Über Versicherungskosten soll Vermögen eines Patienten entscheiden. Nahles: “Wir setzen auf eine Mischfinanzierung von Beiträgen und Steuern“.
Berlin. Wenige Tage vor der Bundestagsabstimmung zur Gesundheitsreform will die SPD mit einem erneuerten Konzept einer Bürgerversicherung in die Offensive gehen. Das Konzept soll am Montag im Parteipräsidium verabschiedet werden. Der Vorschlag sieht nach Informationen des Hamburger Abendblatts vor, dass die Finanzierung der Krankenversicherung nicht mehr allein durch lohnabhängige Beiträge erbracht wird, sondern auch über Steuern. Auch das Vermögen eines Patienten soll über dessen Versicherungskosten entscheiden.
"Wir wollen die Finanzierung des Gesundheitswesens vom reinen Beitragssystem befreien und setzen auf eine Mischfinanzierung von Beiträgen und Steuern", kündigte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles im Hamburger Abendblatt an. "Nicht nur Erwerbseinkommen, sondern auch Einkommen aus Vermögen sollten an der Krankenversicherung beteiligt werden", so Nahles weiter. "Wir halten diesen Schritt für notwendig, weil die Einkommen aus Gehältern und die Einkommen aus Vermögen seit Jahren immer weiter auseinander klaffen", erläuterte die Generalsekretärin den Reformvorschlag. Sie betonte: Wenn sich die Einnahmebasis erweitere, dann bringe das eine Entlastung bei den Beiträgen. "Aber Einnahmenverbreiterung heißt nicht gleich Ausgabensteigerungen. Wir sehen auch noch Effizienzreserven im System."
Nahles machte zudem deutlich, dass das Gesundheitswesen gerechter und solidarischer werde, "wenn alle in eine Bürgerversicherung einzahlen". Das Konzept, das eine Projektgruppe unter der Leitung der Generalsekretärin erarbeitet hat, sieht daher auch vor, das Krankenversicherungssystem zu vereinheitlichen. "Niemand soll aufgrund seines Versicherungsstatus als Privat- oder Vorkassepatient bevorzugt behandelt werden", heißt es entsprechend in dem Papier.
Bei einer Bürgerversicherung müssten die Privaten Krankenversicherungen ihr Geschäftsmodell demnach verändern. "Wir wollen die Privaten in einen gemeinsamen Versicherungsmarkt einbinden und eine einheitliche Vergütungsordnung einführen", so Nahles. Das sei rechtlich auf jeden Fall möglich. "Noch immer werden Privatversicherte im Wartezimmer bevorzugt", kritisierte sie. Zehn Prozent der Deutschen seien privat krankenversichert, 90 Prozent gesetzlich.
Diese Spaltung habe erhebliche Folgen, ist Nahles überzeugt. "Bei uns entscheidet nicht die Schwere der Erkrankung, sondern die Versicherungskarte eines Patienten, ob er von einem Spezialisten behandelt wird. Was wir uns da in Deutschland erlauben, ist einmalig." Diese Spaltung bei der Versorgung der Menschen müsse man überwinden. "Deshalb steht die Versorgungsqualität im Fokus der Bürgerversicherung."
Eine Bürgerversicherung sieht die SPD auch in der Pflege vor. Im Konzept heißt es dazu: "Eine kapitalgedeckte, verpflichtende, individuelle Pflegezusatzversicherung lehnen wir ab, da sie die solidarisch finanzierte Pflegeversicherung schwächt und langfristig im Pflegefall zu großer sozialer Ungleichbehandlung führt."
Mit Blick auf die Bundestagsabstimmung über die Gesundheitsreform an diesem Freitag warnte Nahles vor einer Kostenexplosion für die Arbeitnehmer: "Die Bundesregierung verschiebt die Kosten dramatisch zu Lasten der Arbeitnehmer. Das tut sie nicht nur mit dem Einfrieren des Arbeitgeberbeitrags. Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) wolle jetzt sogar die Drei-Klassen-Medizin einführen, "wenn er die Vorkasse für Kassenpatienten einführt". Rösler plane einen Strukturwandel hin zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft und einer weiteren Privatisierung der Versorgung.
Passiert das GKV-Finanzierungsgesetz am Freitag den Bundestag, kommen auf die Versicherten ab 1. Januar 2011 höhere Kosten zu. Der Beitragssatz steigt von 14,9 auf 15,5 Prozent. Der Arbeitgeberbeitrag wird gleichzeitig bei 7,3 Prozent eingefroren. Entfallen wird die bisherige Höchstgrenze von Zusatzbeiträgen auf maximal ein Prozent des beitragspflichtigen Einkommens. In Zukunft sind die Pauschalen unabhängig vom Einkommen zu bezahlen. Wenn der Zusatzbeitrag über zwei Prozent des Bruttoeinkommens hinausgeht, bekommt der Versicherte die Differenz als Sozialausgleich aus Steuern.