 29-jährigen Amerikanerinnen weiterhin die größte Gruppe unter den Müttern, gefolgt von den 30- bis 34-jährigen. Bei beiden Gruppen gingen die Geburtenzahlen zurück, am stärksten aber mit minus sieben Prozent bei den 20- bis 24-jährigen. Als einzige Gruppe wuchs die der Mütter über 40 – um drei Prozent. Auch sie sorgen jetzt – wie die Teenager – für einen Anteil von zehn Prozent aller Geburten.