Erste Auszählungen sehen Wladimir Putin als Sieger bei der Präsidenten-Wahl in Russland. Demnach erreicht der amtierende Ministerpräsident rund 61 Prozent der Stimmen.
Moskau/St. Petersburg. Bei der Wahl zum Präsidenten in Russland hat der amtierende Ministerpräsident Wladimir Putin laut ersten Ergebnissen gewonnen. Der 59 Jahre alte Putin kam demnach auf 61,7 Prozent der Stimmen. Das teilte die Wahlleitung nach Auszählung der ersten Stimmen am Sonntagabend mit. In sogenannten Wählernachbefragungen (exit polls) lag Putin bei 59 Prozent. Die vier Mitbewerber um das Amt des Kremlchefs kamen demnach zusammen nicht auf so viele Stimmen, um Putin in die Stichwahl zu zwingen. Der Regierungschef will im Mai zum dritten Mal nach 2000 und 2004 im wichtigsten Staatsamt regieren. Putin ist seit zwölf Jahren an der Macht.
Der neue Präsident wurde das erste Mal gemäß geänderter Verfassung für sechs und damit zwei Jahre länger als bisher gewählt. Putin kann laut Grundgesetz nach seinem Zwischenspiel wieder zwei Amtszeiten als Kremlchef in Folge ableisten, wenn er 2018 noch einmal gewählt würde.
Überschattet wurde die Abstimmung von zahlreiche Berichten über Unregelmäßigkeiten. Unabhängige Wahlbeobachter in Moskau registrierten bis zum Mittag landesweit mehr als 2000 Beschwerden über Manipulationen bei der Wahl. Lilia Schibanowa von der Wahlbeobachtungsorganisation Golos sagte, sie habe Berichte über die sogenannte Karussell-Methode erhalten, bei der Wähler in Bussen zu verschiedenen Wahllokalen gefahren werden und mehrfach ihre Stimme abgeben. Zu wiederholten Stimmabgaben solle es in Moskau, Nowosibirsk und der sibirischen Stadt Barnaul gekommen sein. "Wir haben natürlich mit Karussellen gerechnet, aber nicht in diesem Ausmaß“, schrieb der prominente Oppositionelle und Blogger Alexej Nawalni im Kurznachrichtendienst Twitter.
Bei dieser Methode der Wahlfälschung würden Menschen in Bussen von Wahllokal zu Wahllokal gefahren, erklärte der stellvertretende Direktor von Golos, Grigori Melkonjanz. Sie hätten Armbänder oder Vermerke in ihren Ausweispapieren, anhand derer die Wahlhelfer sie als Karussellwähler erkennen könnten. Sie erhielten dann die Stimmzettel von Bürgern, die erfahrungsgemäß nicht zur Wahl kommen, beschrieb Melkonjanz das Verfahren. Das sei weniger offensichtlich, als die Manipulationen bei der Parlamentswahl. Trotzdem gehe er von massiver Wahlfälschung aus.
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In einigen bei den Parlamentswahlen wegen Unregelmäßigkeiten aufgefallenen Wahllokalen schien die Abstimmung am Sonntag aber regelkonform zu verlaufen.
"Das wird keine ehrliche Wahl, aber wir dürfen nicht nachgeben“, sagte Michail Gorbatschow, der letzte Staatschef der Sowjetunion, bei der Stimmabgabe. Er äußerte sich zuletzt zunehmend kritisch über Putin. Ehrliche Wahlen seien das Motto für die kommenden Jahre, sagte Gorbatschow.
Michail Kasjanow, der dem Präsidentschaftskandidaten Putin einst als Ministerpräsident diente und später in die Opposition ging, sagte: "Diese Wahlen sind nicht frei. Wir werden den Präsidenten nicht als legitim anerkennen.“ Der Oppositionsführer Boris Nemzow sagte: "Das ist keine Wahl, das ist eine Imitation.“
Zudem lagen Berichte über fragwürdige Wählerlisten und nicht funktionierende Webcams vor. Seit der umstrittenen Parlamentswahl im Dezember wurden die mehr als 90.000 Wahllokale in Russland mit Webcams ausgestattet. Aktivisten schulten Zehntausende Russen als Beobachter. Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat Beobachter entsandt.
Putins Anhänger loben vor allem die politische Stabilität, für die er nach den Wirren der postsowjetischen Ära unter Boris Jelzin gesorgt hatte. "Unter Boris Nikolajewitsch (Jelzin) war das Leben ein Albtraum, aber jetzt ist es in Ordnung“, sagte der 51-jährige Alexander Pschennikow, der in Moskau seine Stimme für Putin abgab. "Jetzt ist es gut, ich bin zufrieden mit der gegenwärtigen Situation.“
Natalja Julskaja hingegen lehnt die Politik der harten Hand des ehemaligen KGB-Agenten Putin ab und wählte den als liberal geltenden Milliardär Michail Prochorow. "Ich weiß, dass der KGB an der Macht bleiben wird, aber ich will es wenigstens versuchen“, sagte die 73-Jährige.
Beobachter rechneten für Sonntag mit Protesten der Regierungskritiker. Für den Wahltag würden 6.000 zusätzliche Polizisten aus anderen Regionen des Landes nach Moskau verlegt, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur ITAR-Tass am Freitag. In dem Moskauer Wahllokal, in dem Putin seine Stimme abgegeben hatte, nahm die Polizei drei junge Frauen der ukrainischen Protestgruppe Femen fest. Eine hatte sich das Wort "Dieb“ auf den nackten Oberkörper geschrieben.
Putin war bereits von 2000 bis 2008 Präsident. Eine direkte dritte Amtszeit verwehrte ihm die Verfassung. Er wechselte ins Amt des Ministerpräsidenten und überließ seinem Gefolgsmann Medwedew das Präsidentenamt. Bei einem Sieg am Sonntag tritt Putin als erster eine sechsjährige Amtszeit an. Mit einem weiteren Sieg 2018 könnte er fast ein Vierteljahrhundert mächtigster Mann in Russland werden - die längste Zeit seit Josef Stalin Mitte des vergangenen Jahrhunderts.
Im Westen Russlands sollten die Wahllokale am Sonntag um 18.00 Uhr (MEZ) schließen. Im äußersten Osten hatten sie bereits am Sonnabendabend um 22.00 Uhr (MEZ) geöffnet.
Von Jim Heintz