Die Querelen um den Parteikurs kommen für die SPD zur Unzeit. Die Parteiführung wollte auf friedliche Monate zurückblicken.

Berlin. Die letzte Vorstandssitzung in diesem Jahr sollte eigentlich harmonisch verlaufen. Am kommenden Montag wollten die SPD-Spitzen in Berlin zufrieden zurückblicken auf friedliche Monate und motiviert nach vorn mit der Hoffnung auf Wahlsiege 2011. Eine Partei, die mit sich im Reinen ist - so wollte die SPD sich gern sehen so kurz vor Weihnachten.

Nun ist alles anders gekommen. Am Montag wird es einigen Klärungsbedarf geben. Die Stimmung ist gereizt. Seit Tagen muss das Willy-Brandt-Haus dabei zusehen, wie Spitzengenossen mit unverhohlener Kritik an der SPD-Führung, mit bizarren Vorschlägen und verschärften Richtungsdebatten den Parteifrieden zerstören. Wie verärgert die Führung ist, konnte man am Dienstag am besten an der Wortmeldung des SPD-Fraktionschefs Frank-Walter Steinmeier ablesen. "Mit mir als Fraktionsvorsitzendem wird es keine Streichung eines Anteils des Kindergeldes geben. Ebenso wird es mit mir als Fraktionsvorsitzendem keinen Steuersatz von 60 Prozent geben", sagte er. Es war ein Machtwort, welches man vom stets auf Ausgleich bemühten Steinmeier eher selten hört. Und es war die klare Antwort auf die radikalen Forderungen aus Reihen des SPD-Vorstands, die zum Beginn der Woche gestellt worden waren: Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel hatte einen Spitzensteuersatz von bis zu 60 Prozent verlangt.

Nahezu gleichzeitig hatten die Sprecher der Linken und Rechten in der Partei, Björn Böhning und Garrelt Duin, gemeinsam eine Kürzung des Kindergelds um 30 Euro gefordert, damit mehr Geld für Kinderbetreuung und Ganztagsschulen zur Verfügung stehe. Dabei hatte sich die Partei gerade erst vom Thesenpapier des Seeheimer Kreises erholt, in dem die SPD-Konservativen festgestellt hatten: "CDU und Grüne bestimmen die politischen Diskussionen, die SPD kommt kaum vor, ist und wird nicht gefragt. Das ist kein Zufall." Die SPD stecke in einer schweren Identitätskrise. Die Partei spiele auf Zeit und feile an Formelkompromissen - "mit dem Erfolg, dass die Partei unkenntlich geworden ist, dass sie mal hü und mal hott zum selben Thema sagt". Parteichef Sigmar Gabriel hatte da noch betont gelassen reagiert: Er sei "ganz froh", dass damit eine Debatte über die zukünftige Ausrichtung der SPD in Gang gesetzt werde. Das sei "richtig und gut". Die Partei müsse sich schließlich mit der Frage beschäftigen, "was wir falsch gemacht haben".

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles musste sich am Dienstag schon mächtiger zusammenreißen, um nicht unwirsch zu werden. Sie sei nicht der Meinung, dass da Wegweisendes bisher vorgetragen worden sei.

Und Gabriel? Er schwieg diesmal. Die Stimmung verbesserte er damit auch nicht. Andere sahen dem Treiben zuerst schweigend zu. Nun sind auch sie sauer. Einen internen Krach so kurz vor dem für die Partei so lebens-, wenn nicht gar überlebenswichtigen Wahljahr 2011 halten sie für das Dümmste, was man innerhalb der erweiterten SPD-Spitze hätte anstellen können. "Schnellschüsse, dünne Papiere und knackige Interviews kann jeder. Aber damit stößt man in der SPD nicht auf Zustimmung", hielt Präsidiumsmitglied Ralf Stegner der Kritikerriege im Abendblatt-Gespräch gestern vor. Der schleswig-holsteinische SPD-Bundestagsabgeordnete Sönke Rix ist vor allem über den Zeitpunkt der neu entfachten Debatten um Kurs und Korrekturen entsetzt. "Es ist völlig klar, dass wir an neue Fragen herangehen müssen. Und dass wir uns dabei auch mal streiten, gehört dazu. Dies aber jetzt zu tun stört und nervt", sagte Rix dem Abendblatt.

Nun streitet die SPD darüber, ob es klug ist, jetzt zu streiten. Je näher das neue Jahr rückt, desto nervöser werden die Sozialdemokraten. In Hamburg träumen sie vom Wahlsieg und trauen zugleich den guten Umfragewerten in der Hansestadt nicht. Und bei den weiteren Wahlen hat die SPD vor allem viel zu verlieren. In Sachsen-Anhalt kann sie hoffen, wieder Juniorpartner einer Großen Koalition zu werden, in Rheinland-Pfalz muss Kurt Beck eine absolute Mehrheit verteidigen, in Baden-Württemberg könnte die SPD nur drittstärkste Kraft hinter CDU und Grünen werden - am Ende sogar als Junior einer grün-roten Koalition. In Berlin droht Klaus Wowereit eine Niederlage gegen Renate Künast, in Mecklenburg-Vorpommern könnte die CDU Erwin Sellering schlagen, und in Bremen muss die SPD womöglich neben den Grünen auch die Linke mit ins Boot holen. Keine entspannten Aussichten. Der Bundestrend führt die SPD in den Umfragen mehr in Richtung 20 als 30 Prozent. Und die Grünen liegen fast gleichauf.

Vor allem Hamburg sei nach dem Ende von Schwarz-Grün ein Pflichtsieg für Olaf Scholz, heißt es nun in der Partei. Für einen Sieg brauche man aber dringend ein schärferes Profil, sagen dieselben Genossen. Die meisten wollen jetzt nur Ruhe bis zum 20. Februar. "Angesichts der Situation in Hamburg, wo wir endlich Rückenwind haben, sollte sich der eine oder andere mit öffentlicher Kritik an der Parteispitze zurückhalten. Erst recht, wenn er dazugehört", schimpft der Abgeordnete Rix. Schleswig-Holsteins SPD-Chef Stegner will dem Streit etwas Positives abgewinnen. "Dass jetzt bei einigen eine gewisse Ungeduld da ist, ist verständlich. Alle wollen, dass es für die Partei nach vorn geht. Wir wollen Wahlen gewinnen", sagt er. Stegner weiß, dass die SPD jetzt viel Optimismus braucht.