Renate Künast ist ungewöhnlich still. Schweigend kennt man die 54-Jährige kaum. Die Grünen-Fraktionschefin nimmt üblicherweise kein Blatt vor den Mund, ist gesprächig bis vorlaut. Dieser Tage aber schweigt Künast beharrlich, taucht ab und lässt ausrichten, noch sei in Sachen Berlin nichts entschieden. Der Rest der Republik ist sich dagegen sicher: Künast wird im Herbst 2011 in Berlin den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) herausfordern und den Versuch machen, grüne Geschichte zu schreiben.
Schon seit Monaten wird über Künasts Wechsel nach Berlin spekuliert. Die Chance ist einmalig. Die Grünen stehen in der Hauptstadt besser da denn je, haben Aussicht stärkste Kraft zu werden und erstmals den Regierungschef zu stellen – oder besser: die Regierungschefin. Künast gab früh den Kurs aus, sich bis November Zeit zum Nachdenken zu nehmen. Davon weicht sie auch jetzt nicht ab - wo ihre Kandidatur so gut wie offiziell ist.
SPD ist nervös
Die Grünen-Politikerin will sich nicht treiben lassen, von den bohrenden Nachfragen der Medien und dem Drängen der Berliner SPD. Wowereit zeigt schon seit Wochen Anzeichen übersteigerter Nervosität. Je länger Künast schweigt und die Umfragewerte nach oben gehen, desto unruhiger wird er. Die SPD hat Künast vorauseilend bereits einen harten Wahlkampf in Aussicht gestellt. Die Grüne dürfte damit aber kein Problem haben.
Künast ist eine Kämpfernatur. Sie kommt aus einem schnörkellosen Elternhaus in Recklinghausen, musste sich schon den Zugang zur Realschule erkämpfen. Die Familie hatte einen Hauptschulabschluss für sie eingeplant. Fertig. Künast war das nicht genug. Sie sattelte die Fachoberschulreife drauf, dann ein Sozialarbeitsstudium und später noch ein Jurastudium. Die Kindheit im Ruhrpott, Sozialarbeit im Knast, später der Einstieg in die männerdominierte Politik grauer Anzugträger – all das hat sie dazu gebracht, sich durchzusetzen und klare Ansagen zu machen.
„Taff“ und manchem ein wenig burschikos
Zurückhaltung ist ihre Sache nicht. Künast steht immer kerzengerade, ist wachsam und jederzeit zum Konter bereit. „Taff„ nennen sie viele. Manch einem kommt sie ein bisschen zu burschikos und forsch daher, ein wenig zu angriffslustig und herbe. Doch in sehr kleiner Runde spart sie sich die Attacke-Haltung, zeigt andere Seiten – einen Tick leiser, weicher, charmanter.
Als Jugendliche – mit 15 – sei sie ziemlich schüchtern gewesen, sagte Künast einmal in einem Interview. Heute glaube ihr das kein Mensch. Die Beschreibung liegt tatsächlich nicht sonderlich nahe. Künast hat beharrlich ihren Weg gemacht, kam über die Anti-Atom-Bewegung zu den Grünen, saß 14 Jahre im Berliner Abgeordnetenhaus, zeitweise als Fraktionschefin. Sie kennt die Stadt, lebt seit mehr als 30 Jahren in Berlin.
Mit dem Aufstieg der Grünen im Bund rückte auch Künast von der Landesebene ins bundespolitische Berlin. 2000 bis 2001 stand sie gemeinsam mit Fritz Kuhn an der Parteispitze der Grünen. Unter Rot-Grün war sie vier Jahre lang Landwirtschaftsministerin im Bund, machte sich unbeliebt bei der Agrar-Lobby und setzte sich hartnäckig für den Verbraucherschutz ein. Seit 2005 ist sie Fraktionschefin der Grünen im Bundestag – erst gemeinsam mit Kuhn, dann mit Jürgen Trittin. Nun will sie wieder zurück auf die Landesebene – aber in die Regierung, nicht auf die Oppositionsbank.
Künast mag das Wort Ehrgeiz nicht
Ihre Pläne sind ambitioniert. Das Wort Ehrgeiz mag Künast aber nicht besonders. Sie spricht lieber von Zielstrebigkeit, von „positivem Druck“ oder Antriebskraft. Daran fehlt es ihr nicht.
Künast hat in Berlin keine schlechten Karten. Sie ist hier fest verwurzelt, lebt zusammen mit einem Strafverteidiger, ist regelmäßig auf dem Wochenmarkt in ihrem Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg zu sehen. Die Grünen-Politikerin fit im „Wahlkämpfen“, findet sich in verschiedenen Milieus zurecht und weiß, wie es mit dem Regieren funktioniert – zumindest in einer Nebenrolle. Die Erfahrung in der Hauptrolle steht noch aus. Die Bewerbungsrede dafür wird Künast aller Voraussicht nach am 5. November halten – bei einem Mitgliederabend der Berliner Grünen. Dann hat die ungewöhnliche Schweigsamkeit ein Ende.